„Lassen Sie uns einen schönen Abend verleben…“
…sprach Blixa Bargeld in gewohnt ironisch gefärbter Distanz, gleichwohl einigermaßen gut gelaunt um kurz nach 21 Uhr zum für einen Samstagabend ziemlich frühen Beginn des nach gut drei Jahren ersten Konzerts der Berliner Industrial-Pioniere in der so gut wie ausverkauften Columbiahalle in ihrer Heimatstadt.
Die relativ dezente, stimmungsvoll anmutende Bühnendeko inklusive niedrig hängender, untertassenartiger Lampen, im Lauf des Abends zwischen gleißend hell, warmem blau und rot changierender Illuminierung und überdimensional im Bühnenhintergrund prangenden Covers des aktuellen Albums Alles Wieder Offen sollte dann auch perfekt den diesen überwiegend von intimer Reduktion, dynamischer Ökonomie sowie wonniger Feierlichkeit geprägten Auftritt der EINSTÜRZENDEN NEUBAUTEN umrahmen. Diesem sollte auch nicht selten eher der Charakter einer aufs Wesentliche beschränkten und sich des Öfteren galant in der Kunst des Weglassens übenden Performance, denn dem einer bei früheren Konzerten zuvorderst dominierenden Ästhetisierung von Lärm und Experiment innewohnen, auch wenn ja bereits ihr 2004er-Konzert im Tempodrom eher einem für NEUBAUTEN-Verhältnisse „leichten leisen Säuseln“ als Ausdruck einer sich schon seit längerem abzeichenden Entwicklung hin zu klangästhetischer Defensive geglichen hatte () als auch vom 2000er Silence Is Sexy (besonders schön: ‚Sabrina‘) angereichert, auf Klassiker aus den 80ern und 90ern wartete man dagegen gänzlich vergebens, auch wenn einmal immerhin kurz ‚Halber Mensch‘ textlich angerissen wurde oder ein sich aus einer alten, in den 80ern in einem Hamburger Keller von Blixa aufgenommenen Solo-Gitarrensession entwickeltes neues Stück Platz im stimmigen Liveset fand. Letzteres quasi als intoniertes Dokument der Gegenüberstellung des jungen und des alten Blixa oder, wie er selbst es formulierte, des alten und des neuen Blixa.
Uberhaupt schien Blixa Bargeld nicht nur angesichts seiner einige Male beeindruckend vollführten, so wohlbekannten und natürlich auch diesmal wieder frenetisch bejubelten ausgedehnten Stimmbänder-Zerreißproben (deren erforderte Anstrengung er im Anschluss schon mal heftigst durchschnaufend und lachend abschütteln musste) einen guten Tag erwischt zu haben. So gab er zu den Stücken meist den die Texte gewohnt gestenreich untermalenden Zampano, führte gelegentlich als kompetenter Conférencier durch den Abend, indem er u.a. seine Mitstreiter gemäß ihrer jeweiligen Berliner Bezirksherkunft vorstellte (ihm selbst wurde schließlich die von Alex Hacke artikulierte Bezeichnung „Schöneberger Ikone“ zuteil), verwies nach dem ersten Part des Sets auf die direkt nach Ende des Konzerts käuflich zu erwerbende Liveaufnahme des kompletten Auftritts in der Columbiahalle am Merchstand und erklärte später in einem von zwei Zugabenteilen ausführlich das den Supportern bereits geläufige Improvisations-Experiment auf der Grundlage des von der Band entwickelten Kartenspiels „Dave“, aus dessen von der Band gezogenen Anweisungen (welche hinterher von den Mitgliedern jeweils einzeln nacheinander vorgelesen wurden) auch an diesem Abend ein erstmals zur Aufführung gebrachtes neues Stück Musik entstand.
Manch einem mag die Performance insgesamt gar ein wenig zu ruhig bzw. bedächtig erschienen sein, doch war es gerade diese präzise austarierte Zurückgenommenheit und die somit erzielte Betonung der beeindruckend kraftvoll vorgetragenen, metaphernreichen Bargeldschen Lyrik, die ganz besonders faszinierten. Außerdem blieb daneben natürlich stets auch nach wie vor genügend Raum für die überwiegend vom umtriebigen Perkussions-Klangwerker N.U.Unruh und „Drummer“ Rudolf Moser im Verbund mit Bassist Alex Hacke erzeugten, sich nach wie vor mittels allerlei ungewöhnlicher technischer Gerätschaften als hypnotische Rhythmus-Monolithe entpuppende Stücke (‚Die Befindlichkeit des Landes‘, ‚Let’s Do It A Dada‘, ‚Alles‘). Wunderbar aber ebenso die sich langsam lärmend erhebenden, den Kulminationspunkt gerne zusätzlich mittels choraler Vielstimmigkeit sämtlicher Bandmitglieder aufs Äußerste hinausgezögerten Spannungsaufbauten wie beispielsweise im grandios herbeigesummten Höhepunkt in ‚Unvollständigkeit‘ vom aktuellen Album.
Nach dem mit dem wundervollen ‚Youme & Meyou‘ von Perpetuum Mobile eingeleiteten Ende des zweiten Zugabenblocks und somit eines über zweistündigen Konzerts dürfte die überwiegende Mehrheit der Besucher für sich ganz persönlich konstatiert haben, dass – für ein Konzert der NEUBAUTEN zwar immer noch ein wenig untypisch – hier Weniger größtenteils tatsächlich eindeutig mehr war und die einst so lustvoll lärmenden Berliner Klangkonstrukteure mittlerweile den teilweise auch durchaus schon am Publikum abzulesenden Status einer im weitesten Sinne konsenstauglichen Familienband innehaben. Trotz knapp 30 Jahren Bandhistorie eigentlich unglaublich.
www.neubauten.org
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Autor: [EMAIL=thomas.stern@popmonitor.de?Subject=Kontakt von der Website]Thomas Stern[/EMAIL]