Scott Matthew singt und Berlin hält den Atem an.
Eine drückende, stickige Luft, die einem fast den Atem abschnürt hat sich am ersten Juni-Dienstag in der Kreuzberger Passionskirche angesammelt. Es gibt noch Tickets an der Abendkasse, aber auch die letzten freien Plätze sind schnell gefüllt. Das angekündigte Gewitter bleibt aus, stattdessen kommt: Laura Barrett. Die kanadische Musikern versucht mit ihren akustisch-minimalen Arrangements und ihrer doch eher dünnen Stimme ein Publikum anzuheizen, das aufgrund der Hitze und der Verzögerung sowieso schon leicht unruhig ist. Die Songs über Roboterponys und andere neurotische Mädchenfantasien tragen, zumindest auf den hinteren Rängen, dann doch eher zur Erheiterung bei. Zum Glück gibt es einige Fans, und so bleiben die großen Fremdschämmomente aus.
Die Quälerei hat ein Ende, das Warten ist gerade dann vorbei, als es fast unerträglich geworden ist. Ein Strauß Pfingstrosen macht den Anfang, dann beginnt mit einem voller Inbrunst gehauchten ‚What’s My Name‘ der spektakuläre Teil des Abends. Schmerzlich-Introvertiertes soll sich im Verlauf des Konzerts immer wieder mit Versöhnlich-Warmem abwechseln. Der zweite Song des Abends, ‚Community‘, ist, mit Scott an der Ukulele, so ein harmonisches Lied, das, man verzeihe mir die Konnotation, mich an Nils Holgersson und seine Reise mit dem Wildgänsen denken lässt. Schön.
Die Begleitband mit Marisol Limon Martinez am Piano, Sam Taylor an der Gitarre, an der Kalimba und am Cello sowie Eugene Lemcio am Bass arbeitet in perfekter Synchronie, sie ist unaufdringlich und dennoch unverzichtbar. Zudem scheint sie Scott Matthew Halt zu geben. Wenn er kein Instrument spielt, weiß er gar nicht so recht, wohin mit seinen Armen, mal zucken sie und mal reiben sie auf und ab am Oberschenkel wie einst bei Kaspar Hauser. Diese Introvertiertheit ist echt, das spürt man, es muss ihn immer noch Überwindung kosten, sein Innerstes so nach außen zu kehren. Da hilft es, dass der Rotwein immer griffbereit steht.
Übrigens, SCOTT MATTHEW hat Humor und zudem ein Glitzern in den Augen, das man leider nur zu selten sieht, denn wenn der Kopf nicht nach unten gebeugt ist, sind die Augen geschlossen oder unter der Haarsträhne verdeckt. Wenn immer mal wieder eine Bierflasche die Kirchenbänke entlang rollt, kann er nicht anders und muss lachen.
Der reguläre Teil des Konzerts endet mit einem Gänsehautmoment: „In the darkest of ocean, there’s light… Dankeschön.“ Wahnsinn. Die Kirche tobt, das (im Übrigen aus zu neunzig Prozent gleichgeschlechtlich Orientierter bestehende Publikum inklusive schwuler Lokalprominenz) pfeift und klatscht und trampelt und will mehr. Eine Stunde sind auch SCOTT MATTHEW nicht genug; mit ‚Abandoned‘ vom selbstbetitelten Debütalbum erfolgt die erste Zugabe, bevor eine Weltpremiere ansteht: ein Duett mit Sam Taylor, vor einigen Tagen im Van geschrieben. Passt. Ein weiteres Highlight: das THE SMITHS-Cover ‚I Won’t Share You‘.
Nun wo es vorbei ist, was bleibt da? Die Erkenntnis, dass Vergleiche mit Antony hier nichts zu suchen haben. Eine Wärme im Herzen, die anhält. Berlin war die letzte Station der Tournee und SCOTT MATTHEW hätte es nicht besser ausdrücken können: „a glorious fullstop.“ Bleibt zu hoffen, dass aus dem Punkt vielleicht bald ein Strichpunkt, dann ein Komma wird, denn noch mal können wir nicht so lange warten.
www.scottmatthewmusic.com
www.myspace.com/scottmatthewmusic
www.myspace.com/laurabarrett
Foto © defendmusic
Autor: [EMAIL=sandra.wickert@popmonitor.de?Subject=Kontakt von der Website]Sandra Wickert[/EMAIL]