Im Interview: Regisseur MARC HELFERS zum Film „Rockbottom“

Ich möchte nicht sagen „Helft doch diesen Armen!“.



Erst kürzlich haben wir über den Film Rockbottom – Song Of No Money berichtet und dabei zur Unterstützung der

Der Trailer zum Film on Vimeo.

Im Trailer sagst du, du seist angesichts des äußeren Erscheinungsbildes von seinem Talent überrascht worden. Bleiben Talente durch das Werten anhand von Stereotypen auf der Strecke?

MARC: Ganz viel hängt auf jeden Fall an Styling und ersten Eindrücken! Der erste Eindruck bei Brad war wirklich „Der arbeitet doch bei der Müllabfuhr!”. Aber wenn der dann singt wie PRINCE, dann merkt man, dass man sich getäuscht hat. Trotz allem soll das kein mitleidserregender Film werden. Ich möchte eher schauen, ob Armut sogar individuale Inbrunst ausmacht, weil viel mehr an der Musik hängt. Ist dies solchen Menschen wichtiger als einem Rockstar? Wie kann Armut als Push für die Kunst dienen?

Ihr habt auch schon eine zweite Episode mit einer Künstlerin namens TEXAS TERRI BOMB gedreht. Was ist das für ein Mensch und wie stößt man auf einen solchen?

MARC: Unsere Grafikerin meinte, dass sie eine Person kennt, die um die Ecke wohnt und ebenso in den Film passen würde. Tex wohnt in Neukölln, ist mit fast 60 eine Legende des Punk-Rock´n`Roll, hat schon mit erfolgreichen Bands gespielt, war früher mit ANGELINA JOLIE befreundet und hat schon in einem Video von MARILYN MANSON gespielt. Leider ist sie irgendwann von L.A. nach Berlin gegangen, spielte dann kaum noch Konzerte und sitzt jetzt krisengeschüttelt in Neukölln in ihrer Wohnung. Tex denkt ganz viel darüber nach, was noch aus ihr werden kann. Sie hat diesen Status Underground-Legende, kann sich aber nichts davon kaufen. Jedenfalls war sie so nett mit uns zu drehen. Per Crowdfunding versuchen wir jetzt noch mehr Menschen dieser Art für Episoden zu finden.

In Berlin selber gibt es tatsächlich schon eine Menge talentierte und in Armut lebende Musizierende. Warum wollt ihr dann in fünf verschiedenen Städten und fünf verschiedenen Ländern drehen?

MARC: Ganz klar, ja, in Berlin gibt es auch schon Leute dieser Art zu finden. Mir ist einfach wichtig, dass es musikalische Genies sind und jeder Ort eine eigene Geschichte erzählt. Ich möchte, dass die Städte zum Thema Armut passen. Berlin und New York tun das schon, aber die anderen drei Städte werden noch sehr viel mehr mit Armut zu tun haben. Zum Beispiel Kingston in Jamaica, Mali in Afrika oder auch Beirut im Libanon. So gibt der Film noch mal ein anderes Bild von Orten und Umfeld her, an denen man arm sein kann.

Ist es dabei problematisch, eine Hierarchie zwischen den Faktoren Armut, Leid und Talent in Bezug auf Menschen aufzubauen und anhand dessen abzuwägen, wer in den Film passt und wer nicht?

MARC: Ich würde es eher als interessantes Spannungsfeld für den Film bezeichnen, nicht als Problem. Es geht eher um die Gefahren der Armut, als um die Armut an sich. Bei einer jeden Person wird sich das anders äußern. Die Sache ist die: Ich erzähle keine Meinung über Armut und möchte diese nicht beurteilen, sondern ich drehe einen Film, der durch seine Musik und dem, was die Leute erzählen, lebt. Ich möchte nicht sagen „Helft doch diesen Armen!“. Ich möchte zeigen, wie Armut Kreativität speist. Dabei soll es um rebellische Musikformen wie Reggae, Hip Hop oder Punk gehen. Der Film wird dann zeigen, welche Rollen die Menschen in Bezug aufeinander spielen.



