Oh My Love…
Unnützes Wissen, Teil 1: Das Fell von Eisbären reflektiert Infrarotlicht auf die gleiche Art und Weise wie Schnee – das heißt, Eisbären werden bei Infrarot unsichtbar! Das hat Jessica Preciado, Wirtschaftsingenieurstudentin in Berkeley, Kalifornien, im Jahre 2003 herausgefunden und dafür einen Preis gewonnen. Ein schönes, eher ungefährliches Halbwissen, das vom gemeinen Menschen gern wieder schnell vergessen wird, bevor er es dann vielleicht bei der 32.000-Euro-Frage von „Wer wird Millionär“ wieder aus dem Gedächtnis hervorkramt.
Dear Reader, Foto: Markus Maschwitz
Nicht so bei Cherilyn MacNeil, der Pianistin und Sängerin des südafrikanischen Trios DEAR READER: Der unsichtbare Eisbär inspirierte sie einst zu ihrem Song ‚Great White Bear‘. Überhaupt ist einiges ungewöhnlich bei dieser noch relativ unbekannten Band. Cherilyns Stimme ist so klar, bezaubernd schön und absolut sicher, dass man sich manchmal fast fragt, welcher Trick dahinter stehen mag. Der linkische Drummer Michael Wright entpuppt sich im Laufe des Konzerts als Mann mit einem wunderbaren Bariton, und Mastermind Darryl Torr – Bassist, Keyboarder, Gitarrist in Personalunion – bedient nebenher noch mal eben die Loop Station, mit der er im Laufe des Konzerts immer wieder Cherilyns oder Michaels Gesänge aufnimmt, die dann später als zusätzliche Backgroundstimmen eingespielt werden. Sicherlich nicht genial einfach, aber einfach genial.
DEAR READER, die zunächst mit verhaltenem Applaus empfangen wurden, konnten mit ihrer Mischung aus viel Gefühl, ein bisschen Kitsch, Tiefgang und orchestralen Arrangements überzeugen. Als am Ende alle Stücke aus dem neuen Album Replace Why With Funny gespielt waren, musste als Zugabe sogar noch ein ganz neuer Song herhalten. Ein Extra-Sympathiebonus: die unprätentiöse Art, mit der die Drei aus Johannesburg fast schüchtern zwischen den Songs agierten. „I thought Sophia was a girl“, gestand Cherilyn einem Publikum, das fast ausschließlich aus SOPHIA-Hardcorefans bestand. Dass ihr das keiner übel genommen hat, spricht zusätzlich für die Darbietung von DEAR READER an jenem Abend.
Unnützes Wissen, Teil 2: Das Wort „Sophia“ (von griechisch: sophia = Weisheit) bezeichnet einen weiblichen Vornamen, die Personifikation der Weisheit in der Gnosis, eine Stadt in North Carolina, eine Stadt in West Virginia und den Asteroiden mit der Nummer 251.
Sophia
Was aber weitaus wichtiger ist: SOPHIA ist ein Bandprojekt des Sängers, Gitarristen und Produzenten Robin Proper-Sheppard. In Begleitung eines Streicherquartetts steht SOPHIA an jenem Abend auf der Bühne. Zunächst muss sich Robin jedoch entschuldigen, nachdem er eine ganze Weile auf sich warten ließ, während sein Streicherquartett schon längst in den Starlöchern stand. Man verzeiht es ihm auf dem Fuße, denn schnell wird klar: Dieser Mann leidet, fast schon messiasgleich, um seine melancholischen Lieder über verlorene Lieben und deren Tragik vorzutragen. Zu Beginn noch verhalten, taut der mehrfach herzgebrochene Sänger bald auf und erzählt eine seiner vielen Anekdoten, wo man sich immer wieder beim Gedanken ertappt: „Der übertreibt doch jetzt ein bisschen?“ Die Frauen scheinen ihm einiges angetan zu haben, wir sollten es ihnen danken, denn sonst wäre es wohl nie zu Zeilen wie „I’ve ve left my heart where I should have stayed instead, and you think that I’ve forgotten, but you will always be near, in every face that I see, and every voice that I hear“ gekommen. Robin gelingt es auf elegante Art und Weise, von seinem gequälten Seelenwohl auf sarkastische Geschichtchen rund um seine Existenz als Mann und Künstler umzuschwenken. Lieblingswort des Abends: „Fuck(in Fuck)“.
SOPHIA ist ein Bandkollektiv, fast schon anarchisch, und so ist Robin Proper-Sheppard ebenso. Man mochte es ihm anfangs kaum glauben, zu kokettiert klang seine Ansage, er habe überhaupt keine Ahnung, was er heute spielen solle und ob er überhaupt was aus seinem neuen Album spielen würde, wäre mehr als fraglich. An den heftigen Blätterbewegungen der Streicher in ihren Notenheften und an seinen spontanen Umüberlegungen bewahrheitet sich jedoch dieses als Drohung verpackte Überraschungsgeschenk. Viele neue Songs, aber auch die alten Klassiker wie ‚Swept Back‘ und „Oh My Love“ im neuen, akustischen Gewand – und es wurden sogar Musikwünsche angenommen. Eines davon: ‚Bastards‘. Spätestens bei Sätzen wie „Some men are bastards, some men are swines“ wird klar: Dieser Mann ist keineswegs ein Unschuldslamm und sicherlich für eine ganze Brigade von gebrochenen Herzen verantwortlich. Das muss er letztlich selber zugeben: „If I weren’t a bastard, I wouldn’t be here, you wouldn’t be here – I’d probably be working happily in a McDonald’s“. Wie wahr, wie wahr. Dennoch: „We love you, honey“, wie einst des Sängers Frau Mama auf einem seiner Konzerte mit seiner ehemaligen Rock/Noiseband THE GOD MACHINE zu seinem blanken Entsetzen rief. „So was Schönes habe ich schon lange nicht mehr gehört“, so das Resümee der Begleitung der Autorin. Und dem ist absolut nichts mehr hinzuzufügen außer: Oh my fuckin’ love.
www.myspace.com/thesophiacollective
www.myspace.com/dearreadermusic
www.cityslang.com
Autor: [EMAIL=sandra.wickert@popmonitor.de?Subject=Kontakt von der Website]Sandra Wickert[/EMAIL]