Meat Loaf | Zwischen Mozart und Brando

meat-loaf_martinhausler_popmonitor_2016Foto: Martin Häusler

Eigentlich sind wir mit MEAT LOAF verabredet, um mit ihm ein Track-By-Track-Feature zu Braver Than We Are aufzunehmen, das wie die beiden ersten Bat Out Of Hell-Alben wieder in Zusammenarbeit mit seinem langjährigen Freund und Stammkomponisten JIM STEINMAN entstanden ist. Doch die Tür ist noch nicht ins Schloss des plüschigen Salons gefallen, da ergreift der Mann schon das Wort und erklärt uns, warum das seiner Meinung nach nicht funktioniert…


Ich habe gehört, ihr macht diese Track-By-Tracks mit vielen Künstlern. Dazu muss ich erst mal eines sagen: Ich bin nicht wie die meisten Künstler. Tatsächlich bin ich anders als alle anderen Künstler, und über dieses Album kann man nicht Song für Song reden. Das ist, als würde man Mozart bitten, Takt für Takt über ein Konzert zu reden. Es ist ein nahtloses Werk, in dem die einzelnen Songs einander überlappen. Wenn ich könnte, würde ich die Slide Guitar von Lynyrd Skynyrds Rickey Medlocke aus dem letzten Stück mit dem Bluesriff aus dem ersten Stück verknüpfen und den Menschen dieses Album ohne Ende schenken, für die Ewigkeit. Ich kann dir sagen, dass „Who Needs The Young“ der erste Song ist, den Jim Steinman je geschrieben hat.

Steht der Song deshalb auch zu Beginn der Platte?

Nein, das hat damit gar nichts zu tun, denn der dritte Song ist der letzte Song, den er je geschrieben hat. Und er wird nie wieder einen anderen schreiben.

Das ist hiermit verbrieft?

Ja.

Das kannst du sagen, ohne eine Träne zu zerdrücken?

Ja. Sein Musical hat im März Premiere in Manchester, die Erfüllung eines Traumes, den er seit mehr als fünfzig Jahren hat. Jetzt gerade sitzt er zu Hause und ist ein absolutes nervliches Wrack wegen dieser Platte. Er denkt, dass es das beste Album ist, das er je gemacht hat, das wir beide je gemacht haben. Wir beide denken das. Es ist unser Meisterwerk. In unseren bisherigen Alben waren die Songs wie eine Reihe verschiedener Flüsse. Dieses Album ist ein Ozean.

Dann führ uns doch ein bisschen durch die Bewegungen dieses Ozeans…

Du musst dich in meine Rolle als Sänger versetzen. Die Figuren, die die verschiedenen Songs singen, interpretiere ich als 19-Jährige, denn Jim schrieb „Who Needs The Young“, als er selbst 19 war. Wie im Übrigen auch andere der Songs, etwa „Skull Of Your Country“. Die Zeile „turn around, bright eyes“ tauchte erstmals in diesem Song auf, ehe Jim sie in „Total Eclipse Of The Heart“ für Bonnie Tyler verarbeitete. Dies war das Original.

Zurück zu deinen Interpretationen der Figuren…

Die schwierigste Figur war die aus „Souvenirs“. Ich verbrachte sechs geschlagene Tage und jeweils etwa 14 Stunden am Tag mit nichts anderem als den Lyrics, um mich in die Figur zu versetzen – aber ich fand sie einfach nicht. Schließlich stieß ich auf die Zeile „I don’t wanna play with you no more“ und sagte mir, hm, das ist eher ein 13-Jähriger. Aber wie mache ich ihn sechs Jahre älter? Es ist immer noch schwierig, und auf der Bühne wird mir das wohl auch nicht gelingen.

Wieso das?

Marlon Brando hat beim Studieren der Skripts immer als erstes versucht herauszufinden, was die Manierismen seiner Figur waren. Ist dieser Mann Links- oder Rechtshänder, ist er gehumpelt, fasst er sich ins Gesicht, kratzt sich am Kopf und so weiter? So mache ich das auch live: Ich gebe jeder Figur eine eigene physische Gestalt, eigene Bewegungen. Alle Figuren dieses Albums hintereinander live auf der Bühne? Das ist unmöglich. Aber im Studio ging das, und ich habe ihre Manierismen in den Aufnahmeprozess integriert. Bei „Train Of Love“ etwa behielt ich die ganze Zeit über eine Hand in der Tasche. Der Junge in den Lyrics ist verloren und versucht herauszufinden, wer er ist. Wie überhaupt dieses ganze Album von der Wahrheit handelt.

Wie meinst du das?

Da ist dieses kleine Stück auf dem Album, „Only When I Feel“. Als ich ins Studio kam, um mir anzuhören, was ich am Vortag aufgenommen hatte, hatte Paul (Crook, der Produzent des Albums, Anm. d. Red.) das Stück zusammengesetzt. Alles war perfekt, die Wörter, der Ton, das Tempo, es war fast engelsgleich. Und ich sagte ihm: „Oh my god, that is so wrong!“ Es passte überhaupt nicht zum Rest des Albums und war so auch nicht wahrhaftig. Der Junge im Song ist ein Serienmörder, der schon Schaum vor dem Mund hat. Also haben wir das Stück noch einmal neu aufgenommen.

Die Interpretation der Figuren, das Verweben der Stücke ineinander – dein Einfluss auf die endgültige Form des Albums ist größer, als man denken könnte, da die Songs ja allesamt aus der Feder von Jim Steinman stammen…

Das ist richtig. Jimmy kann gar nicht fassen, was ich hier getan habe, wie ich die Songs, die für ihn unabhängige Einzelteile waren und zusammen höchstens ein Patchwork ergaben, zu einem großen Ganzen vereint habe.

Eine ganz besondere Vereinigung war auch die von Ellen Foley und Karla DeVito, die seit der unglücklichen Situation um „Paradise By The Dashboard Light“ nicht miteinander geredet hatten. Wie kam es dazu, dass beide nun für „Going All The Way“ zusammen im Studio standen?

Wir wollten zwei weibliche Stimmen für den Song, und so schlug Jim vor: „Lass uns Karla und Ellen holen!“ Da Jim noch in losem Kontakt zu Ellen stand, rief er sie an, während ich parallel Karla fragte. Sie war sofort dabei, doch Ellen war noch unschlüssig, und ich musste sie erst überzeugen. Karla kam aus Indiana, Ellen aus New York, und wir buchten die Flüge so, dass sie in etwa zur gleichen Zeit in Nashville landeten. Sie wohnten im selben Hotel, und so begegneten sie einander beim Check-In an der Rezeption. Ich weiß nicht, wer als erste sagte, komm, lass uns zusammen essen gehen, aber so kam es. Was auch immer dort passierte, danach war im Grunde alles vergeben. Wie auch immer, Jim und ich wussten von all dem noch nichts und hatten zwei Taxis für den folgenden Tag gebucht – doch sie kamen im gleichen Auto. Wir waren drei oder vier Tage alle gemeinsam im Studio, aßen miteinander Lunch, saßen zusammen auf dem Balkon und redeten. Es war eine wunderbare Zeit für alle.

MEAT LOAF
Braver Than We Are
(429 Records / Caroline / Universal)
VÖ: 09.09.2016

www.meatloaf.net

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