:: Zu vielseitig für eine Schublade ::
OSCA ist eine fünfköpfige Kunstpop-Band aus Berlin, die das Spektrum populärer Musik grenzenlos in Anspruch nimmt, um sinnliche und extravagante Songs zu komponieren: Yuka Otsuki – vocals/violins, Matthias Erhard – keys, Dominik Scherer – trumpet/percussions/backings, Tobias Heymer – Drums, Shota Higashikawa – Bass. Die Band vertreibt ihre selbstproduzierte Debüt-EP Come to the other side über ihre Homepage.
Kurz vor ihrem Auftritt im BADESCHIFF der ARENA trifft popmonitor.berlin Sängerin YUKA und Pianist MATTHIAS, die beiden Masterminds/Komponisten von OSCA – an einem ruhigen Mittwochvormittag im „Haus am See“ am Rosenthaler Platz. Von Kopf bis Fuß in Schwarz erscheint Matthias mit Fedora, Hemd, Bundfaltenhose mit Hosenträgern und Oxforder Brogues. Das Einzige, was fehlt, ist das Bandoneon in seinen Händen und man wäre versucht, einen argentinischen Tango hinzulegen. YUKA, ebenfalls konsequent in stilvollem Rot-Schwarz mit Hotpants über Nylons und Stiefeln und der Geigentasche auf der Schulter, setzt den farblichen Akzent für das stimmige Gesamtbild – augenfällig und trotzdem nicht auffällig. Und es wird sich schnell herausstellen: Selten trifft man so bescheidene, sympathische, bodenständige und angenehm unprätentiöse Musiker, deren stilistische Extravaganz Geschmacksausdruck ist, aber nicht Effekthascherei.
popmonitor.berlin: Die Entstehungsgeschichte von OSCA, wie sie auf Eurem Blog steht, also dass ihr euch per Kleinanzeige über Kijiji kennengelernt habt – stimmt die?
Yuka & Matthias / OSCA: Oh mein Gott! Haben wir uns da nichts Kreativeres überlegt!? Ist ein bisschen unromantisch.
Matthias: Es war …
Yuka: … Schicksal!
Matthias: Ja, stimmt auf jeden Fall. YUKA war die erste Stimme, die mich im Netz überhaupt angesprungen hat – nachdem ich das Schicksal herausgefordert habe.
popmonitor.berlin: Was habt Ihr vor OSCA gemacht?
Matthias: Ich bin fast acht Jahre durch Europa gezogen und habe verschiedene Sachen gemacht. Bin dann nach Berlin gekommen und habe als Tontechniker gearbeitet und da realisiert, dass Musik einfach das ist, was ich machen will.
Yuka: Ich bin nach Berlin gekommen und habe sofort angefangen, nach Musikern zu suchen, und teilweise wurden da schon Studio-Projekte gestartet, aber es hat einfach nicht geklappt – es waren einfach nicht die richtigen Leute. Der Kaffee, den ich mit ihm getrunken habe (grinst zu Matthias hinüber), war so: okay, und jetzt noch einer und noch einer!
popmonitor.berlin: Ist der Ort Berlin wichtig für eure Musik – als Inspirationsquelle oder Experimentierraum?
Matthias: Für mich ist es extrem wichtig. Ich habe davor in Paris gewohnt und das ist so eine Komplementärstadt. Paris gibt sich immer sehr als künstlerische Metropole, aber de facto ist die Stadt total starr, da passiert gar nichts. Und als ich nach Berlin gekommen bin, um einen Freund zu besuchen, empfand ich sie als Komplementärstadt, wo alles möglich ist. Der Absturz, genauso wie die konstruktivste Zusammenarbeit. Und dieses Gefühl habe ich nicht verloren. Und ich weiß nicht, ob in Deutschland in einer anderen Stadt unsere Musik möglich wäre; dieser Freiraum zu experimentieren.
popmonitor.berlin: Man hat den Eindruck, OSCA als Band hat sowohl eine musikalische Seite als auch sehr stark eine visuell-ästhetische Komponente. Steht dahinter ein Konzept? Und wie verhalten sich die verschiedenen Ebenen und Kunstformen zueinander?
Yuka: Ich glaube, letztendlich entsteht so etwas einfach im Miteinander. Klar, wir haben mit der Musik begonnen und das Konzept ist nach und nach dazu gekommen. Natürlich haben wir das auch angetriggert, aber unsere Musik ist auch einfach sehr stark bildliche Musik – geschichten-erzählend und beschreibend. Wie Filmmusik ohne Film. Und wir wollten den Film dazu haben, die Welt dazu. Das ist die Welt, die in unserer Musik steckt. Natürlich könnte die Musik auch ohne das sein, aber ich glaube, es hat die Musik immer bereichert.
