Die anhaltende Manga- und Animebegeisterung hierzulande, muss mal erwähnt werden. Was für viele Mainstream-Musikhörer und -Fernsehzuschauer unbegreiflich ist, ist für bereits zwei Generationen unverzichtbar geworden: japanische und koreanische Kulturprodukte. Ein solches ist INORI MINASE, die gerade mit ihrem zweiten Album Japan erobert. Nach dem letztjährigen Innocent Flower ist sie ein gefragter Jpop-Act ohne jeglichen individuellen Ausschlag. Der ist auch genau wie Kritik überhaupt nicht bei ihrer Kundschaft erwünscht.
Animefans kennen Minases hohe Stimme nur zu gut. Sie hat seit 2010 in dutzenden Serien und Videospielen mitgewirkt. Da war ihre Popkarriere nur eine Frage der Zeit. Dass man ihren Output zum größten Teil nicht ernst nehmen kann, ist selbstverständlich. Sie kann als Beispiel dafür gelten, was problematisch ist an der J-Kultur.
Der Anti-Individualismus asiatischer Produktionen ist von dortigen Idolgroups und Boybands bekannt. Fräulein Minase geht jedoch durch ihre vielen Anime-Sprechrollen darüber hinaus, denn hier wie in ihren Musikvideos mimt sie und propagiert das perfekte Mädchen. So spielte sie etwa die scheue Chizuru Takano in der Serie Tsurezure Children. Für den typisch quirligen Titelsong wurde „Ai Mai Moko“ verwendet, der im Grunde nicht zu der steifen Serie passt. Hier stecken Schüler ganz in der aristokratischen Höflichkeitskultur Japans, die ihnen permanent Scham zumutet und der sie zu entgehen versuchen. Öffentliche Gefühle sind tabu.
Die in europäischen Augen so niedlich wirkende Absurdität des japanischen Alltags wird von Musikern wie Minase nie in Frage gestellt. Der fröhliche, über-emotionale Vortrag täuscht moderne Intensität vor, die jedoch völlig sublimiert und privat ausgelebt wird. Die postmoderne Auseinandersetzung sorgt bei europäischen Firmen nicht dafür, von ihren japanischen Geschäftspartnern ein Ablegen dieser lächerlichen Höflichkeitsformen zu fordern, sondern dass sie reihenweise interkulturelle Seminare besuchen. Und so wird von Inori auch vom europäischen Markt kein Mehr an Authentizität verlangt, sondern ihre Musik beklatscht. Mag sie auch mit „Identity“ oder „Shoo-Bee-Doo-Wap-Wap!“ Zugeständnisse an amerikanischen Pop machen, schlägt sie sich schon durch die ständige Stimmendoppelung selbst zurück in die quietschende Passform.
Inori Minase
Blue Compass
(King Amusement Creative)
VÖ: 23.05.2018