Viel mehr als nur ein weiteres X auf der Musiklandkarte.
Es gibt Buchstaben, die sind in der Musikbranche sehr beliebt. Nicht nur in aneinandergereihter Version als textliche Elemente der künstlerischen Kreationen, auch bei der Gestaltung des Bandnamens wird meist bereits mit Bedacht gewählt. Das eigentlich ganz hinten im Alphabet versteckte X beispielsweise erfreut sich schon seit einigen Jahren steigender Beliebtheit: IAMX, The XX oder Static-X, um nur einige zu nennen.
Nun kommen noch zwei energiegeladene Fräulein aus der beschaulichen, südenglischen Kleinstadt Winchester dazu: CAPITAL X (am Freitag, 20.11. live im NBI / Popmonitor Party). Gesucht und gefunden, Faust auf’s Auge, Topf zu Deckel – Julz und Ruby lernten sich in der Schule kennen und hatten von Anfang an vor allem eines gemeinsam: die Liebe zur Musik. So viel Rabatz wie möglich wollten sie veranstalten, und so kratzten die beiden alles zusammen, um sich das erste, noch ziemlich bescheidene Equipment besorgen zu können. Nach und nach wurde aufgestockt, ausprobiert, getüftelt und verbessert, bis alles so klang, wie es sollte. Als es schließlich an der Zeit war, die Ergebnisse in die Welt zu tragen, musste natürlich noch ein Name her – und hier kommt das X ins Spiel. Die Beweggründe und Meinungen dazu könnten fast nicht unterschiedlicher sein: während Ruby ihn vorschlug, weil er kraftvoll klänge, wirft Julz ein, sie würde seine Neutralität und fast schon Bedeutungslosigkeit mögen. Ein Widerspruch? Nein – recht haben sie doch irgendwie beide.
popmonitor.berlin: Ihr beschreibt eure Musik als „TWICE-YOUR-HEART-RATE-DIGI-ROCK-N-ROLL“ – was darf man sich darunter vorstellen?
Julz: Beats, die dich zum tanzen und deine Nase zum Bluten bringen. Es ist ziemlich mächtig, aber gleichzeitig melodiös und jedes Lied hat eine Struktur, die ich manchmal gern etwas verkompliziere. Wir spielen so viel wie möglich davon live, das ist es, was für uns erfüllend ist. Ja, wir sind eine Electroband, aber möglicherweise nicht so, wie man das erwartet.
Ruby: Es ist „twice your heart rate“, weil wir einen physischen Effekt auf die Menschen haben möchten, sie tief drin greifen und die Knochen schütteln, den Magen umdrehen wollen. Und bezüglich „digi-rock-n-roll“ – schaut uns live an und ihr werdet es rausfinden.
Habt ihr Einflüsse oder Vorbilder, was ist eure Inspiration?
Ruby: Wir nehmen so viel auf. Ich mochte immer schon Bands, die fast eine kleine Welt um sich herum aufbauen, so dass man anfängt, Dinge mit ihnen zu assoziieren, die noch nicht mal etwas mit Musik zu tun haben müssen – wie die Sex Pistols, Kavinsky, Fischerspooner. Die haben alle ein richtig starkes Image. Sie sind ein Komplettpaket – Musik, Look, Attitüde. Wenn ich einige bestimmte Dinge nennen müsste, würde ich sagen Street Fighter, Comicbuchhelden, Gaye Advert, Spandex und Yamaha DX7.
Julz: Keine Idole im eigentlichen Sinne. Wir werden von so vielen Dingen beeinflusst, nicht nur musikalisch, es ist ein bisschen von allem was wir mögen in dem, was wir tun. Jedes Lied, das wir schreiben, hat ein Konzept und fast schon einen zentralen Charakter. Was wir erschaffen, hängt von der Stimmung ab, in der wir uns zu diesem Zeitpunkt befinden. Sollte ich ein paar Sachen wählen, wären es die Sex Pistols, Alec Empire, Iron Maiden, Deftones, Comicbücher, Bier und der Film The Warriors.
