Die norwegische Pop-Sängerin ASTRID S kommt für zwei Gigs nach Deutschland. Zu diesem Anlass hat Astrids Kollegin, die ebenfalls aus Norwegen stammende, in Berlin lebende Sängerin MIHLE, die Dame getroffen und für Popmonitor das nachfolgende Interview geführt. Wie es der Zufall will, stammen die beiden nicht nur aus der gleichen Gegend, sondern sie haben auch beide Flöte in der Blaskapelle der Schule gespielt, dem Schulkorps. ASTRID S lacht: „Da wo ich herkomme war das unglaublich beliebt, alle waren mehr oder weniger im Schulkorps. Wir waren eine große Clique und fuhren zu Seminaren und so. Ich war die letzte von uns Freunden, die damit aufhörte. Da war ich etwa 13 Jahre alt.“ Ein Interview über den Ruf als Casting-Show-Star, die Tücken von Social Media und die erste Topline – und warum ASTRID S manchmal lieber aufräumt, als Songs zu schreiben…
Lebst du deinen Traum und den Traum vieler anderer?
Ja, ich träumte davon, bei „Idol“ (norwegische Castingshow, Anm. Red.) mitzumachen, als ich klein war und Kurt Nilsen die erste Staffel gewinnen sah. Da war ich 6 Jahre alt. Meine Eltern sagten, ich sei viel zu jung und müsste noch mindestens 10 zehn warten. Als es so weit war, meldete ich mich bei einem Casting an – und das lief dann viel besser, als ich geglaubt hatte.
Dabei muss es ziemlich seltsam gewesen sein, aus einem kleinen Dorf zu kommen und plötzlich nicht mehr an allem teilnehmen zu können, weil du im Fernsehen beschäftigt warst?
Ich denke eher, dass es überraschend wenig seltsam war. Es ist komisch zurückzuschauen, ein bisschen wie ein Traum, an den man sich erinnert. Aber eigentlich fühlte es sich natürlich und richtig an, so als ob es genau so lief, wie es auch sein sollte. Ich war ja schon mit 15 von zu Hause ausgezogen, um auf die Schule zu gehen, sodass es kein riesiger Unterschied war, nach Oslo zu ziehen. Die, die mit mir aufgewachsen sind, wussten, dass ich gerne im Schulkorps spielte, es mochte zu singen und die Lauteste von allen im Kindergarten war, wenn wir Chor hatten.
Wie haben die Kids am Gymnasium auf deine Beteiligung bei „Idol“ reagiert?
Aber die meisten fanden das sehr cool und schön für mich. Ich habe das Gefühl, das „Idol“ einen Stempel in der Musikbranche bekommen hat; ich merke ja, dass da immer so eine Art Unterton mitschwingt, wenn ich danach gefragt werde, so als ob das meine Lieder verändert hätte, die ich geschrieben habe oder die Art, wie ich singe. Das ist vielleicht ein wenig typisch norwegisch. Aber ich bin froh, dass ich nicht Musik als Fach genommen habe. Da wäre es sicher noch schwieriger geworden – viele, die ihre Meinung äußern müssen, Wettbewerb und Neid.
War es eine Herausforderung, so jung unter so viele Leute zu kommen, die etwas über deine Musik denken?
Das war es auf jeden Fall. Es hat eine Weile gebraucht; es sind unsagbar viele Menschen mit vielen Meinungen und ich möchte ja gerne diejenige sein, die bestimmt. Für mich ist das sehr wichtig. Es gibt viele Künstler, die gerne auf der Bühne stehen und singen wollen, super Lieder von anderen Songwritern bekommen und erzählt haben möchten, was sie anziehen sollen. Das wird dann eher das Projekt eines Labels. Aber für mich ist es wichtig zu sagen, was ich beim Fotoshooting trage, wie mein Logo aussehen soll, was die nächste Single wird, wie wir das Musikvideo gestalten und so weiter. Es ist total spannend und ein starkes Erfolgsgefühl, wenn man das geschafft hat.
Und dann sind da noch alle anderen. Wie erlebst du das?
Ich habe großes Glück, meine Follower sind supernett. Wenn jemand etwas sagt, dann ist das konstruktiv und sachlich. Ich bekomme extrem selten Kommentare, die mich traurig machen oder mir das Gefühl geben, die Leute sind darauf aus, mich fertig zu machen. Das ist sehr angenehm, aber das liegt vielleicht auch daran, dass ich mich bei Meinungen oder politischen Dingen raushalte. Ich habe mehr so was wie „jetzt trinke ich Kaffee und morgen gehe ich wandern und jetzt esse ich das hier“.
Ist das etwas, das du bewusst tust – nichts zu posten, was provozieren könnte?
