Zuhauf klasse (Indie-) Acts auf idyllisch gelegenem Gelände bei erneut eher mäßigem Besucherzuspruch. Auf ein Wiedersehen 2007?
Erfreulicherweise haben sich die Veranstalter des Berlin Festivals keinesfalls beirren lassen und setzten nach der zwar bestens besetzten (u.a. Ex-Stone Roses IAN BROWN, THE WEDDING PRESENT, DIE STERNE, THE KILLS, KATE MOSH) und organisierten, aber noch etwas unter mangelndem Besucherzuspruch leidenden Erstauflage im vergangenen Jahr (
Um es gleich vorwegzunehmen: Es fanden sich diesmal immerhin deutlich mehr musikbegeisterte Freunde anspruchsvoller Indiekultur im idyllischen brandenburgischen Paaren im Glien vor den Toren Berlins als noch beim ersten Anlauf im vergangenen Jahr ein, doch so richtig zufriedenstellend waren die Besucherzahlen sicherlich auch diesmal nicht. Insbesondere vor der zweiten (Indoor-) Bühne verloren sich gerade nachmittags bzw. am früheren Abend doch des Öfteren gerne mal nur eine Handvoll Interessierter, um sich aus der prallen Sonne in die ja zumindest Sonnenschutz gewährende, allerdings auch ziemlich aufgeheizte und stickige Halle zu bemühen und hier zu Lande weitgehend unbekannte und lediglich Insidern bekannte Bands wie beispielsweise LO-FI-FNK, KLAXONS, NAVEL oder HOT CLUB DE PARIS eine – verdiente – Chance zu geben.
Gelohnt hätte sich das aber allemal, vor allem die scheinbar gerade der Schule entsprungenen schwedischen LO-FI-FNK mit pfiffigem Elektropop, die Berliner von MONOLAND mit dichten Gitarrenwänden über versprengten Elektronik-Loops oder auch POWERS mit einem ungemein hypnotischen Instrumentalsound zwischen Sonic Youth und Stereolab wussten die zunächst noch etwas lethargische Stimmung im Zuge der sich dann während der Auftritte doch nach und nach auch meist besser füllenden Halle einigermaßen anzuheizen. Aber klar, je später der Abend, desto bekannter die Bands und desto größer auch hier der Andrang.
Als Headliner der Moshi Moshi-Stage gefielen diesbezüglich am Samstag die gerade vor dem Durchbruch stehenden ¡FORWARD, RUSSIA! aus Leeds mit einem wahnsinnig energiegeladenen und druckvollen Set, bei dem durchgängig ekstatischer, sich überschlagender Gesang über einer von Bloc Party bekannten pulsierenden Rhythmik und brachialen Noise-Attacken Marke Aereogramme für die Belastbarkeit der Stimmbänder Maßstäbe setzte. Auf das dieser Tage erscheinende Debütalbum darf man gespannt sein, live auf jeden Fall eine der Entdeckungen des Festivals. Und auch die ja längst etablierten CHIKINKI hatten als letzte Band der nun als German Label Stage fungierenden Stage am Sonntag keine Mühe, mit ihrem elektronisch aufgepeppten Rock’n’Roll und Hits wie ‚Ether Radio‘ oder ‚Hello Hello‘ die äußerst zahlreich versammelte Fanschar nochmal so richtig zu rocken, bevor es dann zum Ausklang zurück nach draußen zum Headliner der Outdoor-Stage, den 80er Gitarrenwave-Ikonen ECHO AND THE BUNNYMEN aus Liverpool gehen sollte.
Zäumen wir hier das Ganze also einfach mal von hinten auf. Trotz meiner Befürchtung, dass die BUNNYMEN ob des – relativ – spät anberaumten Sonntagabend-Sets lediglich vor einer Handvoll ausharrender Hardcore-Fans auftreten müssten, fanden sich glücklicherweise doch noch einige Hunderte vor der Bühne ein, um IAN McCULLOCH und Band ihre ehrerbietige Aufwartung zu machen. Unbestritten ist ja ihr Einfluss auf viele aktuelle, retrogewandte Britpop und – rock Bands, die derzeit nur allzu gerne auch Elemente des 80er Gitarrenwaves in ihren Sound integrieren, so dass sie somit vielleicht tatsächlich auch der jüngeren Indie-Gemeinde ein Begriff sind oder zumindest eine gewisse Neugier erzeugten.
Ähnlich wie am Samstagabend, als die ebenfalls schwer 80s- (und Synthi-) beeinflussten ZOOT WOMAN als letzte Band mit einem ziemlich uninspiriert wirkenden, sterilen Auftritt einen zu Recht schweren Stand hatten und die durchaus geduldig ausharrenden Besucher eher langweilten, wenn nicht gar verschreckten, schienen auch ECHO AND THE BUNNYMEN dezent überrascht von der sicherlich so von ihnen nicht unbedingt erwarteten, relativ intimen Festival-Atmosphäre.