Nach Club Midnight letztes Jahr steht nun die Veröffentlichung eurer neuen Single Number One Fight Star an. Dabei fällt auf, dass beide Cover künstlerisch einer bestimmten Richtung folgen – wer macht bei euch das Artwork?
Ruby: Das mache ich, ich denke in Bildern, wenn wir also ein Lied schreiben, beginnt es mit einer visuellen Idee – vielleicht eine Figur wie bei „Number One Fight Star“ oder der Szene eines Autounfalls wie bei „Death Valley“. Die Musik baut sich dann darum auf. Also ist es eigentlich mit dem Artwork nur eine Frage des „zurück zu dem Punkt, an dem alles begann“. Ich liebe Comics und Videospiele, was sich vermutlich in den Illustrationen bemerkbar macht. Und da ich Computergrafiken nicht besonders mag, zeichne ich alles per Hand und fotografiere es dann. Ich sammle buchstäblich hunderte von Papierfetzen mit Bildern oder Fotos aus Magazinen und Postkarten, weil ich sie gerne um mich habe.
Julz: Ruby macht all unser Artwork, das ist großartig. Weil sie auch Teil des Songwriting ist, kann sie die Musik visuell zum Leben erwecken. Ich bin mir nicht sicher, dass das jemand anderes könnte. Wir machen alles selbst, ich würde es gar nicht anders wollen.
Auf Club Midnight sind auch zwei Remixe – einer von Steve Bond (Chikinki) und der andere von CJ (The Wildhearts). Wie ist es dazu gekommen?
Julz: Wir wollten zwei unterschiedliche Blickwinkel auf unser Lied, also haben wir zwei Personen angesprochen, deren Musik sehr unterschiedlich ist, die wir aber beide gleichermaßen mögen, uns zu zeigen, was sie damit anstellen können. Ich mag die Idee, dass jemand einen Song komplett aus dem Kontext nimmt und ihn überarbeitet. Also haben wir beiden eine Kopie geschickt, glücklicherweise mochten sie ihn und los ging’s.
Ruby: Beide sind Künstler, die wir gerne hören, darum war es wirklich aufregend, dass sie an unserem Track gearbeitet haben. Wir wussten, dass sie von einer ganz anderen Richtung an ihn herangehen würden, was toll ist, da wir nicht gerne in eine bestimmte Ecke gestellt werden. Wir finden es toll, dass wir in der Mitte von verschiedenen Genres sitzen können und es trotzdem immer noch funktioniert, denn im Grunde hat ja alles den gleichen Ursprung.
Gibt es noch andere Künstler mit denen ihr gerne arbeiten würdet?
Ruby: Jeder mit großen Ideen – denn auf diese Weise können wir mehr raushauen, als zusammen genommen jeder von uns allein. Uns gefällt der Gedanke, Teil eines Kollektivs zu sein, was vermutlich teilweise von dem Wunsch herrührt, in einer Gang zu sein. Das ist nur natürlich. Und ein gesunder Weg zu arbeiten. Ich hätte wirklich gerne einen MC in einem unserer Songs.
Julz: Jeder, der irgend etwas Interessantes macht. Das Genre ist egal, wir sind immer offen für Kollaborationen. Wir hatten einige Jahre einen langsameren, eher nach „Dubstep“ klingenden Track in unserem Set namens ‚Predator‘, der schreit förmlich nach einem Gast-MC.
Habt ihr auch vor, ein Album zu veröffentlichen?
Julz: Der nächste Release wird die Power Pack EP sein, von der auch ‚Number One Fight Star‘ stammt und die die fünf Tracks von unserem aktuellen Liveset enthält. Wir schreiben unentwegt Lieder, also könnte gut ein Album dabei herauskommen!
Ruby: Und ihr bekommt ein schönes, ausklappbares Poster dazu.
Julz: Ein Stückchen Capital X für eure Schlafzimmerwand.
Berlin ist offenbar ziemlich attraktiv für sowohl nationale, als auch internationale Bands, manche leben sogar inzwischen hier. Hat eure Heimatstadt eine lebendige Musikszene oder habt ihr schon mal überlegt, woanders hinzuziehen, zum Beispiel nach London?