Noch mal auf den Punkt gebracht: Woran liegt es, dass Menschen wie Brad mit ihrer Musik nicht wirklich Geld verdienen?

MARC: Das liegt bei Brad ganz sicher an ihm selber. Er singt nur Lieder von anderen Leuten, zieht immer das gleiche Hemd an und stellt sich damit total seltsam an die Ecke von einem Supermarkt. Er sagt immer, New York sei früher dreckig und kriminell gewesen, mit vielen Drogen und wilden verrückten Typen. Typen wie ihn soll es in den 70ern in Fülle gegeben haben. Heute ist das nicht mehr so. Brad ist einer der letzten Überlebenden im Kampf gegen das neue New York. Und dieser Kampf ist ihm so wichtig, dass er dieses Leben aus der Selbstentscheidung heraus führt. Er ist lustig, er hat eine super Stimme, er hat es drauf, aber insgesamt brockt er sich das selber ein.

Brad sagt „I’ve had a lot and I’ll have a lot again!“. Das hört sich für mich nach dem amerikanischen Traum „from rags to riches“ an. Ganz konsequent pocht er ja doch nicht auf dieses „Wilder Typ der 70er“-Ding…

MARC: Genau, es ist schon sein Wunsch, klar! Der Traum gehört schon dazu, aber er macht alles seit 30 Jahren so! Er geht vier Mal die Woche die gleichen Lieder singen und sitzt ansonsten in seinem Auto. Ich habe ihn schon gefragt, ob er sein Leben tauschen würde, wenn ich ihn zu dem Sänger von THE KILLERS machen könnte und da musste er erst lange überlegen. Er steht total zu seinem Leben, braucht nur das und empfindet es als das Ehrlichste der Welt. Eigentlich geht es ihm ganz gut so.

Diese Ehrlichkeit unterstreicht wohl auch deine Ansicht, dass Musik voller Leid und Standhaftigkeit die wahren musikalischen Helden hervorbringt. Mal anderesherum gefragt: Welche Art von Musiker ist für dich nicht heldenhaft?

MARC: Es gibt natürlich auch tolle Musik, die sich nicht aus Leid speist. Die meisten träumen aber doch von Wahrhaftigkeit und wollen diese in der Musik spüren. Heute sind die alle 24, eine Frau singt, drei Jungs stehen daneben und dann wird über Gefühl gelabert. Man selber hat aber eigentlich das Gefühl, dass die Gefühle Mittel zum Zweck sind. Die wollen eine Tour, in den Backstage-Bereich, zum Freibier oder zum Festival-Auftritt gelangen. Oft erlebt man einfach nur abgezockte Geldmacherei mit Musik!

Zum Abschluss bitte drei Schlagworte: Was soll durch deinen Film beim Zuschauenden rüberkommen?

MARC: Ich will, dass das Publikum durch die Musiker inspiriert wird. Inspiration! Es soll gezeigt werden, wie Musik einen stark machen kann. Menschlich zeige ich Personen, die den Abgrund des Lebens vor sich haben und die Musik stark macht. Respekt davor! Und ein bisschen geht es auch um Unterhaltung. Auf keinen Fall möchte ich sagen „Die böse Welt, sie gibt den Musikern zu wenig Geld!“.

Das reimt sich. Das kommt gewiss rüber.

MARC HELFERS & MARTIN GROSS
Rockbottom – Songs Of No Money
(Neue Stereo Filmproduction)

www.indiegogo.com/projects/rockbottom
www.facebook.com/RockbottomFilm
www.rock-bottom.info

Autorin: [EMAIL=carina.hartmann@popmonitor.de?Subject=Kontakt von der Website]Carina Lisa Hartmann[/EMAIL]

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