Schmissiger AOR mit Indie-Touch aus Brooklyn.
Ist die Bezeichnung AOR, also dieses von jeher ja äußerst verpönte „Adult Oriented Rock“ eigentlich noch geläufig, oder werden derlei musikalische Auswüchse inzwischen praktischerweise einfach unter Classic Rock oder gar Alternative Rock subsumiert? In den USA hat dieser melodiöse Mainstream- und Classic Rock ja ohnehin stets Hochkonjunktur, doch auch bei den Briten war im vergangenen Jahr eine überraschend vielstimmige Verbeugung vor Bands wie ELO, den Eagles oder Fleetwood Mac zu registrieren.
THE HOLD STEADY aus Brooklyn, New York genießen in ihrer Heimat schon längst und inzwischen auch in Großbritannien so etwas wie Kultstatus, was angesichts dessen, was einem da auf ihrem neuen Album Boys And Girls In America begegnet, zunächst doch einigermaßen überrascht, wenn nicht irritiert.
Springsteens ‚Born To Run‘ schießt einem gleich bei den ersten Tönen des Openers ‚Stuck Between Stations‘ durch den Kopf, geht der Song doch tatsächlich wie eine ins neue Jahrtausend transformierte Version mit Bratgitarren dieses ja durchaus ehrwürdigen Klassikers durch, mutet aber im heutigen Kontext zumindest anachronistisch an, Revivals und zyklische Stil-Wiederkehr hin oder her.
Auch im weiteren Verlauf plündert die Band ohne Scheu den Baukasten aus 70er-Jahre-Versatzstücken inkl. euphorischer Pianoläufe sowie oft und gerne integrierter Orgel- und vor allem mehrstimmiger Gitarrensoli. Dennoch ertappt man sich des Öfteren dabei, diesem insgesamt natürlich schon ziemlich old-fashioned anmutenden Gestus einen gewissen Charme zu attestieren, schließlich beschränkt sich die Band um Sänger und Gitarrist CRAIG FINN glücklicherweise auch nicht ausschließlich auf die Einbeziehung dieser steinzeitlichen Ingredienzen, sondern versteht es gelegentlich ganz gut, einigen Songs auch mal einen aktuelleren Alternative-Anstrich amerikanischer Prägung zu verpassen.
Hilfreich sind diesbezüglich neben der Produktion von John Agnello (Dinosaur Jr., Buffalo Tom, Sonic Youth) sicherlich auch die an ex-Hüsker Dü Bob Mould erinnernde markante Stimme, mit der FINN immer wieder gerne über nicht unbedingt begünstigte Seelen im amerikanischen Alltag sinniert, sowie eine oftmals lässig transportierte Coolness, die beispielsweise im bereits erwähnten Opener, im balladesken, besonders emotional aufgeladenen ‚First Night‘ oder dem wunderbar hymnischen und unverschämt hitverdächtigen ‚Chillout Tent‘ besonders zu Tage tritt.
Hat sich das manchmal ja auch allzu störrische Indie-Herz erst mal auf diesen überwiegend schwer energiegeladenen und partykompatiblen musikalischen Ansatz zwischen Springsteen, Thin Lizzy und, sagen wir, Soul Asylum (deren Sänger Dave Pirner bei einem Song auch mit von der Partie ist) oder Kings Of Leon gewöhnt und eingelassen, entwickelt sich Boys And Girls In America tatsächlich zu einer auf jeden Fall launigen Rock-Angelegenheit mit dezenten Querverweisen zu einer zeitgemäßen Alternative-Befindlichkeit.
THE HOLD STEADY
Boys And Girls In America
(Vagrant Records/ PIAS/ Rough Trade)
VÖ: 16.02.2007
www.theholdsteady.com
www.myspace.com/theholdsteady
www.piasrecordings.de
Autor: [EMAIL=thomas.stern@bands-in-berlin.com?Subject=Kontakt von der Website]Thomas Stern[/EMAIL]