Am 18. Mai diesen Jahres wurde in Paris ein hierzulande kaum beachtetes Urteil gesprochen: Die zwei Polizisten, die für den Tod zweier Jugendlicher und damit für die größten sozialen Unruhen Frankreichs 2005 verantwortlich gemacht wurden, erhielten den Freispruch. Vor zehn Jahren hatte es eine Jugendrevolte in den sogenannten „Banlieues“ („Bannmeilen“ genannte Vorstadt-Ghettos) gegeben, die auch der französische HipHop mitbefeuert hatte.
Am 27. Oktober 2005 hatte einer der Polizisten im Pariser Vorort Clichy-sous-Bois mehrere migrantische Jugendliche beobachtet und hielt sie für Diebe. Er verfolgte sie und die Jungen rannten in Panik davon. Sie überwanden die Absperrung zu einem Transformatorenhäuschen und wurden von Stromschlägen getroffen. Zwei Jungen starben, einer kam schließlich mit starken Verletzungen ins Krankenhaus. Die Polizei hatte ihnen nicht geholfen.
Dass Autos in den Armenvierteln von Paris angezündet werden, gehört dort zum Alltag. Doch was in jenem Herbst vor zehn Jahren folgte, war eine Welle der Zerstörung, die zwanzig Tage lang nicht abebbte. War in der ersten Nacht nur Clichy-sous-Bois mit 21 zerstörten Pkw betroffen, griffen Auto- und Häuserzerstörungen sowie Straßenschlachten zwischen Polizisten und Jugendbanden erst auf das gesamte Pariser Umland und dann via Internet auf ganz Frankreich über. Allein zwischen dem 5. und 8. November brannten fast 4.000 Autos. Die Begleitmusik dazu kam von französischen Rappern, was der damalige französische Innenminister Nicolas Sarkozy von der konservativen UMP kritisierte.
New Yorker HipHop hatte Frankreich Anfang der Achtziger erreicht und verbreitete sich gerade in der Banlieue-Jugend rasant. Heute ist das Land der zweigrößte HipHop-Markt der Welt. Hier ist Realismus und Sozialkritik, wie ihn etwa FONKY FAMILY oder PSY 4 DE LA RIME formulieren, stets präsent gewesen. Selbst Stars wie BOOBA oder KENZA FARAH können nicht auf sie verzichten.
Seit den Achtzigern kamen durch Einsparungen und Sozialabbau die französischen Vorstädte herunter. Kriminalität und Randale nahmen zu. Der HipHop wurde kritischer. Das zeigte schon der Soundtrack zu dem Ghetto-Film „La Haine“ (deutsch: „Hass“) von 1995. Deutsche Conscious Rapper lauschten in den 2000ern neidisch auf französischen Links-Rap von KENY ARKANA oder ROCKIN‘ SQUAT. Man solidarisierte sich auch mit den Aufständen wie etwa HOLGER BURNER („900 Autos“).
Die französische Politik konnte sich nicht dafür erwärmen. Schon 1993 und 1996 wurde die HipHop-Band SUPRÊME NTM aus dem Pariser Banlieue Saint-Denis wegen Aufrufs zur Gewalt angeklagt („J’appuie sur la gâchette“). 2002 versuchte Sarkozy den Rapper FAME von der Band LA RUMEUR wegen Diffamierung der Polizei anzuklagen. Ein Jahr später nahm sich Sarkozy die Rappercrew SNIPER wegen Gewaltverherrlichung und Aufruf zum Ministermord vor („La France“).
Die 2005 randalierenden Schüler und Schülerinnen, Studierenden und Arbeitslosen nannte er „Abschaum“, der sich professionell verschworen habe und den es mit einem „Hochdruckreiniger“ aus den Vorstädten zu reinigen gelte. Mit Massenverhaftungen, Hausdurchsuchungen und dem nationalen Notstandsbeschluss vom 8. November konnten die Krawalle allmählich von der Regierung beendet werden. Fast 3.000 Personen waren festgenommen worden.
Für den französischen Rap folgte ein hässliches Nachspiel: 201 französische Parlamentarier versuchten, weitere Rapper (MINISTÈRE A.M.E.R., LE 113, LUNATIC, SMALA, FABE, SALIF und MONSIEUR) wegen ihrer Texte anzuklagen. Ein MINISTÈRE A.M.E.R.-Mitglied, DOC GYNÉCO, schloss sich 2007 den Rappern an, die Sarkozy beim nächsten Präsidentschaftswahlkampf unterstützten. Dafür wurden er, FAUDEL und ENRICO MACIAS bei Gigs von den Fans ausgebuht und beworfen. Außerdem kündigte DOC GYNÉCO 2008 an, mit Sarkozys Sohn Pierre („MOSEY“) gemeinsam HipHop machen zu wollen. MOSEY hatte zuvor mit dem Sarkozy-Kritiker POISON zusammen gearbeitet („La rue“).