MY SISTER GRENADINE – Popmonitor Act des Monats


Feier das Leben.



Vor gut fünf Jahren als Soloprojekt von Vincenz Kokot mit der Veröffentlichung des von introspektiv-melancholischem Songwriterfolk beseelten Shine In The Dark aus der Taufe gehoben, hat sich MY SISTER GRENADINE über den bereits von einem offeneren Bandansatz geprägten Nachfolger

War das erste Album noch ein intimes Solo-Singer/Songwriter-Album, ging es auf „Subtitles & Paper Planes“ doch stellenweise in eine experimentellere und auch elektrisch verstärkte Richtung, um nun wieder zum ausschließlich akustischen Ansatz zurückzukehren. Würdest Du dies dennoch als Weiterentwicklung betrachten?

VINCENZ: Definitiv. Nach der Veröffentlichung von „subtitles & paperplanes“ und den gemeinsamen Touren mit Felix und Angelina war relativ schnell klar, dass die Songs für das dritte Album auf der Ukulele geschrieben würden. Ich hatte auch klare Vorstellungen, inwiefern sich „spare parts“ vom Vorgängeralbum unterscheiden sollte – beispielsweise in dem Versuch, stärker die verdeckten und offensichtlichen Widersprüche unserer Gegenwart und ihrer oftmals sehr brutalen Bedingungen zu beschreiben, oder dem Ansatz, Politisches und Ästhetisches stärker aufeinander prallen zu lassen.

Würdet Ihr „Spare Parts“ als erstes richtiges Bandalbum bezeichnen, an dem alle Bandmitglieder gleichberechtigt mitgearbeitet haben? Wie kann man sich den Entstehungsprozess der einzelnen Songs vorstellen?

ANGELINA: Als wir die Akustik-Hälfte von „Subtitles & Paper Planes“ aufgenommen haben, war uns noch gar nicht richtig klar, dass wir „eine Band“ waren. Allerdings haben wir bereits bei den ersten Trio-Liedern als gleichberechtigtes Team zusammen gearbeitet und gemeinsam die Arrangements entwickelt. Ein großer Unterschied war damals sicherlich, dass es ein Doppelalbum war und Vince auf der zweiten Hälfte mit seiner Gitarre noch allein war. Ich würde aber trotzdem „Spare Parts“ nicht als erstes richtiges Bandalbum beschreiben, denn ohne „Subtitles & Paper Planes“ wäre all das jetzt gar nicht passiert. Das war damals schon der Ort, an dem wir alle drei gemeinsam waren. Jetzt haben wir uns von dem Punkt aus weiter entwickelt.

Nach drei Jahren ist es natürlich viel klarer zu hören, dass wir mit der Zeit zusammengewachsen sind und dass wir eine engere Beziehung zu unserer Schwester haben. Die Lieder entstehen aber dadurch nicht anders als vorher: Meistens hat Vincenz eine Idee für einen Text oder bereits eine Melodie auf der Ukulele – es wird dann wie ein halbfertiges Gerüst für ein Lied. An den Arrangements arbeiten wir dann zu dritt und überlegen, welches Instrument, welche Melodie an welcher Stelle Sinn macht. Es ist ein ziemlich langer Prozess, bis wir alle drei mit dem Ergebnis zufrieden sind.

Die Texte zu den einzelnen Stücken sind ja sehr umfangreich, wie schwer fällt Dir das Schreiben der Texte unter Einbeziehung einer größtenteils assoziativ-bildlichen Ebene? Was gibt den Anstoß für die in den Texten verhandelten Themen?

VINCENZ: Es fällt mir ehrlich gesagt zunehmend leichter, Texte zu schreiben. Inspiration und Anstoßpunkte gibt es eigentlich permanent, selbst wenn Du einfach nur die Straße runtergehst oder Nachrichten liest oder Gespräche in der U-Bahn mitbekommst. Für den Text bedeutet das zwar nicht, dass immer gleich alles offen vor dir liegt, aber ich sammle permanent verschiedene musikalische und textliche Fragmente, aus denen heraus dann ein Song mit einer Aussage, einer Stimmung, einer eigenen Persona entwickelt wird.

Zu „Shine In The Dark“ gab es mit „more like snowflake“ ja ein Remix-Album, auf dem zehn verschiedene Künstler_innen jeweils ihre Version eines Liedes präsentierten. Wie kam es zu dieser Idee und ist nochmal Ähnliches geplant?

