RAGAZZI – Berliner Act des Monats April 2007

Boogierock fürs Indieherz.



Früher waren sie als elektronische Boyband unterwegs, jetzt tragen sie Holzfällerhemden und haben sich auf eine klassische Rock-Instrumentierung zurück besonnen. Dazu legen RAGAZZI mit Lumber ein Album vor, das ab sofort bei jedem Indiepop-Freund zur Grundausstattung gehören sollte. Wir trafen Frontmann MATZE EINHOFF zum Gespräch:

BiB: Es ist trotz Internetnetzeitalters gar nicht leicht, etwas über euch heraus zu bekommen. Euer Presseinfo gibt sich kryptisch, eure Internetseite war bis vor kurzem ein Labyrinth und ist momentan sehr spartanisch. Gib uns doch mal eine kleine Zusammenfassung: wer sind RAGAZZI ? Was haben die verpasst, die bis jetzt noch nichts von euch gehört haben?

MATZE EINHOFF: RAGAZZI gibt es seit etwa acht Jahren. Wir hatten früher in verschiedenen Indierock-Bands gespielt. Als RAGAZZI wollten wir dann aber erstmal ganz andere Musik machen als vorher. Wir hatten einfach keinen Bock mehr auf Gitarren, haben unsere alten Synthesizer aus dem Keller geholt, neue auf dem Flohmarkt gekauft und dann Elektropop im Bandformat gemacht. Auf Lok Musik haben wir zwei EPs veröffentlicht, da ging es um Themen des täglichen Lebens, wie Shopping Malls. Im Album Friday sollte das dann kulminieren: Freizeit, Urlaub, Wochenende – sowas wurde da leicht ironisch gebrochen abgearbeitet. Das kam bei Buback in Hamburg raus. Die haben es auch gecheckt, dass das eher eine Pop-Idee als Pop-Musik war, obwohl es natürlich schon ganz ernst gespielt wurde. Das sollte ähnlich wie bei den Pet Shop Boys funktionieren: massenkompatible Popmusik, die aber auf Meta-Ebenen Gesellschafts- und Kapitalismuskritik übt. Wir dachten auch, das wäre voll der große Wurf, aber in Deutschland haben sich die Leute scheinbar eher verhohnepipelt gefühlt. Deshalb ist die Platte auch gefloppt. Aber im Ausland lief es ganz gut, und das hat uns als Band auch gerettet, weil wir erst ziemlich frustriert waren, dann aber gemerkt haben, dass es doch ein Verständnis für diese Art Musik gibt. Damals stand schon so eine Idee dahinter, das sehr artifiziell zu gestalten, einen Pop- und Glamfaktor herauszukitzeln, mit Videoperformances und Pipapo. Aber das war auch wahnsinnig anstrengend mit den vielen Geräten. Deshalb haben wir danach gesagt, wir spielen jetzt jeder nur noch ein Instrument und suchen einen einfacheren Weg. Aus dieser Idee heraus ist die neue Platte dann so entstanden. Dass es nun deutlich Rock-orientierter ausgefallen ist, kommt also nur daher, dass es einfacher für uns selbst werden sollte. Was in der Musikwelt zu der Zeit abging, hat uns gar nicht interessiert.

Das aktuelle Album Lumber kündigt ihr selbst als „neuen Popentwurf“ an…

Das ist natürlich Labelsprache. Einen neuen Popentwurf kann man ja gar nicht mehr machen. Obwohl der Begriff „Entwurf“ schon okay ist. Und für mich stellen die Songs schon Pop dar, auch wenn die Platte sehr rockig klingt. In den Texten geht es ja auch wieder um diese Alltagsgeschichten.

Als Schlagwort fällt außerdem „Boogierock“ – hat sich das auch das Label ausgedacht?