Dass sie allerdings in Deutschland schon lange nicht mehr zu den Bands zählen, die als Headliner für 10 000er (und mehr) Festivals gebucht werden, sollte an dieser Stelle aber auch einmal festgehalten werden, so dass ein Auftritt an solch exponierter Stelle ja auch für diese alten Haudegen ruhig mal eine besondere Herausforderung darstellen sollte.
Eine gewisse und gar nicht mal unsympathische, irgendwie ja auch coole Arroganz war insbesondere Frontmann IAN McCULLOCH ohnehin schon immer zu eigen (auch wenn das Verscheuchen der mehr als verdutzten Fotografen im Fotograben dann doch mehr als überflüssig war), dennoch bedankte er sich auch an diesem Abend oft genug artig für den euphorischen Applaus, der angesichts eines grandiosen, Headliner-gerechten Sounds und eines Best Of-Sets der Spitzenklasse mit alten Hits wie dem – überraschenden – Opener ‚Lips Like Sugar‘ sowie ‚Bring On The Dancing Horses‘, ‚The Killing Moon‘ oder aber auch der fantastischen Single ‚Stormy Weather‘ aus dem im vergangenen Jahr veröffentlichten aktuellen Album Siberia absolut berechtigt war.
Lediglich das mit Sicherheit in dieser Form nicht vorgesehene Ende des gut einstündigen Sets sorgte dann für einen leichten Missklang, als McCULLOUGH mit seinen Bandkollegen infolge vorübergehender Ton- und Soundprobleme nach dem abschließenden ‚Nothing’s Gonna Last Forever‘ – offensichtlich verärgert – vorzeitig die Bühne verließ und natürlich auch zu keiner Zugabe mehr zurückkam. Dennoch, zu drei Vierteln ein absolut klasse Auftritt, für Fans sowieso, aber auch die nachgewachsene Indie-Generation dürfte durchaus Gefallen am Auftritt der Liverpooler gefunden haben.
Was gibt es sonst noch zu berichten von der an beiden Tagen von permanenter Sonneneinstrahlung verwöhnten Main Stage inmitten beschaulicher Weiden und Felder des MAFZ?
Naturgemäß traten hier im Vergleich zur zweiten Stage im Großen und Ganzen die bekannteren Bands an, die sich bei Temperaturen um die 30 Grad insbesondere nachmittags redlich abmühten, die sich nur zögerlich vor die Bühne bewegenden Fans von ihren Sets zu überzeugen.
Zu den überragenden Highlights des Samstags zählten auf jeden Fall die britischen Noisepop-Helden AMUSEMENT PARKS ON FIRE trotz offensichtlichen Schlafmangels sowie die seit vergangenem Jahr wiedervereinten legendären Berliner Indierock-Darlings 18TH DYE mit einem wie immer sehr sympathischen Auftritt und zahlreichen, auf ein vielleicht schon in naher Zukunft erscheinendes Album deutenden neuen Songs. Außerdem die ebenfalls wiedervereinten irischen (Punk-) Rocker SULTANS OF PING (Foto siehe oben) mit humorigem, gerne auch mal obszönem Frontmann, die vor allem mit ihrem alten Hit ‚Where’s Me Jumper‘ nicht nur die gar nicht kleine (mitgereiste?) Gruppe ekstatischer Fans in roten SULTANS OF PING T-Shirts mit eben jener „Where’s Me Jumper“-Aufschrift begeisterten, der glamourös-coole Feedback-Rock’n’Roll-Auftritt der dänischen RAVEONETTES mit wie immer äußerst zurückhaltend-bezaubernder SHARIN FOO an Vocals und Gitarre sowie – selbstredend – der bekannt amüsante Auftritt der Berliner Indie-Trash-Hipster STEREO TOTAL, die sich im Nachhinein sicherlich wesentlich besser als Headliner geeignet hätten als die doch etwas lustlos wirkenden ZOOT WOMAN im Anschluss.
Ein aufgedreht-quirliger BREZEL GÖRING bot bei deren Auftritt einen schönen bewegungsreichen Kontrast zur eher verhalten auf der Stelle agierenden, charmanten FRANCOISE CACTUS, insgesamt boten sie Unterhaltung und Esprit pur und feuerten abwechselnd im Rock’n’Roll-, Elektro- oder Chanson-Gewand zahlreiche ihrer Hits ab und holten u.a. zu ‚Liebe Zu Dritt‘ die Fans zum Mittanzen auf die Bühne.
Überhaupt war generell festzustellen, dass die Berliner Acts größtenteils doch am besten ankamen und meist für die ausgelassenste Stimmung sorgten. Dazu gehörten neben STEREO TOTAL zweifellos auch die eh für ihre aufregenden Live-Performances bekannte MEDIENGRUPPE TELEKOMMANDER, die wie viele an diesen Tagen gerne immer mal wieder mit dem etwas mauen Besucherzuspruch und der sich häufig etwas schleppend einstellenden Festivalbegeisterung kokettierten, um dann aber auch das Zepter mit schwer auf die Hüfte zielenden Beats plus wirbelnder Gitarre- und Bass-Einlagen in die Hand zu nehmen und ihre oftmals kunstvoll verschachtelten Slogans der mittlerweile angenehm wärmenden Abendsonne entgegenzuschreien.