Ja, und ich habe eigentlich auch kein Bedürfnis danach. Ich habe nicht das Gefühl, Bilder von dieser oder jener Sache posten zu wollen, oder leichtfertig Dinge auszulegen. Aber es ist schon schwierig. Du darfst nicht posten, was du willst, oder dich über diese oder jene Sache äußern, ohne das die Leute gleich total austicken. Wenn ich weiterhin meine netten Kommentare bekommen möchte, muss ich mich danach richten.
Denkst du, dass es einen Unterschied zwischen Astrid S und Astrid Smeplass gibt? Ist das eine Rolle, in die du dich versetzen kannst?
Nein, überhaupt nicht. Ab und zu könnte das vielleicht ganz angenehm sein, in die Rolle der Künstlerin Astrid zu wechseln, eine mystische oder irgendeine andere eigenartige Rolle zu übernehmen. Aber für mich selbst möchte ich, dass die Künstlerin und Astrid die gleiche Person sind. Ich finde es toll, dass Menschen mich kennen lernen können und das Mädchen, die dieses oder jenes Lied mögen, auch verstehen, wo ich herkomme. Ich glaube, man bekommt so ein besseres Verhältnis zu seinen Fans, und das passt auf jeden Fall zu mir.
Jetzt, wo du auf Tournee gehst und Konzerte spielst, liegt auch viel Arbeit vor dir, nicht nur Instagram-Statistik. Wie sieht dieser Prozess für dich aus?
Das unterscheidet sich von Tournee zu Tournee, aber es ist sehr speziell. Dieses Jahr war ich extrem beschäftigt, aber das ist etwas, was Leute gern übersehen. Freunde nicht ganz, was ich den Tag über eigentlich tue; sie verstehen nicht so gut, dass es viel Arbeit rund um einen Song gibt, wenn man etwas herausbringt oder eine Künstlerkarriere aufbaut. Glücklicherweise habe ich ein Team, die sich um vieles kümmert, während ich hier sitzen kann. Sie finden heraus, wo es am besten ist, Konzerte zu geben, welche Art Markt wir brauchen, wie ein Lied wo gut funktioniert. Sie treffen all diese Entscheidungen und erzählen es mir, und dann beginnen wir gemeinsam mit der Arbeit.
Könntest du dir vorstellen, irgendwann einfach an einem Ort zu bleiben?
Ja, ich denke das bei fast jedem Ort. Ich dachte das erst gestern hier in Berlin, ich dachte das in Paris, in fast allen Städten in den USA – ich habe Lust in New York zu wohnen – Stockholm, Madrid – ein bisschen überall.
Du erwähnst nicht Los Angeles, wo sich viele Norweger mittlerweile versammelt haben, wie Stargate, Lido oder Dsign.
Auch In LA möchte ich auch gerne wohnen, aber ich glaube man kann ein wenig verrückt werden, wenn man längere Zeit dort lebt. Die Kultur dort – ich glaube man wird etwas durchgeknallt. Es ist ziemlich cool für ein paar Wochen, aber dann möchte ich auch gern den skandinavischen Raum wiederhaben.
Hast du eine feste Band, mit der du eingespielt bist, oder hast du für jeden Anlass immer neue Leute?
Ich habe eine feste Band, aber die sind auch anderweitig sehr beschäftigt. Jetzt kommen sie fest mit auf Tournee in die USA, während ich auf der Europa-Tour von einer anderen Band begleitet werde. Allerdings habe ich noch nicht mit ihnen gespielt, sondern nur das gehört, was sie sonst machen.
Das ist schon ziemlich intim, mit neuen Musikern zu spielen? Und dann auch mit ihnen zu schreiben?
Ja, du machst dich nackt. So sehe ich ohne Filter aus, sozusagen. Die feste Band ist sehr wichtig für mich, denn wenn ich reise und Konzerte gebe, bekomme ich völlig verrückte Gemütsschwankungen. Manchmal geht es sehr gut, manchmal weniger. Ich bin immer sehr nervös vor einem Konzert und danach gibt es viele Eindrücke. Es ist eine sehr emotionale Situation.
Sich kennen zu lernen, während man mit so vielen talentierten Menschen arbeitet – bekommst du da eine Art Routine? Kannst du einfach direkt ins Studio gehen und sagen, jetzt schreiben wir einen Song?
Man weiß nie, wohin sie Sache führt, wenn man mit so vielen verschiedenen Menschen arbeitet. Das ist sehr spannend, man lernt sehr viel oder sitzt auch mal zusammen und schaut Videos auf Youtube. Das ist besser, als wenn ich allein in meinem Zimmer sitzen und einen Song fertig machen muss – da bekomme ich eher Lust aufzuräumen.
Wenn du sagst, dass du bisher noch keine Produzenten gefunden hast, mit denen es so richtig gepasst hat – könntest du dir vorstellen, selbst zu produzieren?