Das kommt schon von uns. Vorher war es bei uns immer dieses Four-to-the-Floor-Ding, immer Achtel spielen und so. Das wollten wir nicht mehr. Swing oder Boogie war da eine Alternative. Und jetzt ist das bei etwa der Hälfte der Songs tatsächlich ein Boogie-Rhythmus geworden, immer ein wenig versetzt und leicht punktiert. Damit einher geht auch so eine gewisse Glamourösität. Vorher war das sehr viel aseptischer, sehr viel kühler. Und Boogie ist halt auch noch nicht so abgenudelt…

Trotzdem wird das doch aber in der Indie-Ecke landen…

Davor ist man ja nicht gefeiht. Aber das ist auch gar kein Problem. Letztenendes ist das ja auch eine der Musikszenen, die mit sehr vielen angenehmen Menschen gefüllt ist. Darum geht es ja auch: Wenn man Musik macht, will man mit Leuten zu tun haben, die man mag. Leute, die versuchen, im Sinne des Wortes independent zu arbeiten, sind Leute mit Attitüde und Vorstellungen davon, was sie wollen. Von daher lassen wir uns da gerne einordnen.



Du sprachst gerade von Glamourösität. Wie passt das denn damit zusammen, dass ihr euch im Booklet als Holzfäller inszeniert?

Bei der Fotografie haben wir ja einerseits diese Grunge-Referenzen, das Holzfäller-Thema, Naturverbundenheit. Aber das wird gebrochen durch das Mittel der Studiofotografie. Der Gegensatz zwischen dieser Hochglanzoptik und dem wenig glamourösen Thema sollte herauskommen, dadurch entsteht in den Fotos sowas „anderes“, wie in einer Zwischenwelt. Ein bisschen wie Village People, aber dafür ist die Musik zu hetero-mäßig. Das passt alles nicht so wirklich zusammen, wird aber gerade deshalb spannend.

Wie wichtig ist euch denn sowas wie eine Abgrenzung vom Pop hin zu „ernst zu nehmender“ Kunst? Immerhin wird das Cover auch von einer Installation („Las Palmas“) geziert.

Abgrenzen ist vielleicht das falsche Wort. Einerseits versuchen wir schon, Melodien zu machen, die auch hängen bleiben – also in diesem Sinne Pop. Aber wir wollen andererseits nicht die gleichen Mittel oder die gleiche Bildsprache benutzen, die zumindest in der deutschen Popmusik benutzt werden. Auch früher waren unsere Fotos ja schon sehr zugespitzt, damals in Richtung Boygroup. Aber in Deutschland wurde das einfach nicht verstanden. Jetzt haben wir dahingehend quasi schon deutlicher Stellung bezogen, weg vom Populär-Format. Die Installation „Las Palmas“ hat ein guter Freund von mir, Harry Sachs, gemacht. Und die greift ja auch wieder ein Populär-Thema auf: Urlaub. Also grundsätzlich wollen wir uns da gar nicht so sehr abgrenzen, nur in Sachen Bildsprache schon. Ich finde auch, eine richtige deutsche Popkultur, in dem Sinne dass auch Omas auf R’n’B stehen, sowas gibt es ja hier gar nicht. In England ist der Umgang mit Popmusik ganz anders. Da verstehen die Omis auch Scissor Sisters. Insofern gibt es hier gar keine Popkultur, von der wir uns abgrenzen müssten. Hier wird man dann in andere Schubladen gesteckt. Man würde nur als Pop durchgehen, würde man alles ungebrochen, ohne jede Form von Ironie bedienen, mit klarer Rollenverteilung, so wie bei Juli oder Tokio Hotel. Da wollen wir natürlich nicht hin, weil es uns zu eindimensional ist. Das ist nunmal einfach langweilig.

Das Jeans Team probiert das ja ganz ähnlich wie ihr, aber mit deutschen Texten – funktioniert das deshalb besser?

Klar, so ein Song wie ‚Das Zelt‘ kriegt natürlich extrem gut den Spagat hin zwischen eindeutig politischem Text, Anspruch, und Pop-Parolenhaftigkeit. Das geht auf Deutsch deutlich einfacher. In unseren englischen Texten geht es eigentlich um ähnliche Themen und ähnliche Kritik, aber das versteht man hier natürlich nicht so gut. Das finde ich aber auch okay. Unser Referenz-Kosmos ist eher englische Popmusik, während es beim Jeans Team ja stark in Richtung NDW und Elektronik geht. Das macht beides Sinn. Boogierock mit deutschen Texten, das würde vermutlich nicht funktionieren. Aber da fällt mir auf: An dieser Verbindung von internationaler Popmusik und deutschen Texten arbeiten ja gerade Die Türen. Die wären dann quasi das Bindeglied zwischen Jeans Team und RAGAZZI. (lacht) Eigentlich hätten Die Türen vor uns veröffentlichen müssen.



