
Nacheinander laufen aktuell zwei neue Dracula-Filme. Gibt es denn keine Absprachen in Hollywood? Da ist zum einen Nosferatu – Der Untote (2024) und zum anderen Dracula – Die Auferstehung (2025). Gibt es nicht schon Dutzende davon? Sind sie also nicht ebenso überflüssig wie die drei Neuverfilmungen von Pinocchio aus 2021/2? Nein, denn sie bieten zum einen hörbare Soundtracks und zum anderen eine positive Betrachtung weiblicher Lust, die durchaus hilfreich wäre.
Der Reihe nach: 1897 veröffentlichte Bram Stoker den Roman Dracula, in dem er Motive aus Carmilla (1872) von Joseph Sheridan Le Fanu und Sagen aus The Land beyond the Forest (1888) von Emily Gerard verschmolz. Die historische Gestalt des Herrschers der Walachei, Vlad III. aus dem 15. Jahrhundert, wird hier zum teuflischen Vampir, der im Paris des 19. Jahrhunderts Frauen verführt und Männer bedroht. 1922 folgt dann mit Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens die erste Verfilmung, die eine ganze Flut von Dracula– und Vampirfilmen folgen ließ. Die beiden aktuellen Fassungen können sowohl filmisch als auch soundtechnisch als von den vielen Vorgängern inspirierte Werke gesehen werden.
Der diesjährige Dracula von Regisseur Luc Besson schließt vor allem an Francis Ford Coppolas Verfilmung von 1992 an, die wiederum 1995 von Mel Brooks als Dracula – Tot aber glücklich parodiert wurde. Hier liegt der Schwerpunkt auf der vierhundert Jahre langen Liebesgeschichte zwischen Graf Dracula und seiner Frau Elisabeta, die in Mina wieder aufersteht. Sie wird dem Vampir von ihrer Freundin Maria vorgestellt, von seiner gebissenen Gehilfin. Maria ist hier eine lebenslustige, kultivierte Frau, die sich in ihrer Ehe langweilt, und schon Bram Stokers Roman griff die Angst vor emanzipierten „Neuen Frauen“ auf. Zwar wird sie für ihre Sündhaftigkeit mit dem Tod bestraft, doch ist sie es, die dem Liebespaar und eben nicht Minas eigentlichen Verlobten Jonathan zum Sieg verhilft, mit dem Mina im Film nicht ein Wort wechselt. Dracula bereut seine Sünden, um Mina vor der Hölle zu retten und kommt dafür sogar in den Himmel.
Den Soundtrack nahm Danny Elfman mit dem Budapest Scoring Symphonic Orchestra auf und orientiert sich hier weitgehend an Wojciech Kilars Score zum erwähnten Bram Stoker’s Dracula (1992). Aber auch Anklänge des Dracula-Films von 1979 und die Neuvertonung von Dracula (1931) aus dem Jahr 1999 können entdeckt werden. Bei letzterem spielte Bela Lugasi die Hauptrolle, dem BAUHAUS mit „Bela Lugasi’s Death“ ein Denkmal setzten.
Der 21 Tracks starke Score beginnt mit der Melodie einer uralten Spieluhr („Music Box“), die mit sanften Streichern und Frauengesang zum Jahrhunderte übergreifenden Liebesmotiv wird. „Blessings“ bringt Fantasyfilm-Musik für die Kämpfe des Mittelalters hinein. „Dinner“ ist dann eine kühle Piano-Melodie, wie sie fast in jedem klassischen Gruselfilm zu hören ist.
Die vampirische Bedrohung erklingt in der Horrormusik von „Don’t Leave“. „Neverending Death“ bietet Chorgesang und „The Dance“ sogar Latino-Vibes. Cool ist das halbe Ambient-Stück „A Bloody Meal“.

Der letztjährige Nosferatu von Regisseur Robert Eggers versteht sich als zweite Neuverfilmung des Stummfilmklassikers Nosferatu (1922). Hier heißt der Vampir Graf Orlok und greift nicht Paris sondern die deutsche Stadt Wisborg an. Mit ihm ist die frisch vermählte Ellen in einer telepathischen und sexuellen Verbindung. Ihr Mann Thomas will Orlok nur eine Immobilie verkaufen und verscherbelt dabei seine Ehe mit ihr. Auch die Frau Anna seines Freundes Friedrich fällt unter Orloks Bann. Orlok ist hier gewissermaßen die Verkörperung der weiblichen Libido, das unsterbliche Stück des Realen. Er wird darum von den Männern mit aller Macht bekämpft und Ellen opfert sich, in dem sie sich ihm hingibt.
Für den Filmsoundtrack nahm Robin Carolan Ideen mehrerer Filme auf wie etwa den Gothic-Horror-Klassiker The Innocents (1961). Weitere Inspirationsquellen sind die Musik des Komponisten BELA BARTOK und der Post-Industrial-Band COIL. Carolan hatte für Eggers bereits den Soundtrack zu The Northman (2022) gestaltet und hat hier ebenfalls ein großes Orchester zur Verfügung.
Den Auftakt von unglaublichen 51 Stücken bildet ebenfalls das Geklimper einer Spieluhr („Once Upon The Time“). Gruseliger Ambient und Horror-Geigen erklingen dann bereits in „Come To Me“. Untergründiger Sound begleitet den Hörer durch fast alle Folge-Titel, um permanent Beklemmung auszulösen. Schöne Geiger-Arrangements sollen die Geschichte vorantreiben wie in „Goodbye“. Der Graf taucht endlich leibhaftig in „Come By The Fire“ als bedrohliche Streicher auf. Mag Nosferatu zwar der interessantere Film sein, so hat er seine Längen, die sich auch durch ständige Wiederholungen im Soundtrack zeigen.
Ideologisch machen beide Filme einen behaupteten Gegensatz auf, der bis zu Anfang des 20. Jahrhunderts noch sehr geläufig war: adelig-teuflische Dekadenz gegen bürgerlich-christliche Anständigkeit. Diese Sexualmoral wurde schon im Roman wie auch in seinen zahlreichen Verfilmungen ambivalent behandelt: Einerseits ist Dracula bzw. Orlok der böse Feind der tugendhaften Männer, andererseits aber auch die verführerische Fantasie der Frauen. Wer das Vampir-Thema sexistisch liest, freut sich darüber, dass der Vampir am Ende stirbt – wer nicht, der bleibt enttäuscht zurück. Es lässt sich sogar antisemitisch aufladen, betrachtet man nur den NS-Propaganda-Film Jud Süß (1940): Darin wird der Vampir zum geldgierigen, perversen Juden. Die heutigen Rechten wie Donald Trump haben nur ein Problem, wenn sie wie beim Epstein-Skandal versuchen, das perverse Finanz-Kapital politisch zu problematisieren: Sie sind selbst Teil davon.
Dracula (Original Motion Picture Score)
(EuropaCorp/Because Music)
30. Juli 2025
Nosferatu (Original Motion Picture Soundtrack)
(Sacred Bones/Back Lot Music/Universal)
22.11.2024