Interview mit BLONDE REDHEAD


Ein konstruktives Gespräch mit einer (vermeintlich) dekonstruktiven Band.



BLONDE REDHEAD haben vor wenigen Wochen ihr nunmehr achtes Studioalbum namens Penny Sparkle veröffentlicht und nahmen dies erfreulicherweise als Anlass, ihre legendären Live-Künste einmal wieder unter Beweis zu stellen. Kurz vor ihrem Auftritt in Kreuzbergs Indie-Hochburg „Lido“ und entsprechend kurz vor dem Trancezustand, in den das New Yorker Trio einen mit seiner Musik zu versetzen vermag, bekamen wir im lidotypischen Rosaschimmer auf roten Samtsitzen die Gelegenheit, mit Silberlocke Amedeo Pace, Gitarrist und Sänger der Band, ein etwas unkonventionelles Interview zu führen.

Es sollte nämlich weniger um das neue Album, das sich sowieso von selbst erklärt, als vielmehr um die ganz subtilen Dinge des Lebens gehen: um das Schaffen von Kunst, um Liebe und Glück und Zeit. Amedeo stellte sich als sehr selbstkritischer und nicht ganz unmelancholischer Gesprächspartner heraus, der sich trotz ständiger Unterbrechungen durch das übliche Getöse vor einem Gig nicht vom Thema abbringen ließ und dessen Blick sich des Öfteren in einer Ferne verlor, deren Ziel nur seinen Augen bekannt ist.

popmonitor.berlin: Bevor wir uns über die existenziellen Dinge im Leben unterhalten werden, doch noch eine Frage zu Penny Sparkle: Seit seinem Vorgänger 23 habt ihr euch soundtechnisch sehr verändert. Was verändert sich eigentlich zuerst, wenn eine Band solch einen Wandel erfährt; die Personen oder die Musik?

Amedeo: „Ich denke beides hängt stark zusammen, aber besonders und zuerst ist es die Musik.“

Wie unerwartet. Dann beginnt der Erneuerungsprozess also im Schaffen und nicht etwa davor, indem ihr euch z.B. vornehmt, etwas ganz Neues zu machen, da ihr euch ganz anders fühlt?

Amedeo: „Naja, wir wollen immer etwas Neues machen, ob es dann klappt, ist wieder eine andere Frage. Aber der Wandel kommt dennoch ganz natürlich. Wir haben niemals wirklich eine Idee im Kopf bevor wir mit etwas Neuem anfangen, denn konkrete Ideen sind immer gleichzeitig Begrenzungen deiner eigenen Möglichkeiten. Es ist wichtig, offen zu bleiben. Besonders, da die Songs selbst meist vieler Entscheidungen bedürfen und ganz eigene Dynamiken haben, sich selbst immer wieder während des Schreib- und Aufnahmeprozesses verändern.“



Jetzt ist deine Dynamik gefragt: Was fällt dir als erstes ein, wenn du das Wort „Liebe“ hörst?

Amedeo [zögert einen kurzen Moment]: „Stürzen.“ (orig. „Falling.“)

Warum?

Amedeo: „Weil man sich selbst verliert, wenn man sich verliebt.“

Macht dir das Angst?

Amedeo: „Ja, es kann sehr angsteinflößend sein. Wenn du dich für eine wirklich lange Zeit selbst abgeschirmt hast und dann kommt da plötzlich diese andere Person und auf einmal bist du nicht mehr frei. Dir wird bewusst, wie abhängig du plötzlich bist. Ich weiß nicht genau, woran das liegt, ich denke für mich ist es.. ich denke, jeder erlebt das auf ähnliche Art und Weise, oder nicht?“

Heutzutage schon, aber vielleicht war es ja nicht immer so, sondern hat mit unserer postmodernen Gesellschaft zu tun. Aber was du gerade gesagt hast, erinnert an eine Rezension, die BBC zu eurem neuen Album geschrieben hat. Darin heißt es, dass BLONDE REHEAD eine Band ist, die freizügig schafft, nur um dann zu dekonstruieren [„a band who lavishly builds up only to deconstruct“]. Ist es in dem Sinne mit der Liebe vielleicht wie mit eurer Musik?

