BERLIN FESTIVAL am 10. + 11.9.2010


Feier dich selbst und lass eine Band dazu spielen.



Für die Menschen, die am vergangenen Wochenende nicht auf dem Berlin Festival waren, dürfte sich die Berichterstattung in den Medien recht positiv anhören. Abgesehen vom Festivalabbruch in der Nacht von Freitag zu Samstag, wegen Überfüllung, gab es in Radio und Co. nichts zu bemängeln. Doch bei vielen Besuchern, die vor Ort waren, schlug die einstige Vorfreude auf das Festival in bittere Enttäuschung um.

Die Location:

Ein alter Flughafen als Schauplatz eines Festivals zunehmen, ist ohne Frage ein atmosphärisches Highlight. Man durchquert die stillgelegte Schalterhalle und leergeräumte Gates. Die Tafeln, auf denen einst die Abflüge und Ankünfte angezeigt wurden, präsentierten nun das Line-up. Die großen Hangar wirkten schon beeindruckend, doch Tatsache ist, dass diese nicht dafür erschaffen wurden, um Austragungsorte für Konzerte zu sein, und das merkte man – vor allem im vergangenen Jahr – am Sound der Bühnen. Diesmal wurde sich zum Glück darum gekümmert, und so kam es nicht zu extremen Echos und Soundbrei. Von einem befriedigenden Sound konnte allerdings auch nicht die Rede sein, da vieles, das von der Bühne kam, auf halber Strecke verloren ging.

Trotzdem muss man den Veranstaltern zugute halten, dass sie sich einiges einfallen lassen haben, um das Gelände spannend zu gestalten. Neben den üblichen Fress– und Trinkständen, die ziemlich teuer waren, was besonders bei der Qualität einzelner Essensangebote nicht nachvollziehbar war, gab es viele Sitz- und Liegemöglichkeiten sowie ein paar Ecken, wo sich Künstler an weißen Wänden austobten. Besonders die Mobile Disco, die auf Koffertransporthängern über das Gelände tuckerte und die Silent Disco, bei der sich Leute mit Kopfhörern auf den Ohren versammelten und zu Musik tanzten, die nur sie hören konnten, während der Rest drum herum stand und sich fragte, welcher Song da wohl grade läuft, waren die Highlights. Da der Hangar der Hauptbühne offen stand, konnte das Publikum ganz entspannt das großartige Wetter genießen, das sich ihnen bot und am Freitagnachmittag sogar mit einem schönen Regenbogen glänzte.

Die Leute:

Menschen der verschiedensten Herkunft, Sexualität und Alter versammelten sich auf dem Flughafengelände. Doch wenn man durch das Publikum spazierte, fühlte man sich die meiste Zeit wie auf der Fashion-Week des Vice-Magazines. Überall bis zum Anschlag aufgestylte Hipster-People, die lässig in der Sonne saßen und unterkühlt vor sich hin starrten. Die meisten von ihnen fand man nicht in der Menge bei den Leuten, die Spaß an der Musik haben wollten. Man kam nicht um die Annahme herum, dass die meisten von ihnen nur da waren, um da gewesen zu sein und es mit einem abgeklärten Kommentar auf ihrer Facebook-Seite zu posten. Musik-Begeisterung: Fehlanzeige. Es drehte sich alles nur um das Styling. Dazu hingen auf den Dixi-Klos Spiegel, in denen man sein Äußeres checken und notfalls korrigieren konnte. Das perfekte Festival für gestylte Szene-Geckos, die sich auf den üblichen Festivals nicht ihre Designer-Klamotten schmutzig machen wollen.

Ein paar bekannte Gesichter konnte man auch sichten. So waren u.a. die Jungs von Bodi Bill anwesend, die bereits letztes Jahr gespielt haben. Sowie die junge Copy/Paste-Autorin Helene Hegemann, bei deren Anblick man schon fast Mitleid haben kann, da sie eben wie ein unschuldiges, normales Mädchen aussieht, das mit ihrer Freundin Spaß haben möchte. Auch Germanys Next Topmodel-Juror Rolf war mit einer kleinen Gefolgschaft anwesend, die irgendwelchen posenden Hipsters ihre Visitenkarten in die Hand drückten. Bei dieser Beobachtung konnte man sich ein Lachen nur schwer verkneifen.

