Der Nahostkonflikt in der französischen Popmusik. Verschwörungspop Nr. 9

Am 7. Oktober 2023 wurde aus dem abgekühlten Nahostkonflikt wieder ein heißer. Mit Massakern, Massenvergewaltigungen und Entführungen begann die Hamas einen Krieg gegen Israel, in den nun offenbar auch der Libanon, Iran und die Türkei eintreten. Dieses Grauen wird weltweit verurteilt. Interessanterweise sind es nicht nur die Rechten, die Israel die alleinige Schuld dafür geben, sondern auch Linke.

In Deutschland boten nicht nur die „Documenta Fifteen“ 2022 und die „Berlinale“ 2024 Anlass zu fragen, wie israelfeindlich, ja antisemitisch die Kulturszene ist. Auch Uni-Besetzungen 2024 und die aktuellen Auslassungen des Deutschrap-Youtubers Mois werden debattiert. Eine ähnliche Lage ist auch in Frankreich festzustellen. Nach dem 7. Oktober 2023 stiegen in beiden Ländern nicht die Straf- und Gewalttaten gegen Palästinenser sondern gegen Juden und zwar stark. So zählt das BKA für Deutschland über 5.100 antisemitische Taten 2023 und in Frankreich kommt man auf rund 1.700.

Nun könnte man meinen, nach dem blutigen Terror-Angriff auf das Psytrance-Festival „Supernova“ mit Hunderten Opfern würde sich die Techno-Szene klar auf Seiten Israels stellen. Im Gegenteil finden sich im Netz aber inzwischen etliche Sampler, in denen sich Dutzende DJs auf Seiten Palästinas einordnen. Dazu gehört etwa Radiant Records Palestine Comp (2023), Hoe__mies 4 Palestine (2024) und HÖR For Palestine (2024) aus Berlin. Doch während sich in Berlin die Techno-Szene unter dem Druck der antisemitischen BDS-Kampagne geradezu gespalten hat, gibt es in Frankreich kaum Gegenstimmen. Hierfür steht die Compilation Free Palestine VA01 mit 24 Acts.

Die französische Indie- und Folkszene brachte in diesem Jahr bereits zwei Sampler als Kampagne „Heartists for Palestine“ heraus. Hier wird Humanität für Palästinenser eingefordert, doch Menschlichkeit für Israelis nicht. Neben 13 anderen Künstlern und Bands taucht auf L​’​or apparait de l​’​ab​î​me auch MATT ELLIOT auf. Sein instrumentaler Titel „Innocence Not Lost But Stolen“ spricht von gestohlener Unschuld und meint getötete palästinensische Kinder. Dass bei den Massakern vom 7. Oktober 2023 auch israelische Kinder und Babys abgeschlachtet wurden, scheint ihn nicht zu interessieren. Auch folgte den Massakern durch die Hamas-Kämpfer freudig die palästinensische Zivilgesellschaft. Und ja, auch Kinder liefen johlend in den verwüsteten Kibbuz. Mütter schenkten ihren Kindern dann Spielsachen ermordeter israelischer Kinder. So sehen Hass und Rache aus. Im Gaza-Streifen werden auch sonst Kinder schon von früh antisemitisch indoktriniert.

Den Vogel schoss allerdings die französische Hiphop-Szene ab. Sie schaffte es am 1. Juli 2024, sich auf einem Track von 20 Rappern links gegen den rechtsextremen RN aufzustellen und gleichzeitig sexistische, nationalistische und antisemitische Inhalte zu verbreiten.
Das hatte Vorgeschichte: Schon bei den französischen Präsidentschaftswahlen 2002 verbündeten sich die verfeindeten Rapper KOOL SHEN und AKHENATON, um gegen den damaligen rechtsextremen FN zu demonstrieren. Die Aufstände in den Banlieues 2005 wurden dann u.a. auch vom FN benutzt, um gegen Migranten zu hetzen. Als Reaktion auf solche Angriffe kamen etwa die Songs „Marine“ und „Ma France A Moi“ von DIAM. Eine weitere politische Intervention erfolgte 2013 mit dem Gemeinschaftstitel „Marche“, an dem auch Kool Shen und Akhenaton teilnahmen.
Dann kam der 7. Oktober 2023 und die ersten Parlamentswahlen 2024, bei denen der RN die Nase vorn hatte, der mit klaren rassistischen Zielen aufgetreten war. Am 1. Juli folgte die Antwort: „NO PASARÁN – 20 rappeurs en 9’43 contre le RN“. Hintereinander erklärten hier u.a. Akhenaton, PIT BACCARDI, FIANSO, MAC TYLER, DECIMO und SETH GUEKO ihre Sicht der Dinge.
Der typische Rap-Sexismus richtet sich u.a. gegen die RN-Politikerinnen Marine Le Pen und Marion Maréchal sowie gegen die Eltern von RN-Politiker Jordan Bardella. Während man den Nationalismus und Rassismus des RN verurteilt, scheuen sich DEMI PORTION und COSTA jedoch nicht, sich propalästinensisch zu positionieren. Bardella wird hier als israelische „Marionette“ bezeichnet. RN-Mitglieder gelten ASHE nicht nur als Faschisten sondern als „Freimaurer“, womit auch er die antisemitische Verschwörungsideologie bedient. ALKPOTE zeigt sich gleich auch als Q-Anon-Verschwörungsgläubiger, der fürchtet Chips injiziert zu bekommen. COKEIN setzt auf vormodernen religiösen Antisemitismus, wenn er „Freimaurer“ (sprich Juden) als Vampire und Teufelsanhänger darstellt. Akhenaton schließlich kennt sogar die Kritik an antisemitischer Verschwörungsideologie (wie etwa vom inszenierten 11. September) und widerspricht ihr aber, wohl um seine Kollegen zu verteidigen.
Dass beim zweiten Wahlgang nicht der RN sondern die Linken gewannen, dürften diese Rapper also gefeiert haben. Doch der RN errang die meisten Wähler-Stimmen und die französische Linke bewies, dass man 2024 in Frankreich auch mit Israel-Hass Wahlen gewinnen kann.

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