Berlin 2.0 – Scherbenhügel

Die Stuttgarter Post-Punker BERLIN 2.0 haben sich erst 2021 gegründet und einen angemessen heißkalten Sound kreiert. Sie versuchen auf dem Debüt Scherbenhügel, den allgemeinen Zynismus mit Unglücklichsein zu löschen. Im Mittelpunkt steht Sängerin ELENA WOLF. Um sie herum sind angeordnet die Gitarristen MATTHIAS MAUZ und HANNES SCHWARZ, Bassist EDUARD PETROLILLO und Drummer JOCHEN DAMIAN FISCHER.

Gegen die Gleichgültigkeit der Wohlstandsgesellschaft haben sie Petrolillos grollenden Bass dabei: „Benzo Heart“ greift ein scheußliches Gesicht der deutschen Vergangenheit an: den Wohlfühlschlager „Ein Bisschen Frieden“ von NICOLE. Man denke nur an den traurigen Rest der einstigen Friedensbewegung. Wolf wütet gegen diese Beseeltheit: „Ich hab‘ die Sonne explodieren seh’n! Du warst dabei, du warst dabei und hast gelacht.“ Auch in „Feind Am Tisch“ kann sie sich hier nicht einreihen: „Alle Phrasen nur Parolen für die falschen Ikonen, für ein bisschen Nostalgie.“ Will man wirklich dem Kleinbürgertum angehören? „Eigenheime, Hobbyräume und im Keller lagert Koks für 1000 Jahre.“ Jetzt, da die Flüchtlingsheime wieder brennen, zeigt es doch sein wahres Gesicht („Kairos“). Der Patriotismus winkt selbst dieser Band freundlich zu, doch sie nimmt mit rasenden Gitarren reißaus, weiß sie doch, dass er nur Maske des mörderischen Nationalismus ist („Deine Freiheit, Mein Problem“). Hier singt übrigens JOGGES von der kürzlich aufgelösten Hardcoreband EMPOWERMENT mit.

Wolf vermutet hinter der Weinerlichkeit der Liberalen eine Ablenkung von der eigenen konservativen Selbstverpanzerung, wie sie Kulturtheoretiker Klaus Theweleit schon in den 1970ern entdeckte (Männerphantasien). Während DEICHKIND und CLUESO das männliche Rumgejammer witzig ironisieren („Auch Im Bentley Wird Geweint“), ist Wolfs Ironie schnippisch („Boys Do Cry“): „Toxic Masculinity pisst trotzdem überall hin.“ Kann frau mann überhaupt vertrauen? Wolf will sich lieber kafkaesk in einen Käfer verwandeln, als sich der Liebe auszuliefern. So singt sie bedauernd mit anderen emanzipierten Frauen in „Gespenst In Der Wand“.

Auch den eigenen Wünschen, die sich in den Träumen zeigen, misstraut sie („Chimären“). Selbst der Todeswunsch meldet sich („Neben Mir“). Wie soll man auch nicht verrückt werden, wenn die Verschwörungsideologien im Netz kursieren („Kernel Panik“)? Berlin 2.0 begegnen dem heutigen Deutschland mit angebrachtem Grausen und Trauer.

 

Berlin 2.0
Scherbenhügel
(Flight13 Records)
VÖ: 02.06.23

www.linktr.ee/berlin.zwei.null

Live

16.09.23, Wiesbaden, Schlachthof
25.11.23, Stuttgart, Goldmark’s

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