Talentierter junger Songwriter mit Weilheim-Connection nimmt uns mit in seine Welt.
„Denn diese Leidenschaft in mir/ ist größer als mein schmerz/ ich fühl mich frei/ so frei zu sein“ (aus ‚Vielzuviel Vielleicht‘)
So verschafft man sich Gehör: Neben dem Medizinstudium mal eben ein eigenes Label gründen, dieses nach dem Künstlernamen der verehrten Großmutter benennen und in einem Netzwerk aus engagierten, kreativen Förderern ein Debüt-Album aus dem Boden stampfen, das den Eindruck erweckt, man hätte alles dies eben überhaupt nicht benötigt.
Anders Wohl Kaum ist ein ungemein kraftvolles Klanggemälde geworden, das, wie der Titel schon andeutet, genau weiß, was es zeigen will, zeigen muss. Weilheim-Koryphäe Mario Thaler hat bei der Produktion des Albums nur assistiert, RON FLIEGER hat sämtliche 11 Stücke selbst geschrieben, arrangiert und eingespielt – lediglich für Streicher und Schlagzeug wurde Unterstützung gesucht.
Um ein klares Singer/Songwriter-Gerüst hat der 26-Jährige ein modernes, von großen Harmonien und spannenden Rhythmen getragenes Kammerspiel inszeniert, das wohl kaum persönlicher hätte geraten können. Begeisterndes Klavierspiel, elektronisch verfremdetes Schlagzeug und flirrende Soundscapes vertonen Geschichten und Gedanken einer Adoleszenz zwischen Essen und München, zwischen eigenem Kosmos und äußerer Erwartung, zwischen Romantik und analytischem Realismus.
Weil Anders Wohl Kaum aufgrund dieser Lebensumstände insbesondere auch eine Abgrenzungsplatte geworden ist, gibt es hier neben wunderschöner, zeitgemäßer Popmusik ebenfalls treibende Rocksongs mit Texten, die zynisch fragen: „Und wie schön für euch/ dass ihr euch selbst insbesondere lautstark zelebriert/ doch wie kann das sein/ dass ihr allein durch unsere Leidenschaft Leiden schafft?“. Doof ist davon nichts, etwas schwierig bisweilen aber schon, den Gedanken durch die Strophen zu folgen. Ein Mann definiert sich und seine Lebenswelt, die Vokabeln fordern Auseinandersetzung, es wird viel desillusioniert, inszeniert, strukturiert, suggeriert oder reflektiert. Dankbarer sollte man für intelligente, bewegende Lieder sein, die daran glauben, dass Liebe nicht enden muss, wenn man nicht möchte: „…und so träum ich dich/ so schön und sehe mich/ in deinen Armen hier/ so gern bei dir/ und ich träum mich frei/ und sehn dich herbei/ führ mich zurück zu dir/ dass ich dich nicht verlier“ (aus ‚Für Mich‘).
Wenn es RON FLIEGER für das nächste Album gelingen würde, die gegenseitige Bedingung von Innen- und Außenwelt mit seiner tollen, gelegentlich an Jan Plewka erinnernden Stimme noch eleganter zu besingen, befände er sich schon dicht daran, bereits zu Beginn seiner Karriere ein Meisterwerk zeitgenössischer Popmusik verfasst zu haben.
RON.FLIEGER
Anders Wohl Kaum
(Dienje/ Rough Trade)
VÖ: 11.08.2006
Autor: [EMAIL=heiko.bartels@b-i-b.de?Subject=Kontakt von der Website]Heiko Bartels[/EMAIL]