Rufus Wainwright – Folkocracy

War der Hype um RUFUS WAINWRIGHT berechtigt, wenn er auf seinem letzten Studioalbum Unfollow The Rules mit larmoyanten Pianoliedern um die Ecke kam, die auch eine Popsängerin wie PINK hätte schreiben können? Am Ende ließ er den Hörer enttäuscht zurück und erbat sich eine Auszeit. Die nutzte er erstens, um 2021 mit dem Amsterdam Sinfonietta aufzutreten (samt Live-Album). Zweitens aktualisierte er im vergangenen Jahr sein erstes Live-Album Rufus Does Judy at Carnegie Hall von 2007, das wiederum JUDY GARLANDs Live-Album Judy at Carnegie Hall (1961) nachstellte (Rufus Does Judy at Capitol Studios). Und drittens nahm er alte Lieblingssongs mit einer gemischten Besetzung auf, um seinen Status als britischer Vorzeige-Entertainer zu untermauern.

Wie der Name schon sagt, soll auf dem neuen Studioalbum der Folk regieren. Aus seiner „Alone Time“ an der einsamen E-Gitarre holt ihn Americana-Sängerin MADISON CUNNINGHAM. Gemeinsam singen sie „Alone“ der linken Folk-Legende EWAN MACCOLL. Cunningham eröffnet die illustre Runde, zu der als nächster JOHN LEGEND himself kommt, um mit Wainwright den Folk-Klassiker „Heading For Home“ von PEGGY SEEGER im Duett zu singen. Mit Geigen und Banjo klingt das fantastisch, wie bei Legend auch nicht anders zu erwarten.

Nun geht es mit „Twelve-Thirty (Young Girls Are Coming to the Canyon)“ von JOHN PHILLIPS (THE MAMAS & THE PAPAS) in die 60’s. Hier begleiten SUSANNA HOFFS, CHRIS STILLS und SHERYL CROW. Stills unterstützt zusammen mit ANDREW BIRD auch bei „Harvest“ von NEIL YOUNG.

Vergleicht man die Mörderballade „Down In The Willow Garden“ von Country-Urgestein CHARLIE MONROE (feat. BRANDI CARLILE) mit Wainwrights eigenen Songs wie „Going To A Town“, wird klar, dass er die Stimme, aber nicht das Herz hat, solcherlei Folk zu schreiben. Das braucht er auch nicht, denn als Theaterfan und Opernmusiker, ist seine Aufgabe, Traditionals wie „Shenandoah“ oder Volkslieder wie „Nacht und Liebe“ von Franz Schubert zu verkörpern. Und ja, das gelingt ihm – sowohl an der Gitarre als auch am Klavier.

Als Überraschung packt Wainwright den patriotischen Hawaiianischen Titel „Kaulana Nā Pua“ auf die Platte. NICOLE SCHERZINGER von den PUSSYCAT DOLLS dürfte hier einigen Spaß gehabt haben, als sie die Background-Vocals einsang.

Familiär wird „Hush Little Baby“, das Rufus mit seiner Schwester MARTHA und seiner Halbschwester LUCY intoniert. An diesem Titel haben sich schon viele versucht bis hin zu Rapper EMINEM, der damit sein Töchterchen Hailie ehrte. Erst in diesem Jahr trendete sein „Mockingbird“ auf TikTok und erreichte damit eine Milliarde Streams auf Spotify. Von solchen Viral-Ereignissen ist Wainwright freilich noch weit entfernt. Dieser lässt übrigens seine beiden (Halb-)Schwestern noch einmal zu „Wild Mountain Thyme“ ans Mikro. Weitere Gäste sind hier ANNA MCGARRIGLE, CHAIM TANNENBAUM und LILY LANKEN.

Seine Liebe für Baroque- und Orchestral Pop geht er mit „Black Gold“ von VAN DYKE PARKS nach, der ihn am Piano begleitet. Was hat der Kerl nur für ein Glück! Und seine Verehrung zu JONI MITCHELL dürfte durch CHAKA KHAN zur Geltung kommen, die tatsächlich mit ihm „Cotton Eyed Joe“ singt. Khan hatte doch 1977 mit Mitchell das Album Don Juan’s Reckless Daughter aufgenommen und kam einst von einer Funkband namens RUFUS.

Folkocracy ist also wirklich ein Highlight des Jahres. Das liegt nicht nur an den tollen Gästen, sondern an einem Wainwright, der zeigt, was er stimmlich kann und sich als verbindender Organisator, ja als Regisseur beweist. Chapeau!

 

Rufus Wainwright
Folkocracy
(BMG)
VÖ: 02.06.23

www.rufuswainwright.com

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