Die finstere Seite der Sexualität, ja der Liebe darzustellen, haben viele versucht. Wenigen ist es geglückt. Das Soloprojekt AN OLD SAD GHOST gehört dazu. 2017 veröffentlichte der Österreicher LORD SARGEBURT alias PHILIPP SPEERTRÄGER den dritten Teil Romance seiner siebenteiligen Carmilla-Reihe, der nun neu aufgelegt wurde. Nach einem Teil Neoklassik (Autumn) und einem Teil Dungeon Synth (Ruin) werden hier beide Stile erstklassig kombiniert.
Zunächst muss auf das Coverart eingegangen werden. Es zeigt die Ballade „La belle damme sans merci“ des englischen Dichters John Keats von 1819, die wiederum auf dem Gedicht von Alain Chartier aus dem 16. Jahrhundert beruhte. An diesem Motiv haben sich präraffaelitische Maler wie Walter Crane, Arthur Hughes, Dante Gabriel Rossetti und Henry Meynell Rheam abgearbeitet. Hier ist es John William Waterhouse. Kurz gefasst, fragt im Text jemand einen Mann, den er in der Herbstnatur gefunden hat, warum dieser so bleich sei. Dieser entpuppt sich als Ritter, der eine schöne Frau ebenfalls in der Natur angetroffen und eine Affäre mit ihr hatte. Im Traum wurde er von untoten Königen, Fürsten und Rittern darüber aufgeklärt, dass er jetzt selbst verflucht sei, was seinen kranken Zustand erklärt.
Was ist nun zu hören? Die neun Nummern bestehen hauptsächlich aus trauriger minimalistischer Pianomusik wie auch das erste Stück. Der zweite Track kommt mit gruselig grollenden Synths daher, Versinnbildlichung des „Fluches“, der nach der Sünde nun auf dem Edelmann ruhen soll. Elektrische Männerchöre und eine geheimnisvolle Atmosphäre stellen in „IV“ den bösen Traums dar.
Wer nun denkt, dieses Album würde nur mit Traurigkeit herunterziehen, der irrt. Stück „VI“ ruht auf einer Klavierlage, auf der ganz zarte Synthies zauberhaft erklingen. Hier ist also die singende Schönheit, die der Ritter auf seinem Pferd trug. Das bittere Schicksal so vieler Männer, nachdem sie sich auf diese Liebe einließen, vertonen Streicher in „VIII“.
Im neunten Titel nimmt An Old Sad Ghost dagegen bezug auf seine eigene Geschichte im Hintergrund der Reihe. Zu tragischer Musik liest eine Frauenstimme im Hintergrund einen Text über ein Mädchen, das durch Ruinen streift. Identifiziert sich Carmilla also sentimental mit der „schönen Dame ohne Gnade“?
Vielleicht lässt sich eine feministische Lesart anwenden: Das Patriarchat hat durch Männergewalt eine depressive Frau erzeugt. Sie trifft auf einen unschuldigen (ritterlich-tugendhaften) Mann und verführt ihn, worauf sie ihn verlässt. Sein Herz ist gebrochen so wie bei vielen Männern davor. Solche Femmes fatale begehrte und fürchtete mann im Mittelalter aber auch im 19. Jahrhundert. Aus dem 20. Jahrhundert kennen wir die Girls aus den James Bond-Filmen oder Catwoman aus Batman. Eine depressive Frau zieht Männer an, doch verängstigt sie, wenn sie sich selbstbewusst nimmt, was sie will – ein uralter Diskurs mit immer neuen Ergebnissen.
An Old Sad Ghost
A Letter For Carmilla Part III: Romance
(Gondolin Records)
VÖ: 02.11.22