NAKED LUNCH am 22.01.2010 in der Volksbühne („Universalove“ Live-Konzert)


Wann spricht der Zufall?



Zusammen mit der österreichischen Gruppe NAKED LUNCH ist der Regisseur Thomas Woschitz und sein Film „Universalove“ Anlass für die heutige Installation in der Berliner Volksbühne. Zwischen planenbehängten, schwarzen Wänden trifft man im halbkreisförmigen Areal auf Menschen, die leger ausgestreckt auf großen weißen Kissen vier Musiker auf der Bühne beobachten. Deren Blick ist starr auf die Leinwand gerichtet, da in jedem Moment der Film und somit ihr Einsatz beginnt.

Es ist heiß in Marseille. Die blonden Haare schlängeln sich im Fahrtwind aus dem Helm einer jungen Frau im Moped. Auf dem staccatoartigen, energischen Weg ist ihr starrer Blick einem noch unbekannten Ziel entgegen gerichtet.
Wo man sich umschaut, ist es weiß in Belgrad. Rüschen und Tüll umgeben eine gestresste Frau, um deren roten Mund sich erste Falten ziehen, bepackt mit einem Brautkleid verspricht sie einer Kundin, es umzuändern. Sie liebt einen Menschen, der halb benommen in einer Kneipe sitzend seine Emotionen nicht handhaben zu können scheint. Sie leben im jahrelang anhaltenden Schwebezustand, der konserviert von Missverständnissen, (Über-) Forderungen und Liebe am Leben gehalten wird. „Down by the river where you met him, where you kissed him first, where you hugged him like the spider hugs the fly. You will never let him down.“

Die Lichter der Straßenlampen leuchten in Luxemburg. Ein affektgeladener Mann sieht sich im Taumel, seine Faust schlägt zu, zeitgleich mit einer Liebeserklärung an das Opfer.
Eingepfercht in Computer, Regale und Blätter sitzt ein Mann in Tokio. Er wartet, blickt umher, schaut sich ein Video an, in dem eine Frau zu sehen ist. In pixelhafter Schwammigkeit scheint sich dem Mann ihre einzigartige Schönheit heraus kristallisiert zu haben. Während er weiterhin PCs repariert, wird ihr Anblick immer und immer wieder repetitiv einstudiert, Nahaufnahmen auf sein Gesicht suggerieren dabei eine traurige Ratlosigkeit. „All my Life I’m waiting here.“

Lange nachdem die Stadt eingeschlafen war, lagen zwei Menschen auf der Matratze in ihrer Wohnung in Brooklyn. Es wird Morgen, und eine schwere, unsichtbare Last lässt den Mann auf der Matratze liegen, während eine fliegende Haarsträhne die Frau in ihrer Unbekümmertheit auf dem Weg zur Arbeit demonstriert. Ein Beweis kann obsolet sein, wenn der Zeitpunkt gekommen ist, wo man sich sicher ist, den Betrug im Gefühl zu haben. „You’ve been looking for a ghost, a phantom that never dies.“

In den Favelas Rio de Janeiros ist der Blick zweier Damen starr auf den Bildschirm gerichtet. Gerade, als die dramatische Spannung in ihrer Telenovela zu kulminieren scheint, fällt der Fernseher aus. Die unerklärliche Wut eines Menschen geschieht, der jede eigene Hoffnung, jeden Wunsch und jedes eigene Begehren in die hochgesteigerte Komprimierung einer artifiziell produzierten Liebesgeschichte hinein projiziert.



Es ist das Motiv der Liebe, das eingeschrieben in die Partituren der unterschiedlichen Episoden in seiner Variation stets impulsgebende Ursache-Wirkung Kette ist. Während es sich so schwierig darstellt, über sie zu schreiben, geschieht es so schnell, alles Essentielle in einer Melodie oder einer Geste gesagt zu sehen. Die von Thomas Woschitz skizzierten Gefühlswelten demonstrieren einmal mehr die Absurdität eines Gefühls, das Handlungsantrieb eines jeden darstellt und dabei so zufällig geschieht. Der sprechende Zufall, dem man sich unterwerfen muss, um sich am Ende der Mündung einer Pistole ausgeliefert zu sehen, zwei wütenden, fremden Männern, oder auch nur der alltäglichen Matratze und ihren wiederkäuenden Zweifeln.

Die Sinnenwelt in „Universalove“ ist zunächst eine äußere, die ästhetisch und affektiv beschrieben dennoch nichts Neues bietet. Das entstehende, betretene Gefühl ist weniger dem Regisseur, mehr den Musikern zuzuschreiben. Es ist die metaphysische Qualität, etwas, das über diesen sechs Geschichten schwebt, das erst in dem Moment auftritt, wenn eine paralysierende Keyboardmelodie und konsternierter Gesang in den Vordergrund treten oder eklektische Gemütsbewegungen vertont werden. Die Emotionen in der von NAKED LUNCH speziell für diesen Episodenfilm geschriebenen Musik sind abstrakter als die durch bestimmtes Handeln entstehenden Aufwallungen, konkretisiert erst durch das dazugehörige Bild fungieren sie wie ein Katalysator, ein Hebel der Wut, des Mitfühlens oder der plötzlich auftretenden Traurigkeit, die einen später in die klirrende Kälte einer Nacht entlassen wird.

http://www.universalove.com
www.nakedlunch.de
http://www.myspace.com/nakedlunchmusic
www.louisville-records.de
http://www.volksbuehne-berlin.de

Autor: [EMAIL=lisa.forster@popmonitor.de?Subject=Kontakt von der Website]Lisa Forster[/EMAIL]

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