CHIEF – Modern Rituals


Americana für Harmoniesüchtige.



Als Mitte der Neunziger das Privatfernsehen endlich auch im Unterdorf des süddeutschen Kaffs, in dem ich Kindheit und Jugend verbrachte, angelangt war, war ich anfangs ganz fasziniert von den damals für mich total neuartigen Dauerwerbesendungen. Ins Gedächtnis gebrannt hat sich mir vor allem das halbstündige Commercial für die CD-Kollektion „DRIVE“: Ein Geländewagen rauscht durch den rotgelben Blätterwald des Indian Summers an der amerikanischen Westküste, untermalt von Fleetwood Mac, den Eagles, Crosby, Stills & Nash und Vertreter ähnlicher Genres. Das Gefühl, das transportiert und zum Verkauf anregen sollte: Harmonie und Freiheit.

Gut 15 Jahre später regt sich ein ähnliches Gefühl, als ich Modern Rituals, das Debüt des kalifornischen Quartetts CHIEF anhöre. Kennengelernt haben sich die Bandmitglieder allerdings nicht an der West-, sondern an der East Coast, in den altehrwürdigen Hallen der NYU-Universität und hier war es auch, wo die ersten Projekte in Angriff genommen und die ersten Songs geboren wurden. New Yorker Coolness und Hektik scheinen aber keinen großen Einfluss auf CHIEF genommen zu haben – der Sound ist durch und durch kalifornisch. So hat sich die Band letztes Jahr auch auf ihre Wurzeln besonnen und ist nach L.A. heimgekehrt, um das Schritttempo etwas zu drosseln: „our BPM is a bit slower here“, wie es Gitarrist Evan Koga ausdrückt.

Modern Rituals ist voller Harmonien und schöner, ruhiger Songs mit satter Instrumentalisierung. ‚In the Valley‘ ist zum Beispiel so ein Song, der prima auf die DRIVE-Compilation gepasst hätte – der perfekte Soundtrack, um im Sonnenuntergang sich windende Straßen am Pazifik entlang zu cruisen. Zur harmonischen Melodie gesellen sich die sehnsüchtigen „ich-vermisse-dich-so-sehr“-Lyrics, und nur wenn man ganz genau zuhört, bekommt man den kleinen, aber feinen Stilbruch mit: nicht nur die Einsamkeit beim Spazierengehen wird beklagt, nein, auch „pornos in the valley“ machen alleine einfach keinen Spaß. ‚Night& Day’ ganz am Ende der Tracklist ist wohl der beste Song des Albums, vielschichtig und zugleich erfrischend unkompliziert. Das könnte hoffentlich ein Hit werden.

Modern Rituals vereint viele solcher Lieder im Americana-Stil. Ein insgesamt stimmiges Album, da kann man auch einen Wegverirrung wie ‚Irish Song‘ verzeihen, der mit seinen schmachtenden Geigen unangenehm an die irische Geschwisterband CORRS erinnert. CHIEF haben mit ihrem Erstlingswerk das Rad nicht neu erfunden und werden es zunächst wohl nicht schaffen, an den Erfolg verwandter Künstler wie zum Beispiel FLEET FOXES anknüpfen können – dazu ist Modern Rituals einfach nicht „anders“ genug. Aber auch ohne den zu erwartenden großen Durchbruch bereichern CHIEF die herbstliche Musiklandschaft mit ihren eingängigen, schönen Songs. Und die kann man übrigens auch ohne Geländewagen genießen.

CHIEF
Modern Rituals
(Domino Records)
VÖ: 17.09.2010

http://www.myspace.com/chieftheband

Autor: [EMAIL=sandra.wickert@popmonitor.de?Subject=Kontakt von der Website]Sandra Wickert[/EMAIL]

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