Colours Of Ostrava 2024 – Der komplette Ticker

POPTRAVEL. Unter diesem Namen berichten wir in unregelmäßigen Abständen vermehrt von unterwegs: Porträts, Interviews, Konzert- und Festivalberichte im berühmten Blick über den Tellerrand. Diesmal führt uns unsere Reihe nach Tschechien …

Das Colours Of Ostrava ist bereits seit mehr als zwanzig Jahren eine angestammte Adresse im europäischen Festivalzirkus. Seit 2012 wird es in Dolní Vítkovice ausgerichtet, auf dem Gelände einer historischen Eisenhütte, die zum tschechischen Kulturerbe gehört.

Die Organisatoren mussten in diesen Tagen zwei kurzfristige Absagen hinnehmen – zum einen von SOFI TUKKER, zum anderen von QUEENS OF THE STONE AGE, die als Headliner des ersten Abends vorgesehen waren. Zumindest für Letztere hat man schon spannenden Ersatz gefunden: TOM MORELLO, einst Gitarrist bei RAGE AGAINST THE MACHINE und AUDIOSLAVE und in den letzten Jahren auch häufiger mal an der Seite von BRUCE SPRINGSTEEN zu sehen. Gitarristen sowie von Bis wir am kommenden Mittwoch (17. Juli) mit unserem Ticker vor Ort beginnen, geht es hier schon mal zum kompletten Programm …

… und da sind wir auch schon, allemal im Zug Richtung Ostrava. Nach den Absagen ist es die letzten Tage über ruhig geblieben, während man auf dem Instagram-Account des Festivals in kurzen Clips den Aufbau der Bühnen verfolgen konnte. Die Eröffnung ist offiziell auf 17.15 Uhr festgesetzt, wir werden allerdings erst etwas später vor Ort aufschlagen – mit ein bisschen Glück rechtzeitig zum Auftritt von Rap-Komet GENESIS OWUSU aus Canberra auf der T-Mobile Stage, der zweitgrößten Bühne. Andere große Namen heute sind Gitarrenvirtuose GARY CLARK JR. sowie GOGOL BORDELLO. Deren Sänger EUGENE HÜTZ hat ukrainische Wurzeln, und die Band hat sich in den letzten zwei Jahren wiederholt auch künstlerisch gegen den Überfall Russlands auf die Ukraine positioniert. Da auch MORELLO, der den ersten Tag auf der Main Stage beschließen wird, für seinen politischen Aktivismus bekannt ist, verspricht der Auftakt des Festivals gleich mehrere Spannungsbögen. Wir sind gespannt!

Mittwoch, 17. Juli

Als wir aufs Gelände kamen, erklingen schon irgendwo die letzen Klänge des OWUSU-Auftritts, doch es gibt so viel zu sehen auf dem (Post-)Industriegelände, das wir es nicht mehr rechtzeitig bis vor die Bühne schaffen. GOGOL BORDELLO beschränken sich wenig später auf eine große Faust in den Farben der Ukraine als Backdrop für ihren launig punkigen Gig. Aus einer ganz anderen Ecke kommt hingegen die erste echte Überraschung des Tages: Die Baile Cantao- und Percussion-Formation ENKELÉ aus Kolumbien ist genau die Left-Field Choice, die einem Festival direkt vor dem Headliner Schwung mitgeben kann.

Gary Clark Jr. | Foto: neverleavetheclouds

Parallel malt auf der gegenüberliegenden Seite der Mainstage GARY CLARK JR. raumgreifende Gitarrenmelodien in den mittlerweile dunklen Himmel, und wenig später verstärkt sich das Gefühl, dass der Musiker aus Austin die bessere Wahl für die große Bühne gewesen wäre als MORELLO, der mit dem vorhersehbaren Witzchen „We are Queens Of The Stone Age“ einen Rohrkrepierer landet (einige im Publikum wissen nichts vom kurzfristigen Tausch) und auch nach einer guten halben Stunde keinen seiner (wenigen) Hits auspackt. Setlist.fm zufolge war es ganz am Schluss dann doch so weit – da hatten sich viele der ohnehin nicht übermäßig zahlreich erschienenen Besucher*innen allerdings schon verzogen. Morellos notgedrungenes Booking war so interessant wie riskant – aber wenn man was riskiert, geht eben auch mal was schief.

