Colours Of Ostrava 2025 – Der komplette Ticker

POPTRAVEL. Unter diesem Namen berichten wir in unregelmäßigen Abständen vermehrt von unterwegs: Porträts, Interviews, Konzert- und Festivalberichte im berühmten Blick über den Tellerrand. Wie schon in 2024 sind wir auch in diesem Jahr auf dem Colours Of Ostrava in Tschechien unterwegs …

Das Colours Of Ostrava ist bereits seit mehr als zwanzig Jahren eine angestammte Adresse im europäischen Festivalzirkus. Seit 2012 wird es in Dolní Vítkovice ausgerichtet, auf dem Gelände einer historischen Eisenhütte, die zum tschechischen Kulturerbe gehört. Bis wir am Mittwoch (16. Juli) mit unserem Ticker vor Ort beginnen, geht es hier schon mal zum kompletten Programm …

Mittwoch, 16. Juli

Foto: neverleavetheclouds

… und los gehts – wenn auch diesmal für uns recht spät. Es ist schon kurz vor Acht, als wir auf dem Gelände ankommen. Vor der Main Stage ist es dennoch erschreckend leer. Der Grund: womöglich nicht das mäßige (aber noch trockene) Wetter, sondern das zumindest auf den ersten Blick kuriose Booking von „Mister Bombastic“ SHAGGY als Sub-Headliner, der niemanden so recht aus der Eisenhütte locken mag. Ob Kollege STING, der den Abend auf der großen Bühnen beschließt und 2018 gemeinsam mit SHAGGY das Collab-Album 44/876 veröffentlichte, da seine Finger im Spiel hatte?

Darüber lässt sich zumindest prima spekulieren, während wir die wenige verbleibende Zeit fürs Sammeln erster Eindrücke auf dem weitläufigen, aber an Spots und Stops reichen Gelände nutzen. Im Schnelldurchgang: Auf der Full Moon Stage, die in diesem Jahr an den Rand verlegt, dafür aber im Vergleich zu 2024 stattlich vergrößert wurde, bauen LOS SARA FONTAN im eigenwilligen Duo aus Violine und Drums ein Maximum an Walls of Sounds auf, ehe auf der ebenfalls gewachsenen und mit einer fantastischen Lichtanlage ausgestatteten Fresh Stage AMANDI FRIEND alias DJ LIQUID BLOOM mit Eso-Beats und Lava-Lightshow voll auf die Kitschglocke gibt. Geht natürlich trotzdem gut rein, für die Umbaupause auf der Full Moon Stage langt es allemal. Dort geben SEREIAS aus Porto krudes, kakophones, in blutrotes Licht getauchtes Grufti-Theater, das wir gern schnell links (tatsächlich rechts) liegenlassen, um wieder vor die Main Stage zu ziehen.

Da hat sich mittlerweile gefühlt halb Ostrava versammelt, über mangelnde Aufmerksamkeit kann sich STING also nicht beschweren – sowieso nicht, nachdem er mit „Message In A Bottle“ eröffnet und eine Handvoll Hits später tatsächlich SHAGGY zum Duett für „Englishman In New York“ auf die Bühne holt – zu „Jamaican In New York“ umgemodelt natürlich, wenn schon, denn schon. Leider fehlt dem Sound einiges an Saft (auch wenn Stings Bass angenehm nach vorn gemischt ist), der Performance Kraft. Die Crowd ist trotzdem happy. Bis morgen!

Donnerstag, 17. Juli

Shiran & Bakal | Foto: neverleavetheclouds

Der Tag, als der Regen kam. Na gut, ganz so dramatisch war es dann auch nicht, und vor der überdachten Fresh Stage sowieso nicht so wichtig. Dafür kommt man hier in den Genuss des Colours-typischen Touches für ein Programm abseits aller Erwartungen. Das israelische Duo (und Ehepaar) SHIRAN & BAKAL mit familiären Wurzeln im Yemen und im Irak verwandelt die überdachte – und angesichts des nun einsetzenden Regens obendrein besonders attraktive – Fresh Stage in eine Super-Disco, in der Sounds und Beats aus vielen Ecken des Nahen Ostens harmonisch (aber freilich meist geil-grell clashig) miteinander Party machen.

