OLAF BOQWIST – Berliner Act des Monats Dezember 2008


Skizzen des Unperfekten.



Foto: Lucas Heinz

„Olaf Boqwist hat seit den 80ern vieles ausgereizt, was mit und ohne Bands möglich war – Krach und Ruhe, Gitarren, Schlagzeug, Bässe, Brüllen, Singen, Schweigen, Song und Soundscape“, so nachzulesen auf seiner Hompage www.boqwist.de.
Inspiriert von Wave und Postpunk hat der gebürtige Hamburger mit Bands und Projekten wie Blue Kremlin, Dolche und Rossburger Report sowie später als Solokünstler von jeher musikalische Grenzen ausgelotet, stets darum bemüht, auf der Suche nach innovativen Ausdrucksformen neue Wege zu beschreiten, die ihn inzwischen zu skizzenhaften, Shoegaze-artigen Collagen zwischen Indie, Elektronik und Noise geführt haben.

Seit knapp zwei Jahren lebt OLAF BOQWIST nunmehr in Berlin, hat im vergangenen Jahr die eigenvertriebene Vinylsingle Hundert Kronen veröffentlicht, legt regelmäßig in der 8mm Bar Platten auf und trat im Januar 09 im NBI bei popmonitor.berlin.live sowie im Arcanoa erstmals live in der Hauptstadt auf. Wir sprachen mit Olaf über die Gründe für den Umzug nach Berlin, das überraschend wiedererwachte Interesse an seiner ersten Band Blue Kremlin, das in seiner Musik ausformulierte Credo des Skizzenhaften und Unperfekten sowie seine Erwartungen an die anstehenden Live-Auftritte.

popmonitor.berlin: Du lebst jetzt seit knapp zwei Jahren in Berlin. Was war der Grund bzw. der Auslöser für den Schritt, deine Heimatstadt Hamburg hinter Dir zu lassen und nach Berlin zu ziehen?

Olaf Boqwist: Ich war zuletzt in Hamburg etwas festgefahren, was berufliche und private, aber auch musikalische Dinge betraf, und wollte einfach mal was anderes sehen, auch wenn Hamburg wunderbar ist. Es gibt ja dieses komische Wort „Tapetenwechsel“, das trifft es wohl ganz gut.

Wie war denn zu dem Zeitpunkt deine musikalische Situation, hast Du in einer Band gespielt oder gab es andere Projekte?

Mit zwei Jungs von Eisenvater hatten wir eine Band namens Larionov am Wickel, man wollte meine zahlreichen Skizzen und Songideen als Liveband umsetzen. Markus und Jim hatten sich aber einfach verschätzt, was den Zeitaufwand anging. Als das Ding dann endlich auftrittsreif war, gab es sage und schreibe einen Auftritt in Neu Tramm im Wendland, das war’s dann. Als wir anfangs auf der Suche nach einer Stimme auf eine Sängerin stießen, fing sie eigentlich eher Feuer bei meinem Elektronik-Kram. Das verfolgten wir eine Weile, bis auch das nach einigem Hin und Her im Sande verlief. Auch auf anderen Gebieten bewegte ich mich einfach im Kreis, also wollte ich es mal woanders probieren. Über den Umweg Kopenhagen bin ich dann in Berlin gelandet. Ich habe den Wechsel auch nach zwei Jahren nicht bereut, die Stadt ist einfach gut zu mir. Vielleicht tut es mir ganz gut, mehr Initiative zeigen zu müssen, um etwas auf die Beine stellen zu können, immerhin mit dem Ergebnis, nach langer Zeit auch wieder live aufzutreten.

Die Musik von Eisenvater ist ja doch ganz anders, als das, was Du inzwischen solo machst und geht eher in Richtung Metal. Ließ sich das für die geplante Band in stilistischer Hinsicht problemlos untereinander vereinbaren?

Ganz einfach, die Larionov-Musik bestand ja ausschließlch aus meinen Kompositionen, und Markus, Jim (beide Eisenvater) und Torsten (Lars Bang Larsen) wollten das ja genauso spielen, war ja auch deren Idee. Eisenvater steht natürlich für immer noch für ne deftige Gitarrenwand, aber die hören und lieben sonst wie ich auch alles Mögliche. Afrikanische Musik, Noise, Bach, Experimente, was auch immer. Als die mich quasi zur Band überredeten, hatte ich unheimlich viel Songideen gesammelt. Rhythmus, Bass, Gitarre, komische Harmonien, manchmal erscheint einem alles so einfach und man kann einfach nicht aufhören. Gerade in der Zeit sind so viel Ideen entstanden, die auch jetzt teilweise für meine anstehenden Auftritte verwendet werden.