VINCENZ: Direkt nach „shine in the dark“ begann eigentlich schon die Phase der Transformation, die akustischen Singer/Songwriter-Lieder wurden sowohl von den Interpreten auf „more like a snowflake“ als auch von mir in neuen Live-Versionen mit elektrischer Gitarre und Loop-Pedal neu interpretiert. Bis hin zu der Erkenntnis: Es gibt eigentlich kein „Original“. Bei „subtitles & paperplanes“ wiederum war die Idee, für jeden Song ein oder mehrere Videos zu machen, was sich aber zeittechnisch, finanziell und logistisch nicht umsetzen ließ. Zum neuen Album ist bisher keine Art von Remix oder Re-Interpretation geplant, aber wer weiß!

Ihr bezeichnet eure Musik als Free Folk, wie würdet Ihr selbst dieses (Sub-) Genre charakterisieren bzw. von anderen Spielarten des Folk wie Weird Folk, Neo Folk etc. abgrenzen?

FELIX: Wir haben nach einer Bezeichnung gesucht, die unserer Musik auf irgendeiner Art und Weise gerecht wird und eigentlich bisher nichts Passendes gefunden. Der Antrieb war vor allem, die Lieder nicht in die wohlgefällige Schublade „Singer/Songwriter“ zu stecken. Durch unsere akustischen Instrumente und unsere leisen Lieder gibt es eher einen Bezug zur Folk-Musik. Der Zusatz „Free Folk“ ist dazu gekommen, weil wir uns durch alles mögliche inspirieren lassen, alle drei einen sehr unterschiedlichen musikalischen Hintergrund mitbringen und unsere Musik am liebsten nur als Musik bezeichnen würden. Da passt so ein großes abstraktes Wort wie „Frei“ vielleicht am besten.

Auf die Gitarre verzichtest Du inzwischen ja weitgehend und beschränkst Dich auf die Ukulele, wie kam es zu diesem Schritt und vermisst Du die (auch elektrische) Gitarre nicht ziemlich? Gibt es nebenher vielleicht andere (neue?) Bands/Projekte, in denen Du diese (alte) Liebe auslebst?

VINCENZ: Zum einen war es wie gesagt so eine Art logischer Schritt innerhalb der Band und unserer Instrumentierung, die neuen Lieder komplett auf Ukulele zu schreiben und zu performen. Zum anderen gab es mir als Sänger auch mehr Raum, mich stimmlich zu entwicklen und vielfältiger zu agieren als mit der Gitarre, die doch schwerer und lauter und irgendwie »klassischer« ist. Ich habe es auch nicht als Verlust empfunden, sondern die (elektrische) Gitarre in anderen Projekten, wie etwa den Soundscape-Duo „jandl“, eingesetzt.



Die Kritiken waren seit dem ersten Album überwiegend positiv bis euphorisch (u.a Intro, Rote Raupe, Die Zeit), wie nehmt Ihr diese von allen Seiten entgegengebrachte Zuneigung auf und würdet Ihr euch wünschen, dass sich dies auch bald in einer größeren öffentlichen Wahrnehmung niederschlägt? Oder „feiert“ Ihr bewusst ein gewisses Nischendasein, aus dem Ihr euch gar nicht zwingend lösen möchtet?

FELIX: Wir machen Musik, weil wir sehr sehr viel Spaß dabei haben und es für uns ein Weg ist, lebendig zu bleiben. Das wir diese Sache dann mit anderen Menschen teilen können, indem sie uns zuhören oder was dazu sagen oder schreiben, macht dann noch mehr Spaß. Wir haben uns deswegen natürlich über diese Zuneigung gefreut und würden uns freuen, wenn das mit unseren neuen Liedern auch passiert. Aber wir haben keinen Plan, keine Strategie. Wir legen es darauf an, Musik zu machen und am Leben zu sein. Wir legen es nicht darauf an, „klein“ zu bleiben oder „groß“ zu werden.

Wie würdet Ihr die Live-Erfahrungen in Berlin und außerhalb Berlins, insbesondere auch im Ausland (bspw. Italien) beschreiben?