Donnerstag, 18. Juli

Khruangbin | Foto: neverleavetheclouds

Ganz anders heute, was für ein Tag! Nach dem Auftakt mit SARA CURRUCHICH aus Guatemala, die mit eingängigen Tunes ihre indigene Abstammung feierte, brachte das Texas-Trio KHRUANGBIN eine unvergessliche Show auf die Hauptbühne. Für ihren Desert-Chillout-Sound in Coffeshops und Designer-Boutiquen in der gesamten westlichen Welt ungemein populär, wandelte sich die Musik innerhalb einer Stunde und vor Live-Publikum vom Flat-White-Soundtrack zum funky Fuzz-Rock, handgemacht und ganzkörperverschwitzt. Vor der minimalistischen Bühnendeko (eine Holzkulisse mit drei Fenstern, hinter denen auf großen Bildschirmen mal die Flammen loderten, mal die Wolken vor sich hinzogen usw.) wirkten die farbenfrohen und detailverliebten Outfits und die keineswegs ironischen Superstar-Posen von LAURA LEE und MARK SPEE nur noch überlebensgrößer, während Drummer DONALD RAY „DJ“ JOHNSON JR. Gorillaz-Drummer Russel Hobbs in Fleisch und Blut und Bassdrum gleich förmlich nur seine Handgelenke zu bewegen schien. Unter der sengenden Nachmittagssonne den Pony in die statt aus der Stirn zu richten wie Spee? Es gibt nur cool und uncool und wie man sich fühlt.

Aunty Rayzor | Foto: neverleavetheclouds

Klar: Das war nicht mehr zu toppen. Die Prager Rapperin ARLETA und ihre Crew fielen beim Gig auf der Full Moon Stage an den Hochöfen eher dank ihrer Tattoos und Braids auf als mit den so atem- wie drucklos aufgeführten Tracks, während – zurück auf der Main Stage – BAT FOR LASHES den Eindruck hinterließen, dass ihr Elektropopsoul eher für intime Indoor-Performances gemacht ist als für die große Bühne. Eine schöne Überraschung an Gitarre, Bass und Percussion: CHARLOTTE HATHERLEY, in den Neunzigern und Nullern für zehn Jahre mit den Indiehelden Ash unterwegs. Wieder zurück vor der Full Moon Stage (die Wege auf dem COO-Gelände sind nicht zu lang, und es gibt endlos viele Substages zu sehen, für deren Erwähnung hier nicht Zeit noch Platz ist) dann der zweite Höhepunkt des Tages: Die Rapperin AUNTY RAYZOR und ihre DJ KITTY aus Lagos fackelten mit einem Dauerfeuer harter Partytracks förmlich die Eisenhütte ab und ließen dabei das Publikum komplett nach ihrer Nase tanzen, will meinen: ausrasten. Der Headliner des Tages war SAM SMITH, die zum Auftakt der anderthalbstündigen Show und vor allem zum Finale mit „Unholy“ groß auftrumpften, es zwischen den Deckeln aber doch schleifen ließen.

Freitag, 19. Juli

Der heutige Festivaltag steht für uns ganz im Zeichen von LENNY KRAVITZ. Es wird spät. Wir sehen uns morgen …

… Let! Love! Rule!

Lenny Kravitz | Foto: neverleavetheclouds

Okay, okay, brav haben wir uns noch vor Stunde Null einen Gig angesehen – den Auftritt der italienischen Rapperin ADRIANA auf der Rec.Stage – aber eigentlich ging es heute ausschließlich um LENNY KRAVITZ. Und hat der Mann geliefert oder was! Vor wenigen Wochen die 60 rund gemacht, ist das stolze Alter des großen Rockers für keinen Moment an diesem Abend ein Thema. Mit dem schwergewichtigen Evergreen „Are You Gonna Go My Way“ geht es los, ehe sich Kravitz mit „Minister of Rock ’n Roll“ gebührend und zurecht selbst feiert. Kravitz ist bekannt dafür, sich auf der Bühne als Teil seiner fast zehn Musiker*innen starken Band zu verstehen, und dieser Abend bildet keine Ausnahme: Immer wieder beißt er sich in Duette mit seinem Lead-Gitarristen CRAIG ROSS oder mit seiner Brass Section um Saxophonist HAROLD TODD hinein, längere Jams wechseln sich in der Setlist ab mit Krachern wie „Stillness Of Heart“ (für das Kravitz sich – und nicht zum letzten Mal – auf die ins Publikum hinreinragende Bühnenzunge begibt), „It Ain’t Over ‚Til It’s Over“ oder einem bis zum Gehtnichtmehr ausgedehnten „Let Love Rule“, mit dem die Show schließlich nach fast zwei Stunden und kurz vor 1 Uhr nachts zu Ende geht. Damn!

