MR. QUINTRON, MS. PUSSYCAT und CALVIN JOHNSON am 28.06.05 im Bastard


Späte Stunde, sonore Barden, aggressiver Fankult, joborientiertes Puppentheater und ausschweifende Keyboardattacken…



Warum muss in Berlin eigentlich alles immer so spät anfangen? Vor 22.00 Uhr geht ja bekanntlich gaaahaaaarnichts. So begab es sich, dass zu diesem Zeitpunkt, an diesem wunderschönen Dienstag Abend, auch erst um diese Zeit Einlass gewährt wurde, was aber noch lange nicht heißt, dass es zu diesem Zeitpunkt auch los geht. Ok. Ok. Wir sind nicht gerade bei Bruce Springsteen, wo dutzende Bühnentechniker noch auf und vor allem hinterher wieder abbauen müssten, aber verdammt noch mal, selbst in dieser strukturschwachen Stadt gibt es doch Leute, die am nächsten Morgen arbeiten müssen … oder?

Sei’s drum – so gegen 23.00 Uhr enterte dann ein Herr Namens CALVIN JOHNSON die Bühne, seines Zeichens Chef von K-Records, Radiomoderator, Erfinder der NARCOTIC DUB FOUNDATION und was weiß ich nicht noch alles…
Jedenfalls war dieser Tausendsassa bewaffnet mit einer Akustikgitarre und einer sonoren Stimme, deren Konglomerat mich anfangs noch begeisterten. Anfangs – ja anfangs. CALVIN JOHNSON stand also da und entlockte seiner Gitarre sehr entspannte Töne, die er immer wieder für eine Zeitlupenperformance unterbrach, die an die Bewegungen von Bauchtänzerinnen erinnerten, aber leider so gar nicht in den Körper des Herrn JOHNSON passen wollten. Gesanglich bewegte sich das Ganze im sonoren Bassbereich und verließ diesen während des ganzen Sets nicht mehr. Und so fing CALVIN JOHNSON an, uns sein Innerstes und Belanglosestes wie Busfahrten zur Schule, Lobhudeleien in Richtung MR. Quintron usw. usw. zu offenbaren, was mich (und ich glaube viele andere) zu diesem Zeitpunkt noch begeisterte, aber langsam und fast unmerklich schlich sich durch die doch sehr statische Performance Langeweile in meine Wahrnehmung ein, die mir aber erst bewusst wurde, als die ersten „BULLSHIT“-Rufe ertönten. In diesem Moment wurde auch mir dummem Jungen klar, dass der Herr dort oben uns für seine Psychoanalyse missbrauchte, denn er tat nichts anderes als uns seine Probleme entgegenzubrummen. In der Zwischenzeit wurde mir dann auch angetragen, dass es in den ersten Reihen zu aggressiven Tendenzen zwischen den gelangweilten und den verherrlichenden Fronten der Zuhörer kam, die in Folgendem gipfelten:

Gerade als ich am Zenith meiner ganz persönlichen Langeweile angekommen war und versuchte, diese mittels einer Parodie des Statffindenden zu vertreiben, indem ich die sonore Stimme imitierte, wurde ich von einem der vermeindlichen „Verehrer“ des dort oben jetzt schon seit 40 Minuten hindümpelden Vortrags (mit Songs hatte das wirklich nichts mehr zu tun), sehr unsanft zur Seite gedrückt, um wahrscheinlich seine eigene Sichtposition gegenüber diesem Banausen zu verbessern. Da ich noch vollig konsterniert über die rüde Attacke dastand und ich diese erst verarbeiten musste, wies meine Begleitung (übrigens die künftige Ehefrau Von KING KHAN) den Schwerenöter mittels eines Klapses auf dessen Schulter darauf hin, dass seine Aktion doch ein wenig unangemessen war, welches dieser dann dazu nutzte, mich sofort in den Magen zu boxen. Aha… Der Schmerz wich aber sofort der Begeisterung darüber, dass die völlig reduzierte Performance und das bloße Erscheinen dieses Indie-Gurus gepaart mit meiner blasphemischen Imitation imstande war, so viel Aggression zu erzeugen. Natürlich wollte ich wissen, ob da noch mehr herauszukitzeln war, und ich fragte „ob er nicht mehr zu bieten hatte“, worauf ich dann sofort einen wortlosen Tritt erntete. Schade schade, dass mich diverse umstehende Jünger des Herrn JOHNSON sogleich zum Übeltäter auserkoren hatten und sich mit dem rüden Burschen solidarisierten. Völlig konsterniert darüber, dass ich den schwarzen Peter zugeschoben bekam (was höchstwahrscheinlich in der Natur des Menschen liegt, die kleinere Person vor der größeren beschützen zu wollen), war ich leider damit beschäftigt, so einige Verbalattacken in meine Richtung abzuwehren, anstatt herauszufinden wie weit unser kleiner aggressiver Hardcorefan für sein Idol, der glaube ich schon seit 20 min darüber sinnierte, wie er bei einem Kumpel auf’m Dachboden schlafen musste, noch gegangen wäre. Wisst ihr, CALVIN JOHNSON, der glaube ich genau wusste, welche Zweiteilung er mit seiner Performance „provozierte“ kann und will ich gar keinen Vorwurf machen, und ich glaube wirklich, falls der kleine Kerl wie ein Berserker auf mich eingeprügelt hätte, wäre bei CALVIN JOHNSON darüber eine klammheimliche Freude entstanden. Jedenfalls hat er es geschafft, mehr Aggression zu erzeugen, wie ich sie zusammengenommen bei SLAYER, PANTERA und SLIPKNOT nicht erlebt habe, und dass auch ich meinen Psychoshit nun an euch auslasse … wenn ihr mir eure Kontodaten mailt, entschädige ich euch mit einem Euro, oder sollte auch ich Eintritt dafür verlangen!?