Gemütliches Singer-Songwriter-Geschunkel gibt es danach auf und vor der Main Stage. FINNEAS, der sich freut, dass der Regen mittlerweile wieder nachgelassen hat, zeigt dabei auch, warum man ihn eher für die Produktion der Tracks seiner Schwester BILLIE EILISH kennt als für seine eigenen, an einem feuchten, grauen Nachmittag um halb sechs aber vielleicht auch ein wenig chancenlosen Songs.

Moon Stage: Cellistin und Sängerin MABE FRATTI, verstärkt durch I. LA CATÓLICA an der Gitarre und GIBRÁNA ANDRADEHO an den Drums), sind eines der spannendsten Bookings beim Colours in diesem Jahr, ihr Sound zwischen minimalistisch inszenierter Intimität und sägendem Postrock reich an Überraschungen. Ein bisschen früh und ein bisschen hell ist es dafür noch, doch die kleine Crowd feiert das lateinamerikanische Trio trotzdem.

Iggy Pop | Foto: neverleavetheclouds

Dann ist es auch schon Zeit fürs Abend, womöglich des Festivals – auch wenn JUSTICE später in der Nacht noch ein tolles Set mit wahrlich bombastischer Lightshow spielen werden. Doch was IGGY POP zwischen acht und neun Uhr abends auf die Main Stage bringt, ist konkurrenzlos. Klar, wer die unsterblichen Klassiker „Passenger“ und „Lust For Life“ back to back bringen und nach einem knackigen „Death Trip“ noch „I Wanna Be Your Dog“ nachlegen kann, muss sowieso niemandem mehr etwas beweisen. Wie viel Spaß er dabei hat – trotz enormer körperlicher Probleme, die ihn kaum geradeaus laufen lassen – und wie rührend er sich immer wieder mit „fucking thank you“ und herzlichem Winken beim Publikum bedankt (dass ihn dafür nur umso mehr bejubelt), ist unbedingt außergewöhnlich, und die tighte Band (samt Blechblas-Power an Posaune und Trompete) trägt ihn durch die Show, wenn das going doch mal tougher wird. Was für eine Show!

Freitag, 18. Juli

Jung Jaeil & Janáček Philharmonic Ostrava | Foto: Zdenko Hanout

Der dritte Colours-Tag steht komplett im Zeichen des womöglich außergewöhnlichsten Bookings des gesamten europäischen Festivalsommers. Komponist JUNG JAEIL, bekannt für seine Scores zum kürzlich von der „New York Times“ zum bislang besten Film des 21. Jahrhunderts gewählten „Parasite“ und zur zynischen Fantasyserie „Squid Game“, bringt einige der zentralen Pieces seiner Kompositionen auf die große Bühne – gemeinsam mit dem städtischen Sinfonieorchester JANÁČEK PHILHARMONIC OSTRAVA. Mit einer am anderen des Geländes aufgebauten „Squid Game Arena“ zum mehr oder weniger risikofreien Mit- und Nachspielen sowie einem großen Stand des Landestourimusbüros von Südkorea war das Konzert bereits das ganze Festival über präsent, und dank der substanziellen südkoreanischen Community in Ostrava (wo Hyundai produziert) hat das Ganze zusätzliches Potenzial, durch die Decke zu gehen.