Amedeo: „Irgendwie schon, ja. Wobei ich aber sagen muss, dass ich genau aus dem Grunde versuche, Emotionen außerhalb meiner Musik zu lassen, weil man ihnen nicht trauen kann. Für den Moment mag es sich immer richtig anfühlen, aber dann wird es unreal. Ich kann meinen Emotionen nicht vertrauen, da sie meiner Erfahrung nach in der Musik nur anfangs funktionieren, wenn du das Resultat das erste Mal hörst. Beim zweiten oder dritten Mal verschwindet der Effekt dann und es wird uninteressant. Ich versuche daher auf andere Dinge, zum Beispiel Energien, zu vertrauen.“

Aber sind Emotionen nicht auch eine Form von Energie?

Amedeo: „Doch, sicherlich. Aber die Energie, an die ich denke, ist von einer anderen Sorte: Sie macht dich nicht traurig oder glücklich. Und sie verschwindet nicht. Wenn du zu viel an persönlichen Emotionen in deine Musik transferierst, dann fühlst du nur im ersten Moment etwas, aber dieses etwas wird mit jedem Mal Hören blasser und blasser und wirkt dekonstruierend.“

Es geht also um den Unterschied zwischen einem bloßen Impuls und tatsächlicher Kunst, wenn man davon ausgeht, dass Kunst immer das Resultat eines Impulses ein sollte; auf ihn folgen Technik und Abstraktion und letztendlich entsteht das Produkt bzw. die Kunst?

Amedeo: „Genau. Und das Resultat, also die Musik, sollte den Menschen immer den Raum für eigene Empfindungen geben. Wenn du ihnen alles vorgibst, dann werden sie sich nicht identifizieren können. Sie brauchen ihren eigenen Raum, und den versuche ich ihnen einzuräumen. Denn darum geht es doch: Ums Teilen und um Liebe. Darum, gut zu sein. So funktioniert das mit jeder Kunst. Manchmal kann schon ein einzelnes Wort, ein so minimalistisches Ding, so unglaublich stark sein. Das möchte ich mit der Musik auch erreichen, auch wenn es schwer ist.“

Danke. Und jetzt das Wort „Glück“. Was bedeutet für dich „Glück“?

Amedeo: „Glück..hm..Glück. Ich habe darüber schon viel nachgedacht und ich habe das Gefühl, dass wir alle die richtigen Entscheidungen dafür treffen müssen. Wenn wir das nicht können, dann wird sich niemals etwas verändern und früher oder später verlieren wir den Fokus. Ich denke also, dass wir unbedingt herausfinden müssen, was wirklich wichtig für uns ist, was essenziell ist.

Und was ist es, dass dich glücklich macht?

Amedeo: „Oh.. ich bin kein Glückskind, leider.“

Dann bist du also Opfer deiner eigenen Falle geworden? Du hast nicht die richtigen Entscheidungen getroffen?

Amedeo: „Nun, ich glaube manchmal stimmt das Timing einfach nicht, wenn du an etwas glaubst, aber es ist nicht die richtige Zeit dafür. Ich glaube, das passiert vielen Künstlern.“

Und du zählst dich da dazu?

Amedeo: „Manchmal schon, ja.“

Aber so geht es doch allen. Glücklich bis ans Ende aller Tage gibt es nur im Märchen.

Amedeo: „Ja, stimmt, aber… nun, ich glaube, dass es mir passiert ist, da ich immer meinem Gefühl gefolgt bin. Dem Gefühl, dass ich das jetzt machen muss, auch wenn es nicht die richtige Zeit dafür ist. Hätte ich es nicht getan, wäre ich nicht ehrlich mit mir selbst gewesen. Aber es war trotzdem nicht die richtige Zeit dafür. Ich glaube, Glück ist immer auch mit der Zeit verbunden und ihr gegenüber sind wir oft machtlos. Wenn ich morgen einen Unfall habe und alles vorbei ist, dann ist es eben das falsche Timing gewesen, aber das kann ich vorher nicht wissen. Es hat alles immer mit der Zeit zu tun.“

Leider war es an dieser Stelle – Stichpunkt falsches Timing – Zeit für Amedeo, noch schnell die Pizzeria gegenüber zu konsultieren, bevor es ab auf die Bühne für ein großartiges Konzert der professionellsten Extraklasse ging, welches nicht den geringsten Zweifel daran ließ, dass zumindest BLONDE REDHEADS kompositorische Entscheidungen definitiv immer die richtigen gewesen waren.

Offizielle Homepage:
http://www.blonde-redhead.com

Myspace:
http://www.myspace.com/blonderedhead

Autor: [EMAIL=daniela.saleth@popmonitor.de?Subject=Kontakt von der Website]Daniela Saleth[/EMAIL]

FacebooktwitterpinterestlinkedintumblrmailFacebooktwitterpinterestlinkedintumblrmail