Can you be happy?
Hoch liegt sie, ganz weit oben, die Messlatte, und nicht zuletzt der Künstler selbst hat sie dorthin geworfen. Seit nunmehr über 15 Jahren und in diversen Konstellationen (mit den Sneaker Pimps, unter dem tatsächlichen Geburtsnamen oder wie aktuell als IAMX) veröffentlicht der schmächtige Engländer mit scheinbar niemals versiegender Kreativität und Inspiration Werke, die vor Intensität strotzen, vor Wut platzen, zu Tränen rühren oder auch schlicht alles zusammen und gleichzeitig tun.
Dass er sich dabei irgendwann augenscheinlich ein wenig in einer Spirale aus kompromisslosem Eigen- und genialem Wahnsinn verloren hat – verziehen. Ebenso der Wandel vom stillen, schüchternen Astrophysikstudenten, der zu Beginn seiner Karriere noch zart-stark das Mikrofon in Beschlag nahm, über eine ekstatisch-elektrisierte Rampensau hin zum irritierend theatralisch-(selbst)inszenierenden Artisten, all dies sind nur kleine Puzzlestücke, die das große Gesamtkunstwerk mit ausmachen.
Nun also das nächste Experiment, denn der bekennende Kontrollfreak hat das Türchen zu seiner Welt aufgestoßen, Freunden und Bekannten das im Jahre 2009 erschienene, dritte (Solo-) Album Kingdom Of Welcome Additiction durch den Spalt zugeschoben und anschließend alles beim hauseigenen Label zusammengepresst. Und weil selbst das noch nicht genug Umbau war, ist dabei nicht nur eine quasi neue Platte entstanden, sondern diese auch noch mit einem anagrammierten Titel versehen worden. Ja, IAMX ist ein wohldurchdachtes Rundumprojekt.
Da liegt es nun, nennt sich Dogmatic Infidel Comedown OK und enthält laut Beschreibung „Reworks and interpretations of IAMX3“. Gefährlich. Gefährlich insofern, als dass so etwas gerne in (mittelmäßigen bis schlechten) Coverversionen endet, Perfektion doch irgendwann endlich wird und generell zu viele Köche den Brei verderben. So geschehen – und es bricht einem irgendwie das Herz – leider auch in diesem Fall, beinahe könnte man den Eindruck gewinnen, dass sich durchaus großartige Einzelkünstler – und derer finden sich einige, wie Alec Empire, Miss Derringer, Combichrist oder James Cook – in ihrer Melange mit Chris Corners Werken gegenseitig neutralisieren.
Oder ist es diese verdammte, subjektive Erwartungshaltung, die man oftmals zu unterdrücken versucht und dennoch hegt, die Hoffnung auf gewohnte Emotionsexplosionen, die sich leider gerade dann nicht einstellen wollen, wenn ein Lied wie ‚I Am Terrified‘ die Transformation von unsäglich aufwühlend hin zu einem – zugegebenermaßen guten – massiv-düsteren Electrotrack vollzieht, ‚Think Of England‘ auf einmal kein wütender Abschluss mehr mit der eigenen Vergangenheit ist, sondern sich fast schon komplett ins Gegenteil verkehrt und ein triumphal geschmettertes ‚The Great Shipwreck Of Life‘ geradezu poppig und mit rhythmisch unterlegten Beats durch seine aufbereiteten Zeilen springt.
Da ist sie wieder, die Messlatte. Und wirft als Résumée die Frage in den Raum, an was man Dogmatic Infidel Comedown OK messen kann/soll – respektive ob überhaupt. Als musikalisches Individuum betrachtet ist es sicherlich ein herausragendes Wagnis mit außergewöhnlichem Charme, das gerade in einschlägigen Clubs begeistern könnte. In Reihe gestellt mit all seinen Vorgängern fehlt aber bedauerlicherweise das, was Chris Corner in all seinen bisherigen Variationen ausmacht: Seele.
IAMX
Dogmatic Infidel Comedown OK
(61 Seconds Records / Soulfood Music)
VÖ: 19.03.2010
http://www.iamx.eu
http://www.myspace.com/iamx
Autor: [EMAIL=verena.gistl@popmonitor.de?Subject=Kontakt von der Website]Verena Gistl[/EMAIL]