Chvrches | Gegen alle Erwartungen

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Nach ihrem kometenhaften Aufstieg mit The Bones Of What You Believe veröffentlichen CHVRCHES heute ihr zweites Studioalbum. Aufgenommen im eigenen Kellerstudio in Glasglow, knüpft Every Open Eye an die gewohnte Mischung aus explosiven Synthie-Sounds und monumentalen Melodien an und lässt diese durch abgespeckte Soundlandschaften im Innersten noch kraftvoller erscheinen. Elf Synthie-Pop-Tracks sollen dabei die negativen Erfahrungen und Beziehungsdramen der letzten Jahren ins Positive umwandeln. Popmonitor traf MARTIN DOHERTY, LAUREN MAYBERRY und IAIN COOK und sprach mit ihnen über die Studioaufnahmen, wachsendes Selbstbewusstsein und die andauernde Objektifizierung von Frauen im Pop…

Mit Every Open Eye haltet ihr am ursprünglichem CHVRCHES-Sound fest, allerdings wirken die Songs im Kern reduzierter. Was war bei den Aufnahmen anders?

Doherty: Bei Every Open Eye ging es uns tatsächlich eher um eine natürliche Entwicklung als um die Neuerfindung unseres Sounds. Uns war wichtig, uns auf unsere Stärken zu konzentrieren und unseren ursprünglichen Sound nicht komplett zu verwerfen. Du strebst immer nach einer Weiterentwicklung, und 18 Monate auf Tour tragen einfach dazu bei. Unsere kreative Perspektive hat sich verändert. Dabei beeinflussen dich ganz alltägliche Dinge.

Zum Beispiel?

Doherty: Bücher, Medien und was man sonst so aufschnappt. Das ist eigentlich viel langweiliger, als es sich anhört. Ich stehe auf Naturwissenschaften und Technologien und lese viel. Sorry, das ist jetzt eine ganz andere Sache, aber hat jemand von dem Wissenschaftler-Kreis gelesen, der einen offenen Brief gegen die Nutzung von Robotern als militärische Waffen geschrieben hat?

Mayberry: Nein, aber ich habe vor ein paar Tagen zum ersten Mal einen Roboter-Staubsauger gesehen.

Und?

Mayberry: Ich dachte: Das Teil ist süß – ich will nicht, dass es Dreck futtert! Dann wollte ich ein Video davon online stellen, aber das WiFi am Flughafen war komisch und so wurde der  Clip 33 Mal gepostet. Das schließt den Kreis: Die Maschinen fangen an, uns zu bestimmen!

Zurück zum Album: Ihr arbeitet stets nach dem Do-It-Yourself-Prinzip. Was hat Producer Spike Stent zur Platte beigetragen?

Cook: Wir haben das Album in unserem eigenen Studio selber geschrieben und produziert und das alles in den fünf Monaten zwischen Januar und Juni. Danach hat Spike noch zweieinhalb Wochen daran gearbeitet. Er hat ein großartiges Gespür, wenn es um das Mixen von Vocals und starken Drum-Sounds geht.

Doherty: Unser britisches Label hat uns Spike vorgeschlagen. Wir waren erst vorsichtig, aber als wir seine Sachen hörten, waren wir völlig begeistert. Ihm und niemandem sonst wollten wir das Mixen anvertrauen.

Hattet ihr für die Aufnahmen ein Lieblingsequipment?

Doherty: Wir haben uns auf halber Strecke noch einen Obxd-Synthesizer geholt. Der hat das Album wirklich sehr geformt!

Es gibt wieder einen Track, auf dem Martin singt. Warum kommt das so selten vor?

Doherty: Wir haben niemals festgelegt, dass ich nur einen oder zwei Track auf jedem Album singen darf. (lacht) Ernsthaft: Meiner Meinung nach sollte ich gar nicht mehr singen.

Mayberry: Wenn Martin die Sachen aufnimmt, singe ich sie hinterher. Wir tauschen die zentralen Parts, aber manchmal fühlt sich das einfach nicht richtig an und funktioniert nicht mit meiner Stimme. Es ist echt nicht so, als ob ich ihm nur einen Track abgeben würde.

Worum geht es euch diesmal inhaltlich?