Matthias: Ich glaube, es ist schon klar, dass wir nicht „nur“ Musik machen wollen. Es ist einfach auch im Kopf leichter, nachdem wir erkannt haben, dass die Songs so unterschiedlich sind und nicht weiter miteinander zusammenhängen. Wir haben das nie so richtig benennen können, aber es ist uns aufgefallen, es spricht aus einer gewissen Welt, die wir permanent zusammen kreieren. Und es geht gar nicht mehr ohne. Es macht die Songs einfach lebendiger.
Yuka: Es ist auch keine Musik, die für die Realität gemacht wird. Es gibt Musik, die realitätsumschreibend ist, die politisch ist, die irgendeine Aussage über die Realität macht – und diese Art von Kritik ist überhaupt nicht in unserer Musik vorhanden. Und sie ist auch nichts, was sich so richtig in den Kontext des Alltags fügt. In der Realität haben wir uns nicht so gefunden, das war irgendwo anders.
Matthias: Das war im Netz … (Gelächter) Wir reden auch einfach in Bildern über unsere Musik und wenn wir daran arbeiten.
popmonitor.berlin: Auf der Bühne ist das ja aber schon mehr als nur eine intim geteilte Kommunikation, verglichen mit der Proberaum-Situation.
Matthias: Ja, das muss man natürlich inszenieren. Wenn es uns in den Konzerten gelingt, uns darauf zu konzentrieren … das sind die besten Konzerte. Es ist kein abstraktes Konzept – das ist wichtig; es ist total sinnlich.
Yuka: Ja, auch bei den Konzerten ist die Kommunikation nicht die trockenste. Es wird trotzdem noch so gesprochen: Und jetzt stellt euch vor, da ist eine Party im Speisewagen des Orient-Express – und jetzt bitte so spielen! Es ist auch unglaublich spannend und eine Herausforderung zu sagen: Man will jemanden in eine Parallelwelt ziehen – und gelingt das einem? Und man merkt, wenn man selbst drin ist, funktioniert es. Wenn man nur halb darin ist, wird es nicht funktionieren.
popmonitor.berlin: Genau, auf euren Web-Seiten ist wiederholt vom „OSCAland“ die Rede – und da gibt es eine Verführung: „Come to the OSCAland“. Liegt hinter dieser Verführung auch ein Versprechen?
Yuka: Das Versprechen ist, sich während eines Konzerts wirklich eineinhalb Stunden lang vergessen zu können. Vergessen und sich von allen Sinnen reizen zu lassen. Einen anderen Film und eine andere Welt zu durchleben als die gewohnte, alltägliche. Ich glaube, unsere Musik ist sehr intensiv, total gefühlsbetont.
Matthias: Ja, es ist eine Verführung. Es ist nicht so, dass wir sagen: schalt deinen Kopf aus. Sondern eher: lasst eure Moral einfach mal weg und schaut: was macht euch an? Worauf habt ihr Lust? Dazu wollen wir die Leute animieren – ihre Gefühle sozusagen, zu triggern.
Yuka: Wenn am Ende des Konzerts die Leute hemmungslos rumbrüllen … dann ist das Konzert gelungen.
popmonitor.berlin: Woher kommen die verschiedenen musikalischen Einflüsse, die ihr verbindet – wieviel experimentiert ihr und ist Zufall und wie viel ist bewusst gewählt? Wie kommt der extreme Mix zustande?
Yuka: Eine Ader ist gar nicht zu leugnen: wir kommen ursprünglich natürlich aus der Klassik. Das wird immer mitschwingen und das ist auch ein ganz, ganz wichtiger Punkt, an dem wir uns gefunden haben. Das, was ich bei Projekten oft als fehlend empfunden habe, das habe ich eben in Matthias wieder gefunden, denn es gibt ja auch bestimmte Denkmuster bei Musik aus der Klassik. Das andere, dieses Vergängliche – also Musik aus der Vergangenheit – das war ein Ansatz, der auch von Anfang an dabei war, weil ich damals auch ein Projekt damit starten wollte. Das hat sich auch durchgezogen und ist immer noch da, aber anstatt da eine Retro-Schiene zu fahren, ist daraus eher ein zeitloses Konzept geworden: was hätte vor zig Jahren sein können, als auch in der Zukunft. Es gibt dieses Zitat „music of the time that never existed“ … das trifft es irgendwie ganz gut.
Matthias: Es sind ja auch viel zu viele Ideen für eine Pop-Musik. Das Konzept sind YUKA und Ich sozusagen. Aber es war trotzdem wichtig, sich darauf mal einzulassen und bewusst zu sagen, dass man so etwas Älteres auch will. Aber das nicht zu kopieren, sondern einfach aus anderen Zeiten was herzuholen.
Yuka: Ich glaube, dass dieses ganze Nostalgie- und Sehnsuchts-Gefühl … es ist alles immer sehnsüchtig, egal ob ich ein fröhliches oder ein trauriges Lied schreibe …
popmonitor.berlin: … aber Sehnsucht nach einem Ort oder einer Zeit, die es nicht gibt im Hier und Jetzt …
Yuka: Immer!