Julz: Die kleine Stadt, aus der wir kommen, hat nicht wirklich eine Musikszene. In London ist viel los, das ist großartig, aber es ist als Band nicht notwendig, dort zu leben. Es mag sogar mehr schaden als gut tun, da man in der Menge untergehen kann. Andererseits laufen Bands, die sich auf ihre Heimatstadt beschränken, Gefahr, selbstgefällig zu werden – sie spielen letztlich immer vor dem gleichen Publikum und bekommen insofern immer die gleiche Reaktion. Wir wollen sicherstellen, dass wir unterschiedliche Leute und unterschiedliche Reaktionen in unterschiedlichen Städten erleben, so dass wir sehen, was sie von uns halten. Deine Musik kann nicht bedeutsam werden, außer du gehst raus und lässt andere daran teilhaben.
Ruby: Ich denke auch, dass es gefährlich ist anzunehmen, der Umzug in eine bestimmte Stadt würde alles verändern. Ich kenne viele Leute, die diesbezüglich wirklich naiv sind. Klar, die Chance vor einem größeren, vermutlich auch einflussreicheren Publikum zu spielen ist in einer Großstadt oder einer Stadt mit einer Szene wahrscheinlicher, aber das ist alles so zerbrechlich. Wir möchten, dass unsere Show überall in der Welt besteht. WIR bestimmen unser Programm, nicht eine Stadt.
Ihr seid bereits durch England getourt, ist das Konzert in Berlin nun das erste auf dem Festland, oder habt ihr auch schon woanders gespielt?
Julz: Dies ist unser erster Auftritt außerhalb Englands. Es fällt mit dem Release von Number One Fight Star (23.11.2009) zusammen, also freuen wir uns wirklich darauf. Berlin, wir kommen – lasst uns feiern!
Abschließend… Gibt es eine Frage, die ihr schon immer beantworten wolltet, aber noch nie gefragt wurdet? Jetzt ist die Chance!
Julz zu Ruby: Was magst du am meisten am Livespielen?
Ruby: All die Energie. Wenn du auf die Bühne gehst und die Leute Vorstellungen davon haben, wie du als Mädchen mit Keyboards klingen wirst. Sie erwarten normalerweise nicht, dass man sich so viel bewegt oder mal ein Haar aus der Frisur rutscht. Und dann legen wir richtig los. Das beste Erlebnis war in Leeds, als Julz und ich Rücken an Rücken Keyboard spielten und ich ihr Korg vom Ständer fliegen ließ. Sie ging einfach mit runter und spielte weiter, so dass das Set schließlich damit endete, dass wir es beide auf dem Boden beendeten. Jeder drehte durch. Wir überraschen gerne. Je verschwitzter ich danach bin, umso besser war die Show.
Ruby zu Julz: ‚Trailblazer‘ ist eines der Lieder, die ich am liebsten spiele. Findest du, dass Capital X ebenfalls „trailblazer“ sind und falls ja, inwiefern?
Julz: Der Song ‚Trailblazer‘ ist über Menschen, die immer nach etwas Neuem suchen, die sich zu 100% in Sachen reinwerfen und niemals aufgeben. Darüber, dass diese Menschen Gleichgesinnte finden, all das aufsaugen, was sie tun, rausgehen und etwas unternehmen. Also, ja, insofern sind wir das auch. Das ist Capital X! Wir lieben, was wir tun, es ist fast schon eine Obsession, wir machen keine halben Sachen und wir haben immer Spaß. Nicht vergessen – „The Beat Will Make You Stronger“. Es hat uns dort hingebracht, wo wir heute sind.
Vielen Dank für das Interview, wir freuen uns schon auf die Auslandspremiere bei popmonitor.berlin.live am 20.11. im NBI!
Freitag, 20.11.2009 21 Uhr // NBI
live: WELL DONE, JACKSON POLLOCK + SANDY BIRD
Party ab ca. 0 Uhr mit popmonitor DJs (Indie/Brits/Electro) + special guest (live!): CAPITAL X (UK)
kein VVK / AK 6 EUR, Party 3 EUR
Autor: [EMAIL=verena.gistl@popmonitor.de?Subject=Kontakt von der Website]Verena Gistl[/EMAIL]