Lehren aus der Metoo-Debatte

Am 1. Juli 1977 erschien der in Deutschland sehr beliebte Soundtrack von Francis Lai zum ersten Film des Fotografen David Hamilton, Bilitis. Wie schon das Cover zeigt, drehte sich hier alles wie in seinen Folgewerken um die softpornografische Darstellung junger Frauen. Neben der steten Diskussion um eine an Kinderpornografie grenzende Ästhetik warfen 2016 mehrere Frauen Hamilton vor, sie als Minderjährige sexuell missbraucht zu haben. Einem Prozess entzog sich der Künstler im November 2016 möglicherweise durch Selbstmord. Selbst vor #Metoo fühlten sich einstige Täter offenbar nicht mehr völlig sicher.

Erst im Januar 2020 schockte die Schauspielerin Vanessa Springora Frankreich, als sie mit ihrem Buch „Le consentement“ den Schriftsteller Gabriel Matzneff bloßstellte, er habe sie als Minderjährige sexuell missbraucht.

Am 13. Februar kam mit Bombshell die Geschichte der Fox News-Mitarbeiterinnen Megyn Kelly, Gretchen Carlson sowie Kayla Pospisil und ihrem einstigen Chef Roger Ailes in die deutschen Kinos. Zudem ist am 27. Mai auf Netflix die Kurzserie Filthy Rich über die Verbrechen des US-Milliardärs Jeffrey Epstein gestartet – nach Leaving Wonderland über Popstar Michael Jackson und Surviving R. Kelly über den R’n’B-Sänger Robert Sylvester Kelly bereits die dritte aufklärerische Dokumentation der Post-Metoo-Ära. Was kann in Deutschland aus all den Fällen gelernt werden?

Keine politische Haltung ist sicher vor ausbeuterischen Netzwerken

Am 10. Juni 2020 warf Nadine Julitz (SPD) der AfD-Fraktion im Landtag Mecklenburg-Vorpommern Sexismus im politischen Alltag vor und bekam dafür hundertfaches Feedback in sozialen Netzwerken. Wie gern würden sich manche Linksliberale zurücklehnen, angesichts von Fällen wie Ailes, dem ehemaligen Chef des rechten Senders Fox News oder Epstein, der nicht nur mit Schauspieler Woody Allen, Medienmogul Harvey Weinstein und Jackson bekannt, sondern auch mit dem neoliberalen Bill Clinton und dem libertären Donald Trump befreundet war. Sind nicht die Rechten die prototypischen Täter? Nein, wie ein Blick in die Zeit der 70er Jahre und 80er zeigt.

Matzneff wurde jahrzehntelang von der links-intellektuellen Elite Frankreichs verehrt, trotz oder sogar wegen seines immer wieder geäußerten sexuellen Interesses an Minderjährigen. In mehreren Büchern erklärte er geradezu, wie man den Missbrauch in die Wege leitet.

Die Welle der „sexuellen Befreiung“, also der Überschreitung von Grenzen, kam auch in Deutschland an. Hierzulande umjubelten die Intellektuellen den Schauspieler Klaus Kinski, der 1975 in dem Buch Ich bin so wild nach deinem Erdbeermund den Inzest an seiner Tochter Nastassia Kinski beschrieb. Nastassia war 1978 Star des Films Leidenschaftliche Blümchen, eine Art Schulmädchen-Report in weichgezeichneter Hamilton-Optik. Der Soundtrack bestand nicht nur aus Rock’n’Roll sondern auch aus Stücken von Lai. Nastassias Schwester Pola beschrieb erst 2013 mit dem Buch Kindermund den jahrelangen Missbrauch durch den Vater. Und eine ähnliche Konstellation wie bei den Leidenschaftliche Blümchen trifft auch auf die dänische Triologie La‘ os være (1975), Måske ku‘ vi (1977) und Du er ikke alene (1978) zu: 2018 beschuldigten 6 Männer und 16 Frauen die beiden Regisseure Lasse Nielsen und Morten Arnfred des sexuellen Missbrauchs während der damaligen Produktion.

Doch die linke Solidarität mit Pädophilen wurde sogar politisch: Matzneff rief 1977 in den Zeitungen Le Monde und Libération zur Entkriminalisierung der Pädophilie auf. Die Petition soll von den philosophischen „Göttern“ der Postmoderne (Simone de Beauvoir, Jean-Paul Sartre, Jacques Derrida, Gilles Deleuze) unterschrieben worden sein, aber auch vom Marxisten Louis Althusser und vom Ex-Marxisten André Glucksmann.

In Deutschland arbeitete die Partei Bündnis 90/Die Grünen 2013/14 ähnliche Stimmen zur Aufhebung von Altersgrenzen beim Sex in ihren Reihen während der 80er Jahre auf. Die Göttinger Parteienforscher Franz Walter und Stephan Klecha fanden derlei Forderungen auch in der damaligen FDP-Jugendorganisation Deutsche Junge Demokraten.

Doch egal ob rechts oder links – die Täter sind in den Augen der neuen Frauenbewegung alle gleich: mächtige Männer.

Geld und Einfluss schützen die Täter

Glaubt und vergleicht man die Geschichten der neu bekannten Opfer ergeben sich frappierende Ähnlichkeiten über Jahrzehnte und politische Lager hinweg: Immer boten die Täter Minderjährigen oder jungen Frauen Aufstieg und Karriere an, schmeichelten sich teilweise auch in deren Familien ein und erwarteten im Gegenzug Sex von ihnen. Die Opfer mussten allerdings fast immer durch Überforderung, Drohung oder Gewalt gefügig gemacht werden. Offenbar machen Reichtum und Einfluss nicht per se sexy, sondern emotionslos und brutal.

Zudem lassen Geld und Kontakte ein schützendes Schweigekartell um den Täter wachsen, wenn sich die Opfer und das Umfeld zu Dank verpflichtet sehen. Das kann soweit gehen, dass sich erfolgreiche Künstler wie Kinski oder Allen an ihren eigenen Töchtern vergreifen können und jahrzehntelang von Verwandten sowie Kollegen verteidigt werden.

Diejenigen, die schweigen, fürchten nicht nur die Macht des Täters. Sie erkennen meist nicht, dass sein künstlerisches oder unternehmerisches Genie auf dem Ausleben sexualisierter Gewalt mitberuht. Ohne die ständige Stillung seiner sexuellen Gier wäre er nicht derart erfolgreich. Opfer und Umfeld eines mutmaßlichen Täters müssen Verehrung und Unterwürfigkeit fahren lassen und zu Anzeige und Anklage übergehen.

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