ANGELINA: In Berlin zu spielen ist immer wieder schön! Es ist sehr berührend, wenn bestimmte Leute immer wieder zu unseren Konzerten kommen – fast wie eine kleine Grenadine-Familie über die Jahre. Auf Tour zu sein – vor allem im Ausland – ist eine ständige Herausforderung. Diese Erfahrung ist nicht so einfach mit Wörtern zu beschreiben. Es ist laut und leise, schnell und langsam, intensiv und intensiver. Alle Bilder haben hellere Farben – und du bist plötzlich weit weg vom Alltag und offen für Neues.

FELIX: Unterwegs zu sein und die Lieder zu spielen ist einer der Gründe, warum wir all das machen. Wir haben keinen Bock, immer nur in Berlin rumzuhängen und die gleichen Gespräche zu führen, die gleichen Nachrichten zu hören, die gleichen Straßen zu benutzen, die gleichen Orte zu besuchen, die gleichen Steine im Weg zu spüren. Es ist sehr schön zu schauen, wie du einen Teil von dir selbst in unterschiedliche Kontexte platzieren kannst und was dann passiert: Unsere Lieder in einem teuren Hipsterladen oder in einem linksautonomen Zentrum, unsere Träume auf der Autobahn oder in der Straßenbahn, unsere Perspektiven in Berlin oder in Bologna, unsere Abstinenz in einem Theater oder bei einem trinkwütigen Macho-Barmann. „Live-Erfahrungen“ an sich sind für uns eigentlich gar keine abgetrennten Teile unseres Band-Daseins, sondern vielleicht das unbeschreibbare Dings von Grenadine überhaupt.

Zunächst steht im Zuge der Veröffentlichung des neuen Albums jetzt erst mal eine ausgedehnte Tour an, wie sehen die Pläne für das zweite Halbjahr 2013 aus?

FELIX: Wir werden unser Album im September mit unseren Freund_innen von Fooltribe noch in Italien veröffentlichen und dort dann ebenfalls auf Tour gehen. Zwischendurch gibts Sommerurlaub und ein paar Festivals – vielleicht auch noch ein neues Video, wer weiß. Außerdem gibts natürlich viele weitere Pläne für uns persönlich: Arbeiten, Uniabschluss, Theaterprojekte, andere Bands – es geht drunter und drüber und unsere Terminkalender streiten sich permanent. Wir werden sehen, was das Jahr so bringt. Jetzt kommt erst mal der Frühling!

Vielen Dank für das Interview und alles Gute für die Zukunft!

Das Album:

MY SISTER GRENADINE
Spare Parts
VÖ: 01.03.2013
(Solaris Empire / Broken Silence)

SPARE PARTS Record Release Tour
presented by byte.fm, rote raupe, popmonitor & bedroomdisco

01.03. DE – Leipzig, Horns Erben
02.03. DE – Potsdam, Hans-Otto-Theater
07.03. DE – Berlin, Korsobad / RECORD RELEASE PARTY with m.buntspecht, fi.kelly + fri.gawenda & diva banni
08.03. DE – Magdeburg, Moritzhof
09.03. DE – Hannover, Oberdeck
10.03. DE – Bremen (15:00), Cake & Tunes ›› Schwankhalle
10.03. DE – Lübeck (21:00), Tonfink
12.03. DE – Kiel, Prinz Willy / with bob corn
13.03. DE – Hamburg, Hasenschaukel / with bob corn
14.03. DE – Köln, Lichtung / with jonas zorn
15.03. DE – Aachen, Raststätte
16.03. DE – Saarbrücken, Sparte 4
17.03. DE – Darmstadt, Kaffeehaus Eberstadt
19.03. DE – Tübingen, Wilhelma
20.03. DE – Stuttgart, Galao
21.03. DE – Fürth, Babylon
22.03. DE – Jena, Theatercafé / with canned applause
23.03. DE – Kassel, Das H*** / with tonflation
24.03. DE – Hildesheim, Haus der Braut ›› Ballsaal Trillke / with masha qrella & aus
26.03. DE – Osnabrück, Freiraum Petersburg
27.03. DE – Castrop-Rauxel, Bahia de Cochinos
28.03. DE – Weimar, Jenaer Straße / with canned applause
29.03. DE – Chemnitz, Wäscheboden
30.03. DE – Dresden, Nikkifaktur


www.mysistergrenadine.com
www.solaris-empire.de

Fotos © My Sister Grenadine / Klára Dolezálková + Mark Benini
Autor: [EMAIL=thomas.stern@popmonitor.de?Subject=Kontakt von der Website]Thomas Stern[/EMAIL]

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