Wild Beasts

Einer Einordnung in ordinäre Grundmuster entziehen sich WILD BEASTS seit jeher. Zu extravagant sind ihre Melodien, zu scharfsinnig ihre Texte, zu kunstvoll ihr Spiel mit den Gegenpolen, wenn HAYDEN THORPES Falsettgesang auf TOM FLEMMINGS Bariton trifft. Mit Present Tense, ihrem bisher synthetischsten Album, präsentiert sich das Quartett aus dem kleinen Kendal im äußersten Nordwesten Englands eindrucksvoller denn je. Kurz vor ihrem Auftritt beim Electronic Beats Festival in Leipzig sprachen Bassist und Co-Sänger TOM FLEMMING und Gitarrist BEN LITTLE mit Popmonitor über die neue Platte, Reifungsprozesse, Authentizitätsverluste der britischen Musikszene, politische Ernüchterungen sowie ihre Abneigung gegen fixe geschlechtliche Rollenbildern.

Vergleicht man Present Tense mit Limbo, Panto oder Two Dancers, fällt auf, dass sich euer Klangkosmos entschieden verändert hat. Irgendwie wirkt alles ein weniger bedachter. Woher kommt dieser Wandel?

TF: Ich bin froh, dass du das sagst. Ich glaube, wir hatten Angst davor, eine 1:1 Wild Beasts-Platte zu machen. Auf jeden Fall war uns eine Vereinfachung wichtig, also haben wir versucht, alles Komplizierte abzubauen und uns schlichter auszudrücken. Viele Songs sind auf dem Computer entstanden. Das ist zum Teil das Ergebnis eines Platz- und Geldmangels; sich einen großen Proberaum in einer teuren Stadt leisten zu können. Das Album wurde zu einem großen Teil in London aufgenommen. Wir hatten zwei Studios. Eins davon lag unter einem Wohnblock, das andere unter einer S-Bahn-Linie. Ich denke also, man kann das Album nicht anhand einer natürlichen Neigung erklären, sondern muss es mehr als Echo der Einschränkungen und Dinge, mit denen man täglich umgehen musste, sehen.

BL: Und als das Ergebnis eines Lernprozesses, dass weniger manchmal mehr ist. Auf unseren ersten Platten mussten wir noch alle zur gleichen Zeit irgendetwas spielen und alles war ein einziges musikalisches Drama, um das eigene Ego zu bestätigen.

TF: Weniger ist mehr. Du kriegst das von klein auf gesagt. Tatsächlich musst du es aber erst selber lernen. Das braucht Zeit und ist ein Prozess des Älterwerdens.

Statt des musikalischen Dramas rückt das Emotionale stärker denn je in den Vordergrund, was zum Teil daran liegen mag, dass Ihr von eurer lyrischen Sprache Abstand genommen habt. Eure Texte sind nun für viele nachvollziehbarer. Wart Ihr es leid, Euch ständig erklären zu müssen?

TF: In der Tat wollten wir auf diesem Album textlich von Metaphern wegkommen, die Dinge so sagen, wie sie sind und für sich sprechen lassen. Wir wollten ernsthafte Bilder statt Erklärungen. Wir versuchen, komplexe Dinge einfach auszudrücken. Das macht den Unterschied. Davor haben wir versucht, komplexe Dinge auf komplexe Art und Weise auszudrücken.

Mit „Wanderlust“ thematisiert ihr die kulturelle Maskierung der englischen Musikszene. Gegen Ende stellt ihr die Frage in den Raum “In your mother tongue what’s the verb “to suck”?”. Welcher Gedanke steckt dahinter?

TF: Dieser Song dreht sich definitiv um kulturelle Verstellung. Es braucht nämlich eine Menge Mut – und ich sage nicht, dass wir mutig sind – gewissermaßen authentisch zu sein und zu versuchen, Dinge aus dem eigenen Gedächtnis zu ziehen und sich mit ihnen in Verbindung zu setzen. Darauf bezieht sich diese Zeile.

BL: Vor allem richtet sich das an Kopisten innerhalb der Musikszene, die mit amerikanischem Akzent singen, wenn sie eigentlich aus dem Norden Englands kommen. Es geht hier vor allem um Authentizität.

“They’re solemn in their high, we’re rich in our poverty, we see the things they’ll never see“ – für mich ist der Song auch eine Stellungnahme zu ökonomischer Ungleichheit und der Aushöhlung des Sozialstaates. Was ist euer Vorwurf an „die Anderen“?

TF: Nun, dieses ganze Album ist gewissermaßen über Politik. In diesem Fall geht es um die Leute, die die Welt und Länder wirklich in ihren Händen halten. Wenn du in eine bestimmte Situation hineingeboren wurdest, dann gibt es Dinge, die du niemals haben wirst. Ich finde es wichtig, dass wir weiterhin darüber verärgert bleiben. Gerade für junge Leute ist das da draußen eine verdammt unfaire Welt. Alles hängt vom Geld ab. Manche Kids haben es da  schwer.