Wie ist ein Song wie ‚Not Exactly‘ zu verstehen, in dem es heißt: „A simple setting. Simple fun. A single thought. A single world. A single word is what’s preferred“? Feiert ihr da gewissermaßen die Einfachheit, oder kritisiert ihr sie?

Eigentlich ist das gar nicht so ironisch gemeint. Es geht um merkwürdige Ziele, die man sich setzt, und darum, dass man irgendwann feststellt, dass es auch alles viel einfacher geht. Man will ja immer etwas anderes erleben, als das Normale. Die Gesellschaft bietet einem dafür Dinge wie Shopping oder Erlebnisparks. Aber es geht immer auch viel einfacher. Ich war z.B. mit Freunden in Venedig, und weil wir uns keine Gondolieren leisten konnten, sind wir mit Schlauchbooten durch die Kanäle gefahren. Das war so vermutlich viel besser. Solche Differenzerfahrungen, die den Angeboten der Gesellschaft entgegen stehen, die aber trotz ihrer Einfachheit total super sind, werden da beschrieben.

Und musikalisch wird derselbe Weg beschritten.

Genau. Weg vom großen Entwurf, hin zur Einfachheit. Deshalb die einfache Besetzung und kein Schnickes mehr.

„Diese Platte wird nicht untergehen“, steht in eurem Presseinfo. Nenn‘ uns doch mal ein paar gute Gründe…

(lacht) Es sind einfach Hits drauf, elf Singles – wie soll die denn untergehen! Das ist tolle Popmusik. Bei vorigen Platten hatten wir während der Aufnahmen immer Probleme, uns damit anzufreunden. Aber diesmal haben wir uns einfach immer gefreut und uns gesagt: Geile Platte! Gute Musik knabbert sich durch. Heutzutage funktioniert der Musikmarkt ja sowieso ganz anders als vor fünf Jahren. Selbst wenn du einen großen Hit machst, verkaufst du nur 5000 Platten. Deshalb kann man nur hoffen, dass sich so eine Platte auf Dauer durch die Köpfe durchknabbert. Das kann vielleicht ein Jahr dauern, aber irgendwie wird es schon die Leute erreichen.

Wie geht es mit RAGAZZI weiter in den kommenden Wochen und Monaten, was ist geplant?

Touren natürlich, auch im Ausland, und dann wollen wir das vielleicht noch mit unserem Metal-Projekt RULER OF THE WASTELAND spielen, wenn wir nach einem halben Jahr keine Lust mehr haben, es ganz normal zu spielen. Dieses Projekt entstand, als wir keine Lust mehr hatten, die alte Platte so zu spielen, wie sie ursprünglich klang. Aber weil wir alle irgendwie so einen Metal-Background hatten, haben wir von allen Songs Trash Metal-Versionen gemacht und das dann in Berlin zweimal so aufgeführt. Das war auch total super. Das war eigentlich so ein Zwischenschritt für uns, dann auch zu sagen, lasst uns bei RAGAZZI alles vereinfachen… Was macht man denn sonst noch so, heutzutage? Seine MySpace-Seite pflegen? (Da hatten sie bis vor kurzem erst einen Freund, DJ Bobo. Anm. d. R.). Dieses ganze Internetgenudel scheint mir auch irgendwie überbewertet. Ich glaub eher daran, dass sich so eine Platte halt irgendwie durchknabbert und von Person zu Person weitergereicht wird. Auch schön mit Brennen und so, das sollen die Leute ruhig machen. Ich kann mir auch nicht jede Platte leisten. Hauptsache es erreicht die Leute, und dann spielen wir halt Konzerte. Außerdem haben wir ja auch eine Platte mit einem tollen Booklet, das die Leute dann vielleicht doch haben wollen. Es geht ja nicht vorrangig um Verkauf, sondern darum, dass die Leute das symphatisch finden.

Das Album:

RAGAZZI
Lumber
VÖ: 06.04.2007
(Staatsakt/ Indigo)

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