Du kannst ja bereits auf eine recht lange Vergangenheit als Musiker zurückblicken und spielst auch mehrere Instrumente. Gab es damals in den 80ern so etwas wie eine Initialzündung für diese bis heute anhaltende große Leidenschaft?

Mich hatte ungefähr 1980 eine Radiosendung von Paul Baskerville umgehauen, ich war damals 15, kam gerade von der Schule nach Hause und hörte in EINER Sendung zum ersten mal ’24 Hours‘ von Joy Division, ‚Requiem‘ von Killing Joke und ‚Grauschleier‘ von Fehlfarben. Außerdem hatte unser Musiklehrer irgendwann zur Abwechslung netterweise einfach mal ein Schlagzeug aufgebaut und fragte nach Mutigen, die das Gerät mal bedienen wollen. Ich probierte es und so weiter blabla. Die Gitarre kam genauso unkompliziert zu mir. Ein Freund fragte mich einfach, ob ich nicht mal seine E-Gitarre ausleihen will. Ich schloss das Gerät über den voll aufgerissenen Mikrophoneingang meines Tapedecks an – wunderbar kaputte Zerrung. Genau wie Schlagzeug hab ich mir Gitarre und Bass auch selbst beigebracht. Der Zugang war also bei mir von jeher Punk, jeder kann’s eigentlich, es gibt überhaupt keine Hürden, und gerade das Amateurhafte und Skizzenhafte finde ich einfach großartig. Auch bei meinen Aufnahmen bleibt es eigentlich größtenteils beim ersten Take, auch wenn es mal unsauber eingespielt ist und unperfekt ist.
Mit 17 setzte ich eine Anzeige in ein Hamburger Stadtmagazin, den Text habe ich nicht vergessen: „Drummer sucht Combo, die düster-wavige Musik macht“. Stefan und Horst, die sich auf die Anzeige meldeten, sind heute noch meine besten Freunde. Wir gründeten die Band „Blue Kremlin“, in der ich neben Schlagzeug auch Gitarre spielte und auch mal ins Mikro schrie. Parallel dazu gab’s die Band Dolche, in der ich den Bass bediente und auch ins Mikro bellte, nur waren dort stärker Einflüsse von Noise und Industrial zu hören. Swans hatten es uns sehr angetan, Sonic Youth aber auch.



Du hast gerade deine erste Band Blue Kremlin erwähnt, die es von 1984 bis 1987 gab und für die ihr bis heute eigentlich so gut wie keine Promotion gemacht habt. Wie erklärst Du dir das viele Jahre später überraschenderweise wiedererwachte – man kann schon sagen: weltweite – Interesse an der Band?

Zu Lebzeiten der Band hat das kaum jemanden interessiert, natürlich auch weil wir höchstens 20-mal live aufgetreten sind und wir uns kaum um irgendwas gekümmert hatten. Viele Jahre später kam dann überraschenderweise eine Anfrage für die Compilation Godfathers Of German Gothic 3, und wir fragten uns, was wir wohl mit Gothic zu tun haben. Lag bestimmt an der Stimme der Sängerin, die manchmal an Siouxsie erinnert. Ach, es gab unterschiedliche Stücke, entscheidend natürlich auch hier Sonic Youth, zu der Zeit hat das nicht so viele interessiert. Ich erinnere mich an ein Konzert von denen in der Hamburger Markthalle vor ungefähr 50 Leuten. Jedenfalls hat dieser Sampler wohl weltweit zeimlich viel Leute erreicht, denn der Titel ‚Wasserwüste‘ taucht in vielen Playlists von College-Radios auf und die Band in sonstigen Lieblingsband-Listen… Der Mitschnitt eines Gigs wurde als Bootleg-Tape im Netz für 35 Dollar angeboten usw.

Inzwischen habe ich nach meiner eigenen auch eine Blue Kremlin-Myspace-Seite gemacht, woraufhin sich jetzt – 20 Jahre später – schon viele Leute gemeldet haben, die das tatsächlich kennen und teilweise auf Partys auflegen, was mich sehr überrascht, aber natürlich auch wahnsinnig freut. So kam es, dass ein kleines amerikanisches Label unser Zeug nochmal auf einer CD rausbringen will, sollte Anfang des Jahres klappen, wenn alles gut geht. Auf jeden Fall ist es erstaunlich, dass das Interesse daher rührt, dass die Musik so klingt wie sie klingt, ohne dass wir jemals irgendwas an Promotion gemacht haben, was ich auch ein wenig schade finde, denn hätten wir damals geahnt, dass unsere Musik Substanz hat, wären wir vielleicht länger drangeblieben. Andere Bands, mit denen wir damals den Übungsraum geteilt hatten, wie bspw. Girls Under Glass, hatten einfach einen längeren Atem, die gibt es, glaube ich, heute noch.