Samstag, 20. Juli

Zara Larsson | Foto: neverleavetheclouds

Gewisse Ermüdungserscheinungen sind am nächsten Tag nicht von der Hand zu weisen. Zum einen wegen des langen Abends vor der Main Stage, zum anderen weil vier Tage Festivalvollprogramm eben doch an die Substanz gehen. Wir melden uns morgen mit den Eindrücke des Finales …

Nachdem SEAN PAUL – dem Vernehmen nach – unter Beweis gestellt hatte, dass er auch mehr als zwanzig Jahre nach „Get Busy“ weiß, wie busy geht, war es auch schon Zeit für ZARA LARSSON. Die Sängerin aus dem schwedischen Solna schmetterte mit großer Stimme ihre Songs von der Mainstage, die sich bedauerlicherweise auch durch durchgängig (zeit)geistfreie Texte über sexuelle Anziehung („I can’t help myself, it’s human nature“) und blöde Boyfriends auszeichnen. Dafür gab es aber auch schicke Animationen auf dem Videoscreen, starke Dancers und eine All-Female-Backing-Band, die augenscheinlich richtig Spaß hatte. Genau wie das Publikum. Was folgte, war leider wie der Auftakt des Festivals ein großes Missverständnis. James Blake gehört mit seinen Produktionen für die Megastars in Pop und HipHop von KENDRICK LAMAR bis BEYONCÉ zu den einflussreichsten Soundbauern der Stunde, doch die zwar enorm facettenreichen, aber oft auch kargen und verfrickelten Tracks seiner Solo-Setlist wollten auf der großen Bühne schlicht nicht zünden. Dass einen solchen Spannungsbogen eigentlich nur RADIOHEAD für 40.000+ Zuschauer aufrechtzuerhalten vermögen, dachte man sich schon, ehe Blake deren „No Surprises“ coverte. Was das Ganze irgendwie auch nicht besser machte.

COLOURS OF OSTRAVA 2024 hatte im Anschluss noch Gigs von unter anderem EMILIA TORRINI und SEVDALIZA (die ihren Gig im Zuge des globalen IT-Desasters um einen Tag verschieben musste) im Programm, aber für uns war da schon Schluss. Es bleiben viele erste Eindrücke, nicht zuletzt von einem schier unglaublich reibungslosen Ablauf und der kompletten Abwesenheit jedweder Aggressionen. Derweil war in den Mittagsstunden des Samstags der erste Headliner fürs kommende Jahr angekündigt worden: Für 2025 sind THE CHAINSMOKERS bereits bestätigt. Am Popmonitor-Booking arbeiten wir noch.

www.colours.cz

Hotel

Wir waren im Designhotel city.city untergebracht – angenehm ruhig abseits des großen Trubels, aber trotzdem nur eine kurze Fahrt mit der Tram vom Festivalgelände entfernt. Man kann sich an einigen hübschen Design-Ideen erfreuen, vermisst haben wir allerdings einen Ventilator – es wird gut warm gerade unterm Dach.

www.city-city.cz

Gastronomie

Die kulinarische Entdeckung schlechthin war für uns Hogo Fogo. In dem in einem Backsteinbau – dem Vernehmen nach das älteste Gebäude in der Sokolská Street – untergebrachten Bistro kommen Tapas ebenso auf die Tische wie Udon-Nudeln und Burger. Geheimtipps: die kalte Gurkensuppe Tarator (ein Klassiker der Balkonküche) und der Kokos/Mango-Salat.

www.hogofogobistro.cz

Die Reise wurde unterstützt durch CzechTourism.

www.visitczechia.com

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