Matthias: Permanent auf der Suche. Und permanent mit Musik.
Yuka: Genau. Permanent irgendwo anders.
popmonitor.berlin: Es gibt in Japan ja die „Richtung“ des J-Pop, ein sehr weites musikalisches Feld, das sich dadurch auszeichnet, Klassiker und traditionelle Stile zu benutzen, um sie neu zu interpretieren oder zu verbessern. Eine Herangehensweise an Kunst, die in Japan typisch ist – im falsch verstandenen kulturellen Kontext ja leider oft als Kopie oder Plagiat abgetan wird. Die letztlich aber eine Form der Wertschätzung und Bewahrung von Qualität ausdrücken soll. Glaubst Du, das hat Dich geprägt?
Yuka: Ich bin auf jeden Fall davon geprägt! … ein gutes Beispiel: Nehmen wir mal meine Mutter, die italienisch kocht. Sie kocht unglaublich gut italienisch. Aber – sie macht es anders. Es ist nun mal ihre Interpretation. Es ist eine Japanerin, die italienisch kocht. Und dann wird es auf eine Art besser. Ich glaube, die Liebe zum Detail in der japanischen Kultur, die Betonung des Schönen und nirgendwo Abstriche zu machen, das ist was sehr Japan-Typisches. Deshalb ist es auch so, wenn z.B. in den USA irgendein Pop-Lied gelandet wird, dann heißt es natürlich in der japanischen Welt: ok, das machen wir jetzt auch. Aber dann kommt halt so eine fast schon absurd ausgetüftelte Version raus. Und auf eine Art macht es eben mehr Spaß, weil es verrückt ist. Das ist verrückter Perfektionismus, das ist verrücktes Detail … dadurch ist alles grenzenloser.
Matthias: Und vor allem, weil es auch nicht als Plagiat empfunden wird. Die Freiheit, die in Europa halt nicht da ist in diesem ganzen Musik-Business: kreativ mit Elementen zu arbeiten, die schon da sind. Wobei es mir mit Berlin so geht, dass ich es als so etwas empfinde, als Freiraum. Letztendlich ist es auch mehr das, was bei den verschiedenen Dingen rüberkommt, dessen wir uns bedienen sozusagen. Wenn also irgendwo ein Tango auftaucht, dann ist es mehr der Atmosphäre geschuldet, die beim Tango mitschwingt, als dem Musikstil. Dieses berühmte Aufzugs-Gespräch: man steht mit einem Produzenten im Aufzug und muss ihm innerhalb einer Minute erklären, was man macht … das ist bei uns halt schwierig.
popmonitor.berlin: Naja, da würde ich an eurer Stelle sagen, ihr solltet einfach gar nichts sagen und über andere Sinnesreize sprechen, statt mit Worten.
Matthias: Stimmt!
Yuka: Genau – aus dem Hut kommt eine Taube raus! Klar, wir haben uns dann irgendwann Kunstpop genannt … keine Ahnung, weil es schnell gemacht ist. Man braucht einen Sammelbegriff, man muss schnell am Telefon erklären können, was es ist. Das ist eben auch gewissermaßen extravaganter Pop. Das ist nicht falsch. Extravaganter Pop ist einfach: nichts, was nicht sein darf. Am Anfang hat man als Musiker natürlich immer Angst zu pauschalisieren. Das Problem ist nur, wenn Du es nicht selbst machst, macht es jemand anders für Dich.
popmonitor.berlin: Ihr spielt am 17. August im Badeschiff – „OHNE STROM“. Wie funktioniert das?
Yuka: Es funktioniert deshalb, weil der Veranstalter gesagt hat, dass „OHNE STROM“ nicht gleich „ohne Strom“ heißt.
Matthias: Damit ist eigentlich alles gesagt: ohne geht’s nicht.
popmonitor.berlin: Wo war OSCAland vor fünf Jahren?
Yuka: In zerfledderter Form irgendwo in meinen Ideen.
Matthias: Es war noch nicht zusammen gefasst. Ein schwieriges Nebeneinander im luftleeren Raum.
popmonitor.berlin: Und wo ist OSCAland in fünf Jahren?
Yuka: Am Welt erobern.
Matthias: In fünf Jahren sind auf jeden Fall die Zugänge zum OSCAland leichter erreichbar und noch verlockender für jeden sichtbar – auf schönen Bühnen, mit schönen Kleider, mit tollen Songs.
Wir danken für das inspirierende und kurzweilige Interview.
OSCA am Mittwoch, 17.08.11 live im BADESCHIFF / ARENA (OHNE STROM)
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Fotos © OSCA
Autorin: [EMAIL=julia.schell@popmonitor.de?Subject=Kontakt von der Website]julia schell[/EMAIL]