Vergleichbar Stimmungserhellendes gelang übrigens auch den etwas später nebenan indoor intensivst rockenden, ja immer gerne kontrovers verhandelten THE AIM OF DESIGN IS TO DEFINE SPACE, die sich als erstklassige Liveband präsentierten, einen der zwingendsten Rocksounds des Festivals in die Halle pusteten und ihre Show auch dadurch visuell aufpeppten, indem sie ihre zwar größtenteils eh recht sloganhaft anmutenden Texte übergroß zum Mitlesen auf die Leinwand projizierten oder zum heimlichen Hit ‚Depeche Mode‘ ein Uralt-Video eben jener Synthipop-Meister laufen ließen. Spätestens bei ihrem Smash ‚Kippenberger‘ hatte man AIM OF DESIGN trotz anfänglicher, von wo auch immer genau herrührender Skepsis zu einer der Bands des Festivals erkoren, und das hatte definitiv NICHTS mit eventuell erhöhtem Alkohol-Konsum zu tun!
Auch NM FARNER um MASHA QRELLA und NORMAN NIETZSCHE, die sich trotz Gipsbeins des Drummers und zuvor geklemmter (und daher schmerzender) Finger von NORMAN ungemein spiellaunig präsentierten, vervollständigten die beeindruckende Phalanx hervorragend aufspielender Berliner Bands mit ihrem energisch vorgetragenen (post-) punkigen Disco-Wave.
Hervorheben muss man auf jeden Fall noch – switchen wir also wieder zur Hauptbühne rüber – den sonntagnachmittäglichen Auftritt von NICK TALBOT und dessen in Trio-Besetzung angetretener Band GRAVENHURST. Nach dem mit schönen Noise-Attacken schon wenig geizenden Opener des aktuellen Albums Fires In Distant Buildings folgte eine fulminante Maximum-Deluxe-Version ihres fantastischen kleinen Hits ‚The Velvet Cell‘, so dass der Band um den ja immer etwas introvertiert wirkenden Frontmann nach ca. 20 Minuten nicht viel übrig blieb, als auch mal Tempo zum Verschnaufen herauszunehmen und die unendlich traurigen Melancholie-Oden des Albums anzustimmen, um sich im letzten Drittel des Auftritts nochmal so richtig im effektversessenen Spannungsfeld von Noise, Folk und Psychedelia auszutoben und auch und dem wahnsinnig virtuosen Drummer viel Raum zur Demonstration seines Könnens zu geben. Ein intensiv aufgeführtes Drama in drei Akten sozusagen, großartig!
Dagegen verblassten die später am Abend folgenden Auftritte von der musikalischen Intensität her zwar ein wenig, dennoch sorgten sowohl THE ROBOCOP KRAUS mit einem recht unspektakulären, aber keineswegs enttäuschenden Auftritt sowie die aktuell – insbesondere bei den weiblichen Fans – schwer angesagten Schweden von den SHOUT OUT LOUDS mit einem ziemlich begeisternden, und ein wahres Feuerwerk an Hits versprühendem Set für absolut sehenswerte Momente, die auch entsprechend goutiert wurden und insbesondere bei den SHOUT OUT LOUDS die gelegentlich schon mal vermisste Festivalstimmung auf ein an diesen Tagen ungewohnt hohes Niveau hoben.
Wie im vergangenen Jahr schafften es die Veranstalter, ein bestens organisiertes Festival mit fairen Preisen zu präsentieren, das mit einem recht ungewöhnlichen, wenig vorhersehbaren und größtenteils ungemein innovativen Line-up in einer tollen und von Berlin aus sehr gut zu erreichenden Location im idyllischen brandenburgischen Örtchen Paaren Im Glien aufwartete. Vergessen sollte man angesichts der sicherlich auch in diesem Jahr nicht ganz zufriedenstellenden Besucherzahlen aber nicht, dass es sich ja gerade einmal um die zweite Auflage des Berlin Festivals handelte, und davon, wie lange es dauern kann, ein neues, qualitativ hochwertiges (Indie-) Festival zu etablieren, können sicherlich auch andere, inzwischen erfolgreiche Festivalorganisatoren ein Lied singen. Hoffen wir einfach, dass die diesjährige Kalkulation einigermaßen aufgegangen ist und wir uns beim Berlin Festival 2007 wiedersehen werden!
Fotos © BiB – Bands in Berlin 2006
Autor: [EMAIL=thomas.stern@b-i-b.de?Subject=Kontakt von der Website]Thomas Stern[/EMAIL]