Die Bands:

Als erstes sollte man sich die Frage stellen, wie es sein kann, dass auf einem Berlin Festival nicht eine Berliner Band spielte. Und das, obwohl diese Stadt genügend Bands hat, die talentiert und spielwillig sind und nur darauf warten, eine Plattform wie diese nutzen zu können.

Bands am Freitag:

BLOOD RED SHOES spielten trotz Spätnachmittag und Tageslicht-Atmosphäre ein schönes rockiges Set mit dem Besten aus ihrem Repertoire. GOOSE überraschten mich mit ihrer unglaublich explosiven Live-Show und verführten zum Tanzen. Dann natürlich die EDITORS, die an diesem Abend ihren besten Gig seit langem ablieferten, inklusive Feuereffekte und magischer Lichtshow. Selbst die neueren Songs überzeugten, obwohl diese mir auf ihrer letzten Platte nicht besonders zusagten. Besonders die Klassiker sorgten für Euphorie und kleine Gänsehaut-Schübe.

ATARI TEENAGE RIOT spielten in dieser Nacht nach 11 Jahren ihren ersten Gig in Berlin. Warum das ausgerechnet auf dem Berlin Festival passierte, dessen Zielgruppe eigentlich so gut wie keinen Bezug zu ihrer Musik und Szene hat, bleibt ein Rätsel. Geschadet hat es nicht, denn eine Menge Alt-Punks und Fans der Band holten sich mit Sicherheit nur wegen ihnen ein Tages-Ticket. Man will sich nicht vorstellen was passiert wäre, wenn dieser Gig aus „Sicherheitsgründen“ abgesagt worden wäre. Die Show der „Ataris“ verlangte den ungeschulten Nerven einiges ab, da über eine Stunde purer CyberPunk-Noise mit permanentem Strobo-Licht durch den Hangar 4 schoss, während Alec Empire und seine Kollegen ohne Pause über die Bühne tobten, als hätte man sie vor 11 Jahren eingefroren und nun wieder aufgetaut. Nur eine kurze Unterbrechung gab ee, in der Herr Empire eine Ansprache an seine Fans hielt. Darin betonte er, wie sehr er sich freue, das Comeback-Konzert an einem Ort zu geben, wo Menschen seien, die Musik noch richtig zu schätzen wissen. Dass dem eher nicht so war, wurde einem schnell bewusst, wenn man Augen und Ohren im Publikum hatte und Sätze hörte wie: „Ich kauf doch keine Musik, wenn ich den Scheiß sowieso auf mein Ipod lade!“

Bands am Samstag:

Da es Freitag zum Abbruch des Festivals kam, wurde das Programm am nächsten Tag geändert. Dies führte dazu dass ich die wunderbaren TURBOSTAAT verpasste, da diese eine Stunde vorverlegt wurden. Obwohl mich LALI PUNA interessierte, entschied ich mich für THE MORNING BENDERS, doch wurde enttäuscht, da dieser verträumte Beach-Sound ihres aktuellen Albums Big Echo dort auf der Bühne nicht rüberkam. Das Trip-Hop-Urgestein TRICKY bot mit seiner Band ein ziemlich durchwachsenes Programm. Von endlose treibenden Trip-Hop-Beats bis hin zu rockigen Ausbrüchen und zauberhaften Gesang war alles dabei.
Das Finale des verkürzten Abends bot dann die lang ersehnten HOT CHIP, die sich dann aber als ziemlich unspektakulär und langweilig herausstellten und damit das frühzeitige Verlassen des Geländes vereinfachte.