In welchen anderen Bands hast Du nach dem Ende von Blue Kremlin noch gespielt und wie bewertest Du diese Erfahrungen im Rückblick?

Kurz oder lang bei:
Dolche (die andere große Liebe, eine Handvoll Auftritte, null Veröfentlichungen, was ein Jammer…), Rossburger Report (1 CD, einige Auftritte über die Jahre), Brosch (zwei Platten, Auftritte), hier und dort als Gast-Basser oder -Drummer (Chocolate Factory, Freie Garage). Dolche waren mindestens ebenso wichtig wie Blue Kremlin, nur haben wir, falls das möglich ist, noch weniger für den Erfolg dieser Band getan. Wir haben diese spezielle Musik gemacht, traten vielleicht 5-mal zufällig irgendwo auf (einmal auch in Berlin vor 10 Leuten)- wir waren einfach zu jung, schüchtern, arrogant, um zu realisieren, dass wir daraus irgendwas machen können. Demnächst bestimmt hoffentlich immerhin die MySpace-Seite, ist langsam fällig.
Die flächige Musik des Rossburger Report – stark beeinflusst natürlich von Glenn Branca – hört man auch sicherlich heute noch genauso bei mir raus.

Danach warst Du eine Zeit lang musikalisch weniger aktiv, wann war das und wie kam es zu diesem Break?

Jahre nach den Bands habe ich mit 26 angefangen zu studieren und wenn ich mich recht erinnere, gab es während der Zeit nur die Rossburger Report Auftritte. Mensch, das ist echt lange her, was habe ich denn da gemacht? Jedenfalls hatte ich wohl Gitarre und Schlagzeug verkauft. Nach dem Studium habe ich dann am Rechner angefangen, alleine elektronische Musik zu machen, bin damit zweimal in der Astra-Stube aufgetreten.
In den 90ern hatte ich einfach keinen rechten Plan und habe die Zeit schon ziemlich verplempert, während viele Freunde, bzw. Bands wie Eisenvater oder andere, einfach drangeblieben sind, Platten aufgenommen haben und zumindest deutschlandweit bekannt geworden sind. Da hat man schon gesehen, wie wichtig es ist, weiterzumachen und dranzubleiben.

Welches Gefühl herrschte damals – und auch heute in der Retrospektive – bei Dir vor? Neid? Trauer? Ärger? Insbesondere auch da Du jetzt merkst, dass es immer noch Interesse für deine alten Bands gibt?

Ich war damals einfach nicht so weit und mit einem Haufen anderer Sachen beschäftigt. Bin ich jetzt zu alt? Ich weiß es nicht.

Überwiegt heute schon ein gewisser Ärger, nicht mehr aus deinem zweifellos vorhandenen Talent gemacht zu haben?

Nee, ist alles ok so.

Warst Du zu dem Zeitpunkt deines Umzugs in einer bestimmten Hamburger Szene involviert, die Du sozusagen zurückgelassen hast?

Ich war wohl nie groß in irgendeiner Szene zugange, fühlte mich nirgends so richtig zuhause. Ok, zuletzt war ich häufig in der Karo-Ecke zugange, dort lief häufig gute Musik. Im Grunde gab es aber eigentlich wenig neue Kontakte.



Wie würdest Du die Berliner Musikszene, wie Du sie in den knapp zwei Jahren kennen gelernt hast, beschreiben?

Erstmal fällt einem schnell auf, wie sehr es in dieser Stadt brummt und wie international es hier zugeht – und alle probieren irgendwas.

Welche Intention hattest Du speziell in musikalischer Hinsicht, gab es auch konkret die Hoffnung, andere Musiker in Berlin kennen zu lernen, vielleicht gar im Hinblik auf ein neues Bandprojekt?

Mir ging es eigentlich gar nicht um ein bestimmtes Ziel, ich wollte ja hauptsächlich mal weg aus den alten Zusammenhängen. Als ich herkam, hatte ich schon erstmal die Idee, mit anderen Musikern etwas zu machen, um nicht weiterhin nur alleine vor mich hin zu werkeln. Ich fand dann aber, dass es keine Ausreden mehr geben soll und beschloss, endlich aus diesem Berg von Stücken welche auszusuchen und sie, wie auch immer, aufzuführen. Insofern ist dieser Schritt nach Berlin gut gewesen, da er doch einige Entscheidungen forciert hat.

