POPTRAVEL. Unter diesem Namen berichten wir in unregelmäßigen Abständen vermehrt von unterwegs: Porträts, Interviews, Konzert- und Festivalberichte im berühmten Blick über den Tellerrand. Unser Trip durch Finnland bringt uns nun von Helsinki rund 200 Kilometer nach Norden – nach Tampere …
Tolkiens immergrüner Klassiker Der Herr der Ringe hat Fans über Generationen und Landesgrenzen hinweg – dass gerade in Tampere, der zweitgrößten Stadt Finnlands, eine exklusive Adaption des Fantasystoffes für die Bühne produziert wird, ist also an und für sich keine Sensation. Ein spannendes kommunales Kultur-Jointventure aber ist es allemal, wenn auf und vor der extra aus dem sich derzeit in Renovation befindenden Stadttheater Drehbühne Schauspieler*innen, Musiker*innen und Artist*innen unterschiedlichster Player zusammenfinden.
Copyright: Mikko Karsisto
In der ersten von zwei Pausen an diesem sich über mehr als vier Stunden erstreckenden Augustabend trafen wir Regisseur MIKKO KANNINEN zum Interview …
Herr Kanninen, welche Rolle haben Peter Jacksons Verfilmungen des Buches für Sie gespielt?
Ich mag die Filme überhaupt nicht – sie erzählen eine ganz andere Geschichte als das Buch und erfinden permanent neue Dinge. Als ich sie ansah, musste ich mich fortlaufend fragen: Warum macht ihr das?
Ihre Arbeit basiert also komplett auf dem Buch …
Ganz strikt – bis zu sehr langweiligen Fragen wie „Haben wir das richtige Schwert für diese Szene – hat es einen gelben oder blauen Griff?“
Wir fragen, da und das Casting teils sehr an die Verfilmungen erinnert – Ihr Frodo etwa scheint Elijah Wood förmlich aus dem Gesicht geschnitten …
Okay. Auf der anderen Seite gab es bei den Filmen einige sehr merkwürdige Entscheidungen. Boromir etwa war komplett falsch besetzt, genau wie Aragon. Der Aragon im Buch ist 125 Jahre alt – ein Viggo Mortensen mit seinen 30 Jahren oder so (Mortensen war zur Premiere von Der Herr der Ringe: Die Gefährten 43 Jahre alt, Anm. d. Red.) kann nicht die Lösung sein. Es braucht diese bestimmte Qualität eines lange gelebten Lebens. Tolkiens Boromir ist auch nicht so ein Sensibelchen, sondern ein tougher Fighter, der im Grunde nichts anderes versteht als Gewalt. Über Gimli wollen wir gar nicht erst reden – in den Filmen ist er eigentlich überhaupt nur für Comedy zuständig. Ich denke ist … (überlegt eine Weile) eine Schande.
Das Casting für diese Show wurde demnach von ihnen geleitet?
Ja – ich bin ein ziemlich Diktator. Ich kontrolliere alles – und das seit vier Jahren bis zurück zum Bau der verschiedenen Sets. Überhaupt bin ich der härteste Kritiker – auch heute Abend dachte ich bei einigen Szenen, oh nein, bitte nicht so, nicht so, nein, nein, nein, nein, nein.
Zum Beispiel?
Als Frodo verletzt wird, haben sich die anderen Hobbits zu lange zu weit weg aufgehalten. Sie sind in der Ecke geblieben, hätten aber direkt bei Frodo sein sollen. Das Orchester hat natürlich weiter gespielt, doch einige Sekunden lang war Stillstand auf der Bühne.
Copyright: Antti Yrjönen
Was an dieser gewaltigen Produktion hat sich als besonders große Herausforderung gestaltet?
Die Monster. Sie sind so episch. In der nächsten Szene (nach der Pause, Anm. d. Red.) haben wir Balrog. Er ist 40.000 Jahre alt und besteht aus schwarzen Flammen – sehr abstrakt. Es war schwierig, das in eine visuelle Form zu bringen. Und ja, die Schwarzen Reiter, denn sie sind im Grunde Geister.