Die Organisation (Das Dilemma):

Es fing schon bei den Toiletten an. Die Anzahl de Dixi-Klos war so gering, dass man beim Warten darauf, sie zu benutzen, schon mal den ganzen Gig einer Band verpassen konnte. Schon da kann man dem Veranstalter Einsparung an der falschen Ecke vorwerfen. Die nächste Dreistigkeit der Veranstalter zeigte sich dadurch, dass man auf das Gelände keine Pfütze Wasser mitnehmen durfte. Fragte man die Security-Mitarbeiter, waren die darüber auch verwundert, da es zuvor noch andere Informationen gab, aber ihnen blieb nichts anders übrig, als den Anweisungen zu folgen. Als Besucher durfte man sich für 2,50 Euro Miniaturwasserflaschen auf dem Gelände kaufen. Abzocke ist da wohl das richtige Wort.

Doch das große Dilemma zeigte sich dann Freitagnacht, als Menschenmassen, die sich auf 2MANYDJS & FATBOY SLIM freuten, sich anstauten, weil ihnen kein Einlass mehr zum Hangar 4 erlaubt wurde. Das ging so weit, dass man das Festival abbrach, aus Angst davor, die Situation könnte sich in eine ähnliche, wie bei der letzten, tragischen Loveparade zuspitzen.
Verärgert, aber ganz ohne Randale oder Ähnliches, zogen die Besucher dann ab und fragten sich zu Recht, warum die Veranstalter nicht von Anfang an ordentlich planen konnten. Sie wussten, wie viele Besucher sie erwarteten und hätten auch wissen müssen, dass die meisten von ihnen zu den Headlinern wollten, die sie ja selbst gebucht hatten. Also ist die Ausrede, dass man sich der Popularität der Künstler 2MANYDJS und FATBOY SLIM nicht bewusst war, völlig ungültig. Die Nötigkeit der Schleusen vor den einzelnen Hangars war ebenfalls vielen ein Rätsel, da sie so eng konstruiert wurden, dass sie Platz nahmen, den man hätte brauchen können. Alles Teil eines mehr als unklaren Sicherheitskonzepts.

Und die Verkürzung des Line-ups am Tag darauf wurde den Besuchern auch nicht wirklich erklärt. Wenn es sich um den angeblichen Lärmschutz handelte, fragte man sich, wer dieses Gelände bei der Planung so abgenommen hat, wie es ursprünglich gedacht war. Denn das Samstag-Programm sollte eigentlich bis morgens um 6 Uhr gehen. Doch stattdessen war kurz vor Mitternacht alles vorbei. Peinlich für eine Stadt, die für ihre Kultur und Partytauglichkeit bis zum frühen Morgen inzwischen weltweit bekannt ist.

Im Nachhinein:

Dieses Jahr hat sich das Berlin Festival einen mehr als schlechten Ruf gemacht, dessen Konsequenzen sich spätestens im nächsten Jahr zeigen werden. Die Erklärung der Veranstalter, die vor ein paar Tagen online ging, sorgte erneut für Empörung, da an keiner Stelle ein Wort des Schuldeingeständnisses bzw. der Entschuldigung an die Besucher abgegeben wurde. Nur reines PR-Gewäsch, das man sich sparen kann. Von einem angeblichen Ersatz-Termin ist zwar die Rede. Doch all den Besuchern des Berlin Festivals, die von außerhalb und weiter her kommen, nützt dieser rein gar nicht. Denn die neuen Anreisekosten wird ihnen niemand erstatten.

Letztendlich kann man nur aus den Ereignissen dieses Wochenendes die Schlussfolgerung ziehen, im nächsten Jahr das Berlin Festival zu meiden. Denn bei Veranstaltern, die offensichtlich blind gegenüber ihren eigenen Fehlern sind, kann man keine Besserung erwarten. Dann lieber doch ein paar Kilometer aus der Stadt raus und mit dem Gefühl zurückkommen, ein großartiges Festival erlebt zu haben.

www.berlinfestival.de
www.myspace.com/berlinfestival

Autor: [EMAIL=eric.ahrens@popmonitor.de?Subject=Kontakt von der Website]Eric Ahrens[/EMAIL]

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