Staatsballett Berlin – Nacho Duato | Das Hässliche im Schönen

Herrumbre_FernandoMarcos_popmonitor_2016_previewFoto: Fernando Marcos

Bereits am 14. Februar präsentierte das Berliner Staatsballett die Premiere von Herrumbre – eine Choreographie von Intendant NACHO DUATO, die sich mit dem Terror und der Gewalt der modernen Welt auseinandersetzt. Sieben TänzerInnen werden von Violoncello, elektronischer Musik und realen Klängen aus Gefängnissen begleitet, um zum Ausdruck zu bringen, was mit Menschen passiert, die dem realen Schrecken ausgesetzt sind. Denn: So nah der Terror auch ist, so ungreifbar bleibt er meist auch im medialisierten Alltagstrubel. Im Interview mit Popmonitor spricht NACHO DUATO über neue Fragestellungen für das Ballett, alltägliche Verdrängungsmechanismen und die Darstellung des Grauens…

Herr Duato, welche Bilder hatten Sie im Kopf, als sie mit Herrumbre begonnen haben?

Das Stück wurde von dem Terrorangriff auf Madrid und Bildern aus Guantanamo beeinflusst. Darum alleine geht es aber nicht: Ich möchte ganz allgemein den Fokus auf Terror, Gewalt und die Konsequenzen daraus legen. Man muss auf die Grausamkeiten dieser Welt und die Missachtung der Menschenrechte aufmerksam machen.

Sehen Sie das als einen neuen Auftrag für das Staatsballett an?

Diese Themen zu reflektieren ist für mich nicht neu. Aber es stimmt schon: Für das Staatsballett ist es das vielleicht. Diese Arbeit ist wichtig – gerade in einer Zeit, in der Flüchtlingsströme täglicher Bestandteil der Berichterstattung sind. Herrumbre erhält dadurch neue Relevanz.

Steht dahinter ein politischer Aufruf?

Das nicht. Ich möchte einfach dazu beitragen, dass die Menschen anfangen, sich mit diesen Themen auseinanderzusetzen – wenigstens für eine Stunde und fünfzehn Minuten.

Und danach wird zur Tagesordnung übergegangen?

Es wäre furchtbar, wenn das passiert – wenn danach einfach eine Pizza verdrückt wird. Tatsächlich ist es heute aber so: Wir sehen im Fernsehen und auf den Titelseiten der Zeitungen ständig furchtbare Bilder. Dazu mischen sich absolute Banalitäten. Auf der zweiten Seite kommt schon die Rolex-Werbung. Es bleibt kaum Zeit, sich hinzusetzen und nachzudenken. Es sind zu viele Bilder. Wir filtern nicht mehr.

Aufmerksamkeit schaffen statt Entertainment – das ist also ihr Anspruch?

Ja, dafür ist Ballett da. Hier kann man über Fehler nachdenken. Ich weiß, die Leute haben alle ihre Probleme und wollen am Abend unterhalten werden. Bis zu einem bestimmten Grad kann Tanz auch dazu dienen, aber er muss vielfältiger  wirken. Inmitten der Schönheit muss das Hässliche offenbart werden

Wie funktioniert das? Wie kann man Grausamkeiten im Ästhetischen zum Ausdruck bringen?

Genau das ist das Problem, über das ich lange Zeit nachgedacht habe. Die Leute wollen schöne Ballerinas, schöne Körper und schöne Choreographien sehen – und dann dreht sich plötzlich alles um Grausamkeiten. Andererseits: Wenn man sich ein Bild anguckt, ist das genauso. Es kann wunderbar gemalt sein und trotzdem etwas Schreckliches darstellen.

Ganz nach dem Motto „Schönheit schafft Aufmerksamkeit“?

Genau, schließlich kann ich die Leute nicht über eine Stunde auf echte Gewalttaten gucken lassen. Das hält keiner aus. Wenn man das Ganze aber in schönen Bildern verpackt, funktioniert das. Auf einmal denken die Leute nach.

Welche Rolle spielt Musik dabei?

Die kann und muss sehr hart sein. Sie soll das Schreckliche unterstreichen. Bei Herrumbre habe ich extra reale Klänge aus Gefängnissen verwendet: Metalltüren, die zufallen, Schritte, die auf einen zukommen, Schreie, elektrische Schocks.

Heißt, sie muss auf der emotionalen Ebene wirken?

Ja, man muss bedenken: Die Opfer von Gewalttaten werden die Bilder vielleicht vergessen, aber niemals die Klänge. Es ist fast unmöglich, Geräusche zu vergessen. Schreie verfolgen einen. So emotional das alles für die Opfer ist, so emotional muss auch ein Stück sein, das sich mit ihnen auseinandersetzt.

Welche Art von Bühnenbild ist dafür nötig?

Auch das muss den Terror unterstreichen. Bei Herrumbre hatten wie eine rostige Mauer, die wie ein Gefängnis funktioniert hat. Die Mauer selber war das Folter-Element. Die Welt dreht sich weiter um sie herum – und die Tänzer auch. Alles muss sehr real wirken.

Apropos Opfer: Der IS verübt Terrorakte auf demokratische Staaten, ein demokratischer Staat wie die USA foltert wiederrum in Guantanamo. Wie kann man Opfer und Täter voneinander trennen?

Da wären wir beim Knackpunkt! Genau das möchte ich zum Ausdruck bringen. Eine solche Rollenverteilung kann man nicht vornehmen. Darüber sollte man sich mal Gedanken machen! Ich hoffe jedenfalls, dass die Leute das nach meinen Vorführungen tun!

www.staatsballett-berlin.de

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