Vor 25 Jahren erschien ein Soundtrack, der Teil eines einzigartigen pseudodokumentarischen Marketingkonzeptes war: Josh’s Blair Witch Mix war ein Mixtape, das man angeblich im Auto eines Vermissten gefunden hatte, dem Protagonisten/Schauspieler Joshua Leonard aus The Blair Witch Project. Die Datenträger dieses Films, der 1999 in die Kinos kam und dem Genre des Found Footage-Horrors zum Durchbruch verhalf, seien im Fundament eines abgebrannten Hauses entdeckt worden, so wurde behauptet. Sein Soundtrack war eher ein Gimmeck, denn keiner der Gothic-, Industrial- und Elektrosongs kamen im Film vor. Sie sollten hier einer Figur mehr Tiefe verleihen, die sie angeblich zusammengestellt hatte.
Bevor der Film veröffentlicht wurde, hatten die Regisseure Daniel Myrick und Eduardo Sánchez zusätzlich Hinweise und Pseudo-Daten als Hintergrund auf Webseiten im Internet platziert. Neben weiteren Filmen, Comics und Videospielen zog der Film übrigens auch zwei Bücher von D.A. Stern nach sich, die ebenfalls gefakte Fotos und Dokumente versammelten, um die Geschichte glaubhafter zu machen. Dank dieser multimedialen Synergie dachten zum Filmstart tatsächlich Tausende Menschen weltweit hier echte Beweise paranormaler Phänomene vorliegen zu haben.
Der Plot des Films ist schnell erzählt: Drei Studierende, die 1994 einen Dokumentarfilm über den urbanen Mythos einer Hexe drehen wollen, verirren sich im Wald und verschwinden. Gewalt oder gar eine Hexe sind nicht zu sehen. Der Horror spielt sich allein im Kopf des Zuschauers ab, der durch die wackeligen Videokameras der Figuren und somit durch ihre Augen blickt.
2014 veröffentlichte die Kritikerin Alexandra Heller-Nicholas eine Filmtheorie, die einen realistischen Blick auf das Gezeigte warf: Was, wenn der ganze jahrhundertelange Mythos über eine böse Hexe im Wald von Burkittsville in Maryland nur ein riesiges Ablenkmanöver vom eigentlichen Thema ist? Es werden ja eigentlich keine paranormalen Phänomene gezeigt, wohl aber zwei junge Männer, die offenbar eine junge Frau ins Verderben locken. Was, wenn Josh und Mike ihre Kollegin Heather nur in den Wald, dann in ein Haus und schließlich in einen Keller führen, um sie dort zu ermorden?
Entsprechend wirft diese Theorie ein dunkles Licht auf die Zusammenstellung an Titeln auf der CD. Es sind 12 düstere Titel, die Josh einen erstaunlich feinen Musikgeschmack attestieren. Die Tracks umfassen auch drei Titel, denen die Producer Skits aus dem Film vorangestellt haben. So ist es auch bei „Gloomy Sunday“, bei dem Heather über einen Friedhof informiert. Der legendäre Jazztitel des ungarischen Komponisten REZSO SERESS, handelt von einem Liebesselbstmord, der nicht nur zahlreiche Selbstmorde inspiriert haben soll, sondern auch Dutzende Covers wie von SERGE GAINSBOURG, SINEAD O’CONNOR und MATT ELLIOTT hervorbrachte. Hier ist es LYDIA LUNCH, die ihn nachsingt.
„The Order Of Death“ von PUBLIC IMAGE, „Kingdom’s Coming“ von BAUHAUS und „Haunted“ von TYPE O NEGATIVE sind Gothic-Klassiker, die Josh als Gothic-Fan ausweisen sollen. Tracks wie „God Is God“ von LAIBACH zeigen ihn als religionskritisch, bzw. sich der Nutzbarkeit von Mythen für Ideologien bewusst.
An alte Ambient- und Industrial-Stücke wie „Draining Faces“ von SKINNY PUPPY und „Laughing Pain“ von FRONT LINE ASSEMBLY schließt das Dark Ambient-Stück „The Cellar“ von ANTONIA CORA an, das direkt für den Abspann des Horrorfilms produziert wurde. Zudem scheint „She’s Unreal“ von der Elektroband MEAT BEAT MANIFESTO direkt auf die Hexe von Blair zu verweisen und darauf, dass sie nur ein Mythos ist, der für Morde als Rechtfertigung genutzt wird. Das Mixtape verschafft Josh kein Alibi.
Josh’s Blair Witch Mix – The Blair Witch Project (Original Motion Picture Soundtrack)
(Chapter III Records)
VÖ: 13.07.1999