Mayberry: Es geht allgemein um Menschen, die einem sagen, was man zu tun hat und wie man sich dabei fühlen soll. Je älter ich werde, desto weniger kann ich das leiden. Am Ende des Tages bist du die Person, die das bestimmt. Ich habe lange gebraucht, um an diesen Punkt zu kommen. Wir sind selbstbewusster geworden und vertrauen unseren eigenen Instinkten. Du kannst dich entweder mit dem Negativen beschäftigen und damit deine Psyche zerstören oder du zeigst diesen Leuten den Mittelfinger und machst, was du willst. Einige Songs reflektieren dabei Beziehungen, andere behandeln das Thema eher allgemein.

In einem Twitter-Post vom Mai hast du dich abermals gegen Frauenfeindlichkeit ausgesprochen. Hast du das Gefühl, es hat sich seitdem etwas zum Positiven verändert?

Mayberry: Was sich meiner Meinung nach verändert hat, ist die Art, wie Menschen innerhalb der Medien über uns reden. Für mich ist es wichtig, diesen Standpunkt immer wieder zu beziehen. Lese ich abstoßende Sachen, bei denen ich mich normalerweise isoliert und verletzt fühlen würde, kann ich zu diesem Punkt zurück und sagen: Wir haben Widerstand geleistet. Ich kann mich stark fühlen. Wir stehen im öffentlichen Fokus und es ist unsere Aufgabe klar zu machen, dass junge Frauen im wirklichen Leben angegriffen werden. Ich habe mich allein gefühlt, weil niemand darüber redet und sich niemand darum kümmert. Wir wissen, wie es ist, und wenn Misogynie dadurch mehr ins Gespräch kommt, Feminismus weniger abstrakt wird und es dazu führt, dass sich weniger Menschen insoliert fühlen, dann ist das allein schon eine gute Sache und spornt uns an.

Du äußerst dich auch auf der Bühne zu diesem Thema…

Mayberry: Jemand meinte mal zu mir: „Was denkst du dir auch mit deinen Statements? Du spornst die Leute doch an!“ Ich antwortete: „Gar nichts.“ Diese Aussagen gibt es, weil manche Leute es nicht ertragen, wenn auch Frauen Räume besetzen und plötzlich nicht mehr in die Box passen, die man extra für sie geschaffen hat. Das bringt sie in eine unbequeme Position.

Was sagt ihr zu jungen Frauen, die sich als Anti-Feministinnen bezeichen und meinen, dass wir keinen Feminismus mehr brauchen?

Mayberry: Es gibt nichts, was mich so wütend macht, wie Frauen, die das sagen! Es gibt ein gutes Zitat von Amy Pohler: Es ist so, als ob man sagt, „Ich halte nichts von Autos, aber ich fahre jeden Tag damit und liebe es, wie sie mein  Leben einfacher und schneller machen, und ich wüsste nicht, was ich ohne sie machen würde!“. Für mich ist es eine Selbstverständlichkeit, für Gleichberechtigung zu sein. Leute sagen, „Ich will nicht damit etikettiert werden!“ Ähm, wirklich? Du willst nicht damit in Verbindung gebracht werden, dass du für gleiche Rechte und gleiche Bezahlung bist? Das muss für dich ja eine sehr anstößige Sache sein.

Im Zuge dieser Debatte wird ein großer Teil der Aufmerksamkeit auf Lauren als Sängerin gelenkt. Wie denkt ihr darüber?

Doherty: Uns ist es wichtig, dass wir als Band repräsentiert werden, aber es gibt einen Punkt der Dynamik, an dem Menschen einfach von dem Sänger oder der Sängerin angezogen werden, weil das der erste und am leichtesten identifizierbare Kontakt zwischen Zuhörer und Band ist.

Mayberry: Wenn ich Every Open Eye höre, spüre ich die Persönlichkeit von jedem einzelnen. Es ist keine Solo-Show. Gerade am Anfang waren wir damit beschäftigt, uns als Band zu etablieren. Manche Leute gehen davon aus, sie könnten einfach nur die Sängerin fotografieren. Inzwischen können wir auch mal ohne Lauren Interviews geben und getrennte Sachen machen, aber wenn Menschen denken, bei Chvrches geht es nur um das girl, dann spiegelt uns das nicht wider. Und auch hier schließt sich der Kreis: Wir wollen nicht das sein, was Menschen aus uns machen wollen. Und darum geht es im Grunde auch auf Every Open Eye.

CHVRCHES
Every Open Eye
(Vertigo Berlin / Universal Music)
VÖ: 25.09.2015

www.chvrches.com

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