Traurigerweise befassen sich immer weniger Menschen mit Politik, und eine große Zahl nutzt noch nicht einmal die Freiheit, ihre Stimme abzugeben. Was denkst du ist der Grund dafür?

TF: Es wird einfach schnell ein Teufelskreis und dieser beginnt an dem Punkt, an dem Menschen so viel lügen, dass sie sich nicht einmal mehr die Mühe geben, ihre Lügen zu tarnen. Man setzt irgendwann voraus, dass Menschen nicht die Wahrheit sagen. Wenn du einen Politiker interviewst, dann wird er unabhängig von der Frage immer und immer wieder das Gleiche sagen, denn das ist das Zitat, das man in die Nachrichten bringen möchte. Ich glaube, wir alle werden stärker denn je in die Politik mit einbezogen. Und doch ist es ernüchternd, weil es sich gleichzeitig so anfühlt, als ob es gar keine Möglichkeit für einen Wandel geben würde.

Apropos Wandel: Auf „Daugthers“ singt Du „pretty children sharping their blades“. Siehst Du eine Rebellion gegen die Konzentration von Wohlstand auf uns zukommen?

TF: Wir errichten eine fragile und ungerechte Welt und ich kann es nur von ihnen erwarten. “Daugthers“ ist gewissermaßen ein Song über die Verantwortung darüber. Ganz nach dem Motto: Was zur Hölle erwartet Ihr denn? Sie werden nichts von der vorausgegangenen Generation erhalten. Man kann sagen: Es wäre verdient.

Auffällig finde ich, dass es dabei um einen weiblichen Aufstand geht. Jesus wird kurzerhand zur Frau ernannt. Seht ihr euch als Feministen?

TF: „Daugthers“ ist ein feministischer Song – definitiv. Eine Menge unserer Songs stellen starke Frauen und schwache Männer in den Vordergrund. Das ist sicherlich ein Charakteristikum unserer Musik. Mit der Zeit hat mich die Diskussion um männliche Gewalt und männliche Kraft gelangweilt. Ich fand es viel interessanter, das Ganze zu feminisieren.

Tatsächlich scheint die Attribuierung des Starken als typisch männlich immer noch im sozialen Rollenbild verankert zu sein. Ihr beschäftigt Euch in vielen eurer Songs damit. Mit welchen Herausforderungen seht Ihr moderne Männer konfrontiert?

TF: Vieles bei uns dreht sich um die Unmöglichkeit, ein starker Mann zu sein und gleichzeitig mit seinen Gefühlen in Verbindung zu stehen. Eine sozial gesehen „gute Person“ und gleichzeitig ein gefühlsbetonter Mann zu sein, ist immer noch schwierig und die große Herausforderung. Sexualität ist ebenfalls immer wieder ein Thema in unseren Songs. Es dreht sich vieles um männliche Sexualität, doch nur wenig beschäftigt sich mit den Zweifeln und dem Scheitern. Das ist genau das, was die Leute immer noch verängstigt. Es gibt nicht „Der Mann“ und Punkt. Es gibt keinen Typ A von Mann, der man sein muss, aber niemand sagt einem das.

Wir haben jetzt viel über Ängste und Wut gesprochen. Ich habe schon oft von Euch gehört, dass Ihr Present Tense für ein Album mit einer positiven Grundstimmung haltet. Wie passt das zusammen?

TF: Auf jeden Fall spricht das Album von Hoffnung und Schönheit. Verzweiflung und Sterben sind ebenfalls Themen auf der Platte. Das zu trennen wäre schlechte Kunst. Es ist irgendwie eine “dealing with stuff“-Platte. Und ein Versuch zu sagen: Wohlstand bedeutet noch lange nicht Schutz.

Fühlt Ihr Euch mit dem Älterwerden letzten Endes wie eine andere Band als noch vor ein paar Jahren?

TF: Ja, erfahrener!

BL: Jeder macht diese Entwicklung durch. Wenn du mit Anfang Zwanzig anfängst, dann kümmert dich so gar nichts. Du denkst, dass eh immer alles gut wird und wenn du dann älter wirkst merkst du, dass die Menschen sterben und gravierende Dinge passieren. Das kann einem ziemlich Angst einjagen. Und je mehr dieser Dinge passieren, desto mehr verstehst du, dass es dich trotz allem doch ganz gut erwischt hat. Ganz genau so fühlen wir uns.

WILD BEASTS
Present Tense
(Domino Records)
VÖ: 01.11.2014

www.wild-beasts.co.uk

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