Eine Ballonreise.
Irgendwie hatte ich mich ein wenig auf den Support von Micachu And The Shapes gefreut. Und es ist doch selten, dass man bei einer großen Band wie BEIRUT die Vorband gespannt erwartet und sie nicht nur als eine zeitliche Blockade vor dem wirklichen Hauptact versteht. Ich hatte Gutes von Micachus Auftritt beim Berlin Festival gehört, die neue CD hatte mich überzeugt und so watschelte ich freudestrahlend in den riesigen Tempel des Astra, wo mir schon vage die ersten Töne entgegenströmten. Meine Miene sollte sich jedoch bald verdüstern, denn entgegen der Erwartung stand auf einmal eine größere Bandformation auf der Bühne und die Musik klang so gar nicht nach Erwartetem. Zwei Vorbands? Nein. Es war eine Band namens AN EMERALD CITY eingesprungen, deren Musik ich irgendwie schon mal besser bei Grails gehört hatte, bzw. beim letzten Album Floodplain des Kronos Quartetts. Der größtenteils rein instrumentale mystische Sound wurde geformt von einer pathetisch-kitschigen Violine, einem Alibi-Bongo-Trommler, effekthascherischen und billigen Elektro-Samples, esoterischem Gehabe, tausendmal in diesem Genre gehörten pseudoopulenten Crescendos, Vibrato-Gitarre und Laut-Leise-Effekten. Aua! Postrock starb dank AN EMERALD CITY wieder ein wenig mehr an diesem Abend und ich musste Micachu innerlich zu Grabe tragen.
Nun gut, Vorband hin, Vorband her, die Hauptband sollte ja noch kommen und das Publikum war in bester Laune. Bei dem leisesten Verdacht, jemand würde auf die Bühne kommen, wurde heftig geklatscht und Radau gemacht. Als es endlich soweit war und Zach Condon mit Gefolge die Bühne betrat, war es jenes heftige Klatschen, dass als einziges vermuten ließ, dass wir es hier mit Größen der Musik zu tun haben – neben dem pausbäckigen, bereits sehr unauffälligen Bubi Condon reihten sich die restlichen Musiker BEIRUTS in sympathischer Form gar genauso unscheinbar ein, dass man eine zweite Vorband hätte vermuten können. So effektlos ihr Äußeres jedoch schien, ihr musikalisches Auftreten war ein Spektakel, und so eröffneten sie gleich mit einem Knaller: ‚Nantes‘ lässt die Hallen des Astra erbeben und das Publikum frenetisch werden. Hierbei lassen sich aber auch die Probleme der Lokalität Astra wieder einmal schnell erkennen: Per aspera ad astra – „Durch Rauheit zu den Sternen“ ist das Motto. Um einen halbwegs guten Sichtplatz auf die „Sterne“ des Abends zu ergattern, bedarf es einer gehörigen Portion Nerven und Ellbogeneinsatz. Dicht zusammengedrängt wie Vieh stehen die meisten Zuschauer im Pulk der Leute, wobei sich einige die Hälse verrenken, um am zu groß geratenen Vordermann vorbeischmulen zu können. Ein weiterer Wermutstropfen ist der Bass, der wie immer zu laut ist und unsauber in der großen Räumlichkeit wirkt. Mit Rauheit durchs Astra.
Nichtsdestotrotz kann all das nicht die fantastische Laune von Band und Publikum trüben. Zach Condon wirkt in aller Bescheidenheit, seine Bandmitglieder mimen die Animateure. Er selber gibt sich zu keiner Gelegenheit sonderlich exponiert, er ist unterhaltsam bescheiden. Hier und da Aussagen der Dankbarkeit ans Publikum, später die Erklärung, er habe Fieber und sei somit nicht in bester Verfassung. Davon ist nur schwer etwas zu merken, denn zu überwältigend sind die pittoresken Klänge der beeindruckenden Gewalt von verschiedensten Blasinstrumenten, Zupfinstrumenten und allen vorstellbaren Geräten, aus denen man Töne hervorzaubern kann. Töne, die einen manchmal glauben lassen im schönen Süden Frankreichs im Café zu sitzen, während der eine laut, der andere leiser ‚A Sunday Smile‘ mitsummt, oder Condon als erste von drei Zugaben allein mit Ukulele das wunderbare Stück ‚The Penalty‘ spielt. Ein anderes Mal gewinnt man den Eindruck, man lausche der beschwingten Musik einer mexikanischen Straßenkapelle im trockenen Sand unter brütender Sonne. Dann wieder im nächsten Moment befindet man sich auf einer Waldlichtung in Osteuropa, versammelt um ein Lagerfeuer, bei welchem eine Truppe Zigeuner munter dahermusiziert, wie bei ‚Postcards From Italy‘. Der Applaus ist ohrenbetäubend. Viele aus dem Publikum klatschen schon während der Parts der Hörner, die wohl auch Condons liebstes Instrument zu sein scheinen – so kann man bei genauerem Hinsehen ein auf das rechte Handgelenk tätowiertes Horn sehen. Von Gulag Orkestar über The Flying Club Cup, bis hin zu den diesjährigen EPs Realpeople Holland und March Of The Zapotec wird alles gespielt.
Einige Enthusiastische aus dem Menschenhaufen schmeißen kurzerhand auch mal mit Konfetti um sich und Luftballons werden durch die Gegend befördert. Das ganze Konzert über halten sich ein roter und grüner Luftballon über den Köpfen der Feiernden. Der Anblick ist friedlich, ein wenig surreal und fern. Es passt sehr gut zu den Bildern, die BEIRUT musikalisch malen – fern vom alltäglichen, rauen Leben, sehnsüchtig, melancholisch, in feinster Nostalgie und ausschließlich für Träumer.
http://www.beirutband.com
http://www.myspace.com/beruit
http://www.astra-berlin.de
Autor: [EMAIL=marius.funk@popmonitor.de?Subject=Kontakt von der Website]Marius Funk[/EMAIL]