Bis sich herausstellt, dass es live überhaupt nicht funktioniert. Wohin man sich auch begibt, direkt vor die Bühne oder in die atmosphärische Distanz, der Sound trägt nicht, wird von jeder Unterhaltung überlappt oder geschluckt. Für die Rezeption der feingliedrigen, emotional vielschichtigen Kompositionen sind die Voraussetzungen desaströs. Auch die Light- und Videoshow, die noch in der Nacht zuvor dem gewaltigen Bums von Justice kongenial zur Seite gestanden hatte, bleibt blass – und das, obwohl das Set-up mit FLUKS STUDIO, deren CV nicht nur massive Werbekampagnen, sondern auch Arbeiten für LADY GAGY und den den Visual Content für OLIVIA RODRIGOs „Guts“-Tour kennt, extrem vielversprechend war. Doch die Visuals wirken beliebig und bleiben überflüssig, dass sich just an diesem Abend die Sonne in voller Pracht sehen lässt, hilft der Stimmung ebenfalls nicht – und als JUNG JAEIL und Orchester von den „Squid Game“- zu den „Parasite“-Stücken umschwenken, ist die Luft endgültig raus. Eine satte Enttäuschung!

Samstag, 19. Juli

Foto: neverleavetheclouds

Der heutige letzte Tag ist ehrlich gesagt ein bisschen eine Wildcard – so richtig reizt uns keiner der Namen im Line-up, auch wenn es mit SOFI TUKKER (die 2024 kurzfristig hatten absagen müssen) und THE CHAINSMOKERS (vor einem Jahr die erste Ankündigung für 2025) zwei interessante Bezüge zur vergangenen Ausgabe gibt. Wir gucken einfach mal, was passiert …

Ja, alt geworden sind wir heute nicht – trotzdem hat die Stippvisite am Gelände einen interessanten Aspekt unterstrichen, der ohnehin generell aus dem Booking des Festivals spricht: Als wir ankommen, spielen gerade die freundlich sonnigen Alt-Rocker TOCH aus Córdoba in Argentinien auf der Orlen Stage, wenig später legt CÉSAR CHUNK aus Lima, Perú auf der Cacao Stage auf und kombiniert dabei Chill Beats mit Cumbia – und als wir uns von dort zum Ausgang aufmachen, macht dort das Duo SOFI TUKKER Party, das aus seiner Liebe zur Musik Brasiliens eine Karriere gemacht hat. Klar, dass Latin Music seit Jahren mehr und mehr zum globalen Thema geworden ist, ist kein Geheimnis. Dass sich das so facettenreich und großenteils abseits von Klischees abspielt wie hier auf dem Colours, ist aber trotzdem der Rede Wert – und ein guter Grund, auch im nächsten Jahr wieder genau aufs Line-up zu gucken und vielleicht wieder hier im Osten Tschechiens vorbeizuschauen.

www.colours.cz

Hotel

Wir wohnen wieder im Designhotel city.city – abseits des größten Trubels, trotzdem nur einen kurzen Trip mit der Tram vom Festivalgelände entfernt. Man kann sich an einigen hübschen Design-Ideen erfreuen. Ob wir mittlerweile den Ventilator vorfinden, den wir im vergangenen Jahr so schwitzlich vermisst haben – wir werden sehen.

www.city-city.cz

Gastronomie

Auch in diesem Jahr unser absolutes gastronomisches Highlight: Hogo Fogo. In dem in einem Backsteinbau – dem Vernehmen nach das älteste Gebäude in der ellenlangen Sokolská-Straße – untergebrachten Bistro kommen Tapas ebenso auf die Tische wie Udon-Nudeln und Portobello-Burger. Geheimtipps: die kalte Gurkensuppe Tarator (ein Klassiker der Balkanküche und hier nach bulgarischem Rezept zubereitet) und der Kokos/Mango-Salat.

Toll ist übrigens auch das französische Lokal La Petite Conversation, dessen Besuch dank wöchentlich wechselndem Menü immer wieder den Besuch wert ist. Erfreulicherweise sind die fantastischen Spinat-Kroketten auf Auberginen-Aioli Teil der Dauerkarte.

www.hogofogobistro.cz | www.lapeco.cz

Die Reise wurde unterstützt durch CzechTourism.

www.visitczechia.com

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