Wer etwas Festivalroutine besitzt, weiß, es kann nicht immer reibungslos laufen: Zu lange Kontrollen hier, Endlosschlangen dort, zu lange Wege, zu wenig Wasserstellen, schlechte Orga im Allgemeinen. Dass es auch anders geht bewies das PRIMAVERA, das vom 30. Mai bis 3. Juni in Barcelona stattfand.
Der gute Ruf eilt dem Festival voraus: Besucher aus aller Welt zieht es nicht umsonst in den Parc del Fòrum, dem Gelände, auf dem das Festival seit 2005 stattfindet. Die vielen Bühnen stehen vor abwechslungsreicher wie imposanter Kulisse und für jeden Geschmack gibt es den passenden Raum: urbane Acts und Elektronisches finden sich zum Beispiel auf der Barcadí Bühne und dem Desperados Floor, die beide auf einem Inselchen neben dem Hauptgelände liegen. Palmen, Boote, Yachten und Sandstrand säumen das Gelände und erinnern stets daran, dass man hier auf jeden Fall in südlichen Gefilden feiert. Eine Fußgänger-Brücke führt zum Hauptgelände, auf dem nicht nur das große Solarpanel von architektonischer Raffinesse ist, sondern auch die schräg angelegte Wiese zu einer der Hauptbühne hin, wo man sich abends mit Blick auf ebendiese entspannt setzen kann. Die Amphitheater-Konstruktion der Ray Ban Stage hilft müden Festivalgängern kurz zu verschnaufen. Malerisch geht es weiter am Wasser entlang, an kleinen Stages vorbei, zu den beiden Mainstages.
Am Donnerstag sah man dort, als die Sonne hinter den Glasfassaden verschwindet, WARPAINT und direkt im Anschluss THE WAR ON DRUGS zur goldenen Stunde. Letztere spielen sich ohne große Publikumsinteraktion durch neun Songs, angefangen mit „In Chains“ und endend mit „In Reserve“, liefern sie so perfekten Soundtrack für den anbrechenden Sommerabend. Pompös-surreal wird es anschließend bei BJÖRK, die sich direkt einen ganzen Zauberwald auf die Bühne stellt. Auf die Musik abgestimmte Visuals, sich aufwendig öffnende Blüten, ein Querflötenensemble und Kunstwald bieten BJÖRK ihren Schutzraum während sie vorrangig ihr neues Material von Utopia in quietschend orangem Gummianzug mit exzentrischem Kopfschmuck performt. Weniger exzentrisch aber nicht minder intensiv erklingt im Anschluss direkt der erste Ton von „Jesus Alone“ und läutet den messiasartigen Auftritt von NICK CAVE AND THE BAD SEEDS ein. Wie auf seiner letztjährigen Tour gibt er sich überaus publikumsnah und liefert Mark und Bein durchdringende Versionen von „From Her To Eternity“, „Red Right Hand“ oder „Girl im Amber“. Bevor man dann den Abend gemütlich mit NILS FRAHM abschließen kann, animiert Amelia Meath von SYLVAN ESSO wie gewohnt gut gelaunt das eher jüngere Publikum zum Tanzen – mit der Single „Radio“ steht dann vor der Pitchfork Stage niemand still.
Die Wettergötter sind an diesem Wochenende dem katalanischen Festival gewogen und so zeigt sich der Parc del Fòrum auch am Freitag von seiner besten Seite, so dass man am Stand entspannen kann, bevor es mit dem Konzertmarathon weiter geht – denn Verschnaufpausen lässt das diesjährige Line-Up kaum zu. Angefangen bei einem zuckenden, zitternden und Fäuste streckenden JOHN MAUS, der bereits nach dem dritten Song seiner Performance auf der Pitchfork Stage komplett durchnässt ist, geht es weiter mit FATHER JOHN MISTY, dessen Mikrophon Ständer während der Show gefühlt kaum den Boden berührt. Redefreundlich zeigt sich anschließend Matt Brenninger von THE NATIONAL, die mit „Nobody Else Will Be There“ ihren Auftritt eröffnen. Er erzählt von seinem verloren gegangenen Gepäck in Chicago und warum er ein oranges Shirt trägt (Gun Control Laws). Es folgt ein Potpourri ihres Repertoires, von „Bloodbuzz Ohio“ und „Fake Empire“ zu „Mr. November“. „About Today“, den letzten Song des Auftritts, widmen sie dem kürzlich verstorbenen Scott Hutchinson. Nach der intensiven Performance holt CHARLOTTE GAINSBOURG, die hinter riesigen Leuchtröhren steht, ihr Publikum ins Hier und Jetzt. Spätestens bei „Deadly Valentine“ tanzen schließlich auch die Zuschauer, die es sich eigentlich auf der Wiese vor der Bühne gemütlich machen wollten. Tanzbar ist dann auch das Stichwort beim Auftritt der HAIM Schwestern. Glitzernd, funkelnd und in schönsten Seventies-Outfits spielen sie souverän durch ihr 10 Song starkes Set, das zu gleichen Teilen aus dem Debüt „Days Are Gone“ und dem Nachfolger „Something To Tell You“ besteht.
Ein Highlight des gesamten Festivals ist am Samstag der Auftritt von JANE BIRKIN, die mit Birkin/ Gainsbourg: Le Symphonique für französische Leichtigkeit unter der spanischen Abendsonne sorgt. Auch DEERHUNTER loben bei ihrem Auftritt zu späterer Stunde die Performance von BIRKIN mehr als ausgiebig. Unterstützt vom Orquestra Sinfònica del Vallès singt sie u.a. „Ces Petits Riens“, „Manon“ oder als Zugabe schließlich „La Javanaise“ unter tobendem Applaus – kaum vorzustellen das am Vorabend hier noch TYLOR, THE CREATOR alleine vor Video-Projektionen auf gleicher Bühne stand. Für einen Hauch Theatralik sorgt anschließend LYKKE LI, die in schwarzem Lack-Blouson und Latex-Hose so schön leidet, wie es eben nur sie kann – getreu dem Titel ihrer neuen Platte so sad so sexy. Nicht traurig, aber mit unbändiger Energie verzaubert LORDE im Anschluss ihr Publikum. In einem eisblauen 70s-Feder-Chiffon-Kleid schwebt, tänzelt und rennt sie über die Bühne, wird von Background-Tänzern getragen und hofiert. Der Über-Hit „Green Light“ bildet natürlich das Finale inklusive Konfettiregen mit Liebe zum Detail – steht doch auf jedem sternförmigen Schnipsel ‚Melodrama Forever‘. Gegenüber ertönt schließlich „Four Out Of Five“ und eröffnet somit denn 20 Song starken Auftritt der Indie-Darlings ARCTIC MONKEYS. Wer nach der letzten Zugabe „R U Mine?“ noch laufen kann, den zieht es schließlich Richtung Strand um dort abschließend mit JOHN TALABOTs Disco Set das Ende eines perfekten PRIMAVERAs zu feiern.