Spätestens mit diesem vierten Album hat sich die schottische Band THE HARE AND THE MOON als Vorzeigeprojekt des Neo- und Weird Folk etabliert. Sie führen den Hörer literarisch in die dunkle Romantik, also ins Ungewisse: in den dunklen, dunklen Wald.
Hier zwitschern bei „The Midnight Folk“ die Vögel, Streicher erklingen und die Sängerin reinterpretiert den Text von John Masefield. Bei „The Bard Of Eve“ und „Come Unto The Corn“ tanzen die Hexen ritualhaft zu Trommeln und E-Gitarre ums Feuer. Man hört den Zauberspruch der Junghexe Margaret aus The Blood on Satan’s Claw (1971), also das Gebet an einen Götzen. Aber was ist das überhaupt, eine Hexe?
Sie ist wortwörtlich eine Person, die auf der „Hecke sitzt“, also auf der Dorfgrenze zum Wald. Sie ist halb ausgestoßene Frau, halb böse Fee: In alten Zeiten verehrten die Völker die Fähigkeit der Frauen, Leben zu schenken. Männer entwickelten im Gegenzug die Techniken des Leben-Nehmens in Jagd, Krieg und Mord („Cruel Henry“). Frauen, die es wagten, abzutreiben oder anderen dabei halfen, verstießen gegen diese Ordnung („The Cruel Mother“). Ihnen wurde auch vorgeworfen, den christlichen Gott abzulehnen und den alten Muttergottheiten anzuhängen („Morgiana“). Ironisch wird dann auch das Kommunionslied „O Taste And See“ von Ralph Vaughan Williams gesungen. Neben der Sängerin hat auch GOD’S LITTLE ESKIMO einen Gesangspart für „The Wife Of Usher’s Well“, das vom Horrorklassiker Der Untergang des Hauses Usher von Edgar Ellen Poe inspiriert ist.
Der düstere Soundtrack zur Rezitation stammt von Orgel, Geigen und anderen Instrumenten, die in verwirrender Themenwiederholung gespielt werden. Aber auch Dark Ambient wird eingesetzt wie bei Goethes „The Erl-King“. Die berühmte Ballade hielt offen, ob das Kind im Text von seinen Fieberfantasien oder tatsächlich von dem Waldgeist „Erlkönig“ dahingerafft wird. Oder handelt es sich gar um die Folge väterlichen Missbrauchs, die dem Kind das Trugbild eines bösen Vaters erscheinen lässt, wie die Psychoanalytikerin Luise Reddemann vermutete? Diese Doppeldeutigkeit faszinierte schon RAMMSTEIN („Dalai Lama“).
Gleichzeitig derart beunruhigend und schön zu spielen, ist nicht jeder Gothic Band vergönnt. Da kann man nur Bewunderung zeigen. Sowohl politisch wie auch musikalisch unnötig fällt der Auftritt von TONY WAKEFORD aus („The Willow Tree“). Statt ihm hätte man den Bonustrack der Zweit-CD, „There Were Faces In The Hedgerow“ von MELMOTH THE WANDERER, verwenden können.
The Hare And The Moon
Wood Witch
(Reverb Worship)
VÖ: 10.04.2015