Tatsächlich eine unserer Lieblingsszenen im ersten Akt …
Für verwenden hier im Wesentlichen eine traditionelle, sehr alte Technik, das Schattentheater aus Bali.
Themenwechsel: Das Orchester spielt großartig, Lieder waren allerdings bislang nicht zu hören …
Das Tolkien Estate hat uns die Rechte dafür nicht zur Verfügung gestellt.
Überhaupt – das Ganze hier ist sicher eine teure Angelegenheit?
Ursprünglich hatte ich Harry Potter produzieren wollen, doch nach Verhandlungen von sechs Monaten erhielten wir plötzlich die Information, dass wir für die Rechte mehrere Millionen an J.K. Rowling zahlen müssten. Ich dachte mir nur: Okay, vergesst es! Im Vergleich dazu ist das hier deutlich billiger (lacht)
Dennoch …
Ja, doch es ist nicht so offensichtlich, welche Punkte besonders kostspielig sind. Das Orchester etwa ist nicht so teuer. Es ist das Stadtorchester, und wir konnten einen Deal mit Tampere abschließen, nach dem wir die Musiker*innen monatlich bezahlen (nach den Aufführungen jetzt im Herbst gibt es rund 15 weitere im Dezember und im Januar, Anm. d. Red.). Hätten wir normale Freelancer-Sätze zahlen müssen, wäre es astronomisch geworden. Auch das Set kostet nicht mehr als unsere normalen Musical-Produktionen. Was es teuer macht: Dieser Saal (neben dem des Stadttheaters, wo Kanninen normalerweise arbeitet (Anm. d. Red.) hat weder eine vernünftige Lichtanlage noch das nötige Audio-Equipment. Die Videoprojektoren müssen wir also mieten, das geht richtig ins Geld.
Ist das der Grund, warum wir keine Untertitel-Bildschirme sehen wie im klassischen Opernmodell? Immerhin haben Sie zur Aufführung eigens Untertitel in anderen Sprachen produzieren lassen, die man über eine App auf dem eigenen Handy verfolgen kann …
Das Publikum will das nicht und ich will es auch nicht (lacht). Optisch ist das … aaaargh! Und: Wir haben zwar einige internationale Besucher und Besucherinnen, doch es hält sich doch sehr in Grenzen.
Werden Sie mit der Show auf Tour gehen?
Unmöglich. Der Aufbau des Sets dauert etwa zwei Wochen, allein für den Einbau der Drehbühne brauchen wir zwei Tage. Auch der Abbau dauert noch mal fünf bis sieben Tage.
Zum Abschluss: Was verspricht die Zukunft?
Wir produzieren eine große „westliche“ Produktion im Jahr, 2025 wird es Singing In The Rain sein, im vergangenen Jahr war es Anastasia, davor Der Glöckner von Notre Dame. Aber ja … ich muss wohl den Hobbit noch einmal lesen …
Die letzte Glocke zum Pausenende hat geläutet – vielen Dank für das Gespräch!
Copyright: Mikko Karsisto
Hotel
Das Courtyard by Marriott Tampere City is wahrlich kein sonderlich schönes oder überhaupt interessantes Hotel – aber es befindet sich im selben Gebäudekomplex wie Tampere Theatre und Tampere Hall, wo die Aufführung stattfand. Bei einem so kurzen Weg ins Bett nach der langen Aufführung – keine Klagen über mangelnden Charakter. Ebenfalls unter dem selben Dach des größten Konferenzzentrums im Norden Europas befindet sich übrigens das hinreißende Muminmuseum.
www.marriott.com | www.muumimuseo.fi
Gastronomie
Villit Ja Viinit ist ein cooles kleines Bistro-Bar-Biest direkt neben dem mittlerweile als Fine-Dining-Top-Adresse etablierten Kajo im Zentrum von Tampere. Inoffiziell eine Art Testküche für den reifen Bruder nebenan, kann man in dem angenehm schummrigen Lokal junge finnische Küche mit nahezu ausschließlich regionalen Zutaten entdecken. Spannend auch die Drinks, in denen auch schon mal ein fantastischer, im mit Kakao ausgeriebenen Fass gereifter Rum aus Panamá zum Einsatz kommt.
Die Reise wurde unterstützt durch Visit Tampere.