Wieso dann jetzt doch die Überlegung, live zusammen mit einem Bassisten aufzutreten?

So ist der Anteil live gespielter Töne höher, denn ein Teil wird ja auch von Maschinen kommen. Es gibt auch mehr zu sehen, wenn da zwei Menschen spielen. Wir werden jetzt erst mal die zwei anstehenden Autritte im NBI und Arcanoa zusammen absolvieren und dann schauen wir mal, wie es in Zukunft weitergeht. Gabriel hat unheimlich schnell verstanden, wie das Zeug zu spielen ist, wenngleich er dabei von seinen Fähigkeiten her stark unterfordert ist. Er kann ziemlich gut spielen und muss sich bei meiner Musik schon ziemlich zusammenreißen, glaube ich.

Wie würdest Du deine Musik selbst beschreiben, und ist das, was derzeit auf deiner myspace-Seite zu hören ist, repräsentativ für deine Arbeit?

Shoegaze und Drones, Shoegaze-Dronepop… aber Pop trifft ja eigentlich nicht wirklich zu, Shoegaze-Drones ist irgendwie auch irreführend, und der Begriff Indie sagt ja heute auch gar nichts mehr aus. Drones sind auf jeden Fall drin, weil viele Flachen mit dabei sind, und Shoegaze, weil halt keine Rocksau zu sehen ist, wenn ich auftrete und stilistisch hier und da bestimmt auch mal My Bloody Valentine durchscheinen.
Von den drei Stücken auf myspace gehören zwei Stücke zum Liveset, auf lange Sicht möchte ich schon versuchen, bei Auftritten weg vom Elektronischen zu kommen. Im Moment ist es mir für die Live-Performance generell noch etwas zu elektronisch ausgerichtet, auch wenn ich es gerne höre, aber live sollte es – auch angesichts dessen, was ich früher musikalisch gemacht habe – schon etwas organischer sein, ruhig mit allen Fehlerquellen und allem Unperfekten. Die jetzt anstehenden Auftritte sind natürlich auch dazu da, das mal so auszuprobieren.



Wie kommst Du auf die Titel (wie bspw. ‚Seltsamer Besuch‘, ‚Großer Durst‘ oder ‚Ohne Inhalt‘) deiner vorwiegend instrumentalen Stücke, sollen sie bestenfalls mit dem Sound deiner Stücke korrespondieren bzw. steckt eine bestimmte Message dahinter? Und hast Du den Ehrgeiz, auch mal wieder „richtige“ Texte zu schreiben?

Der Titel, der am Ende obendrauf kommt, ist eigentlich nur wie eine weitere Tonspur. Die Stücke müssen halt Titel haben, um sie voneinander unterscheiden zu können, wenn man sie nicht durchnummerieren will. Sie sind eher ein Bestandteil der Gesamtcollage, und es steht kein spezielles System dahinter. Sich nicht zuviel Gedanken zu machen, gehört ja prinzipiell zu meiner – musikalischen – Arbeitsweise.
Selber singen und insbesondere Texte zu schreiben ist dagegen ein großes Thema, aber auch ein Dilemma meiner Musikerkarriere, muss ich offen sagen. Ich glaube, dass es meiner Musik eigentlich gut tun würde und denke immer, ich sollte es tun und das auch vortragen, will mich aber nicht dazu zwingen, da mir das nun mal eher schwer fällt. Alles andere dagegen kommt wie von allein. Soll man kämpfen oder es geschehen lassen? Die Schwächen gehören aber dazu und machen das Ganze vielleicht erst interessant. Mir gefallen jedenfalls die Texte von Mark E. Smith, Max Müller, Don Van Vliet, aber auch so Einzeiler wie manchmal bei Bardo Pond.

Wie sehen deine Pläne für die kommenden Monate aus?

Ich möchte nach der ganzen Zeit des Schreibens und Aufnehmens jetzt einfach erst mal raus aus dem Wohnstudio und spielen, und das Gute an den Auftritten ist ja, dass man sozusagen genötigt wird, die Sachen endlich mal auf den Punkt zu bringen und das ein oder andere Stück weiterzuentwickeln bzw. fertig zu machen.
Mit großer Freude fertige ich gerade Filme, die im Hintergrund bei den Auftritten projiziert werden sollen. Die werden sehr minimalistisch, wirken teilweise wie mikroskopische Aufnahmen.

Vielen Dank für das Gespräch!

www.boqwist.de
www.myspace.com/boqwist
www.myspace.com/bluekremlin

Autor: [EMAIL=thomas.stern@popmonitor.de?Subject=Kontakt von der Website]Thomas Stern[/EMAIL]

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