Kurze Zeit später hatte das Ganze dann auch endlich sein Ende gefunden, und der Konsens der geflüchteten Gelangweilten vor dem Bastard war „Armer-Irrer-Psycho-Indie-Ami“, der lieber andere auf die Bühne bringen sollte als sich selbst. Ein kleines Intermezzo von Dj C. X. HUTH, und Ms. PUSSYCAT lüftete ihr Puppentheater, um uns aus unserer Lethargie zu erwecken. Das sehr charmant und bunt arrangierte Puppentheater und dessen Hauptprotagonist, ein haariger Stinkstiefel mit unartikulierten Lauten, wussten sofort durch ihre Einmaligkeit zu begeistern. Das etwa 10-minütige (jaja, weniger ist oft mehr Herr Johnson) weckte die inzwischen müden Geister wieder und holte die verirrten Zwangsintellektuellen auf den Boden des Schabernacks zurück und erntete, zu Berlin und jeder anderen Großstadt passend, mit dem Spruch „Wer nix wird wird Wirt“ die Herzen des Publikums. Schön und so wahr – hat jemand Lust, eine Bar mit mir zu eröffnen?



Fast überganslos kam MS. PUSSYCAT hinter ihrem Puppentheater hervor, und MR. QUINTRON, der sich seiner „Heavy-Metal-Roadie-Verkleidung“ entledigt hatte, enterte sein getuntes Keyboard mit integrierter Drumset-Lichtanlage namens „DRUM-BUDDY“ (übrigens eigenes Patent des Herrn Quintron), und ich glaube, diversen anderen Spielereien, die den Gig ausbauen sollten und auch taten. Ab sofort hieß es „Are you ready for an organ solo?“ und 50% der Dagebliebenen waren dies und gönnten sich das, was ihnen CALVIN JOHNSON vorenthielt. Lebensfreude pur, tanzen, lachen, hüpfen und alles ohne irgendwelche Plattitüden (Hyper Hyper) zu bedienen. MS. PUSSYCAT, bewaffnet mit „Cha-cha-cha-Klöppeldingern“ (siehe Foto) und immer mal wieder ihren BH entblößend, und ein völlig wild gewordener MR. QUINTRON verwöhnten unsere ausgetrockneten Seelen mit ‚Place Unkown‘, ‚Teenage Antoinette‘,’I’m not Busy‘ und allem, was [I]Are you ready for an organ solo?[/I] zu einem grandiosen Album macht. Den Gipfel fand das Ganze in der Darbietung von ‚Miniture Breakdown‘, der noch mehr als alle anderen Songs die Aspekte des „SwampTechNoiseMoodSound“ zu repräsentieren wusste. Naja, dass die andere Hälfte des wie immer schwierigen Berliner Publikums zum Lachen in den Keller geht und sich künstlerisch wie intellektuell zu fein ist ihre krankhaften Kreativärsche zu bewegen, war kein Fehler der unbedingt notwendigen Zugabe, sondern der Berliner Szene, aber gottseidank stand ich ja gaaaaaanz vorne, so musste ich das Pack nicht sehen und konnte mich auf das Sehenswerte konzentrieren. Der Rest kann sich aufs neue Album, das Mitte Oktober sogar in Europa erscheinen soll, freuen – bis dahin können wir noch von diesem Erlebnis zehren.

Fotos: © Karim Gabou

http://www.krecs.com/calvin
http://www.quintronandmisspussycat.com
http://www.drum-buddy.com

Autor: [EMAIL=mirco.erbe@b-i-b.de?Subject=Kontakt von der Website]Mirco Erbe[/EMAIL]

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