Absolut! Ich denke das so oft, wenn ich im Studio bin. Ich produziere ja insofern mit, als dass ich die Akkorde spielen, den Synthsound finden, die Gitarre einspielen kann und den Producer frage, ob er einen solchen Klang finden kann. Wie viel einfacher das wäre, ich sehe das vor mir, wenn ich das einfach selbst machen könnte. Aber ich habe keine freien Tage vor Weihnachten und es braucht Zeit, sich mit Logic oder Ableton hinzusetzen und sich das anzueignen – kann sein, dass ich dafür die Weihnachtsferien nutzen muss.
Musiker wie du bekommen vielleicht nicht ganz die Anerkennung, die sie verdienen; es ist ja nicht weniger Arbeit, Songwriter statt Produzent zu sein?
Ich glaube, wenn ich wirklich beweisen sollte, was ich gemacht habe, müsste ich das ausschließlich mit meinem eigenen Namen tun. Sobald da andere Namen stehen – eben weil ich so jung und eine Frau bin – nehmen die Leute an, dass ich da vielleicht ein bisschen genickt und zwei Wörter geändert habe. Die denken automatisch, dass das sicher die oder der andere geschrieben hat? Solange sich das nicht auf die Qualität meiner Arbeit auswirkt, hat das im Prinzip nicht so viel zu sagen. Aber es wäre unglaublich toll, denen einfach zu zeigen, dass ich das tatsächlich selbst mache. Ich schreibe alle meine Songs selbst, bekomme vielleicht ein wenig Hilfe mit dem Text. Aber alles in Sachen Melodie und so weiter mache ich selbst. Früher fand ich das Texten sehr schwer, doch jetzt fängt es an, ziemlich Spaß zu machen.
Hast du das Gefühl, dass du etwas länger gelebt haben solltest, um über dein Leben zu schreiben?
Nein, absolut nicht. Andererseits habe ich natürlich auch nicht so viel Lebenserfahrung. Ich muss sozusagen kleine Stücke von dem nehmen, was ich erlebt habe, und das vielleicht etwas erweitern und verstärken, damit ich darüber schreiben kann.
Gibt es jemanden, den du als Vorbild fürs das Songschreiben hast?
Nein… oder doch, es gibt viele Dinge bei denen ich wünschte, dass ich sie schreiben könnte, aber nicht den einen Songwriter. Lorde! Sie ist sehr talentiert. Ich glaube, meine Texte – nicht, dass sie auch nur annähernd auf diesem Niveau wären – sind vielleicht Adele und Taylor Swift ein wenig ähnlich. Sie sind nicht flach, aber man versteht, worum es geht. Sie sind einfach geschrieben, mit einigen Tricks, die es spannender machen. Lorde benutzt ja viele Metaphern, coole Ausdrücke oder Synonyme. Das finde ich sehr schwierig, und deshalb ist es ja so besonders cool, wie sie die Dinge auf den Punkt bringt.
„Royals“ handelt ja auch von der Promikultur. Ist das etwas, dass du dir vorstellen könntest, so groß zu werden?
Ich habe Lust, auf große Touren zu gehen, zu denen viele, viele Menschen kommen, die meine Musik hören wollen, weil sie gut gemacht ist. Es ist nicht so, dass ich unbedingt eine große Berühmtheit werden möchte. Aber ich habe Lust darauf, dass andere einen Bezug zu meinen Songs herstellen können. Das ist das größte Kompliment.
Gibt es etwas, das du bis jetzt getan hast, auf das du ganz besonders stolz bist?
Ja, ich glaube auf meinen Lieblingssong, den ich geschrieben habe, „Hyde“. Das ist einer der Songs, bei dem ich die Topline selbst geschrieben habe. Es ist ein starkes Erfolgserlebnis, etwas allein erschaffen zu haben. Ich saß im Hotelzimmer in Stockholm, sah einen Zeichentrickfilm, machte mir Notizen und habe mich sehr in den Song hineinversetzt. Ich bin 19 Jahre alt und ich möchte, dass die Leute einen Bezug zu diesem Lied haben, deshalb schreibe ich über Liebeskummer oder das Gefühl, sich verletzlich zu fühlen – einfache Sachen halt. Aber hier wollte ich, dass es ein Konzept hinter dem Text gibt, mit vielen Metaphern. Ich finde das sehr cool, wenn ich Lieder höre, nicht ganz verstehe, worum es geht und dann sehe ich vielleicht einen Film und denke, oh wow, war es das, worüber sie in dem Song gesprochen haben? Dann höre ich noch mal rein und es ergibt auf einmal einen Sinn. Es war schwierig, aber letztendlich war ich sehr zufrieden.
ASTRID S
Astrid S
(Universal)
VÖ: 20.05.2016
Live
18.11.2016 Köln – Underground
21.11.2016 Berlin – Berghain