MICHELLE GUREVICH, die Grande Dame des Artpop, meldet sich vier Jahre nach ihrem letzten Album zurück. Cool und geheimnisvoll, verrucht und bedacht wie immer hat sie sich einen eigenen Stil geschaffen, den sie jetzt durchzieht.
Schwerer Bass fordert in „Carried Away“ Michelle zum Slowdance auf. Nach diesem schattigen Intro geht es unter die Dusche. Müde vom Leben versucht sich das lyrische Ich (ein Arbeiter) in seinen winzigen Rückzugsort zu retten. Hier beginnt auch zu Akkordeon die Grübelei über die Weltlage: „The war keeps on going, no one knows what for. A hundred years of trauma lead to a hundred more. Another madman in power, cause only madmen seek power.“ Wie soll man nur aus dem verdammten Ukrainekrieg herauskommen? In „Goodbye My Dictator“ kehrt sie einem Präsidenten den Rücken: „We’ll all be dancing when you die.“
„Kosovo“ ist ein Post-Punk-Song, der tatsächlich auf die Tanzfläche drängt. Doch hierauf folgt sogleich wieder der langsame Paartanz: Das dramatische Titelstück spricht als Erinnerung über den magischen Moment des Verliebens, von dem nur eine zurückliegende Liebschaft bleibt: „Nothing is sacred.“ Traurig ist dieser Slowcore-Chanson. Doch die Lebenslust zieht die Sängerin weiter („Every Night Feels Like The Last“).
Nein, spaßig ist diese Musik nicht, wirft sich Gurevich ja sogar vor, ihre Melancholie auszubeuten, die auf ihrer traurigen Kindheit beruht: „You don’t pay me to be happy. You don’t pay me to have fun. We all need entertainment, watching others come undone.“ („Tragedy For Sale“) Immerhin rührt sie noch immer die Erinnerung an ihre Eltern. Es sind die Fotos einer untergegangen Zeit und die russischen und europäischen 70er-Jahre-LPs, die ihr alles bedeuten: „They’re the realest world of all.“ („Pictures“)
Wieder hat sie bestechend schöne Songs eingesungen, die hoffentlich in Hotellobbys und dunklen Clubs ihren Platz finden, an Orten des Transits.
Michelle Gurevich
It Was The Moment
(Selbstvertrieb)
VÖ: 06.11.24