Tibursky | „Ich versuche, weniger zurückzuschauen, also hauptsächlich in der Gegenwart zu bleiben. “

Nachdem wir, etwas peinlich berührt, feststellen mussten, dass es zwei Lokalitäten namens “Übereck” in Berlin gibt, treffe ich JOHANNES TIBURSKY in Friedrichshain. Der Berliner Produzent und Musiker bringt am 31. Oktober endlich sein lang erwartetes neues Soloalbum heraus.

Mit dem Coverartwork zu Coming Home, das im schottischen Glasgow aufgenommen wurde, schlägst du einen Bogen zu den Anfangsjahren deiner Band PRUSSIA. Wo liegt denn nun deine Heimat – in Berlin oder in Glasgow?
Nun, meine musikalische Heimat könnte ich so einfach nicht mit nur einem Ort verbinden. England, Schottland, aber auch die USA – insbesondere New Orleans mit seinen genialen Bluesmusikern in vielen Bars und auf den Straßen des French Quarters konnte ich in den 90ern für 4 Wochen besuchen. Eine meiner ersten Vinyl-LPs brachte mir eine Freundin in den frühen 80ern aus Kanada mit: Seventeen Seconds von THE CURE. (1980, kanadische Pressung). Ich liebte dieses Album.
1987 besuchte ich meine Cousine im schottischen Alexandria und lernte dort JOHN STEWART kennen, der zu dieser Zeit Sänger und Gitarrist der Glasgower Band BORAX THRUSH war. 1990 war Glasgow europäische Kulturhauptstadt und John lud mich und meine damalige Band PRUSSIA zu einer gemeinsamen Tour in Schottland ein. Der Berliner Senat bezahlte uns die Direktflüge nach Glasgow. John und seine Freunde mieteten dort eine Wohnung extra für uns an sowie zusätzliche Gitarren-Amps für beide Bands. Zudem kauften sie einen Van zum Touren. Also mehr Gastfreundschaft geht kaum und es war eine wunderschöne Erfahrung, die schottische Kultur auch an den spielfreien Tagen kennen zu lernen. Ein Jahr später reiste ich nochmal nach Glasgow, um für Johns Band als Studiokeyboarder ein paar Spuren aufzunehmen.
Obwohl es beide Bands seit langer Zeit nicht mehr gibt, sind John und ich sehr gute Freunde geblieben. Er kam seit dieser Zeit ein- bis zweimal im Jahr nach Berlin und schreibt einen Großteil der Lyrics oder ergänzt halbfertige Texte von mir, natürlich auch auf dem neuen Album Coming Home.

Denkst du gern an deine Anfangszeiten?
Naja, durch die nicht ganz einfachen letzten Jahre mit meinen zwei Herzoperationen, vielen Todesfällen und schweren Erkrankungen in Familie und näherem Umfeld, versuche ich, weniger zurückzuschauen, also hauptsächlich in der Gegenwart zu bleiben. Aber natürlich kommen manchmal Erinnerungen hoch, insbesondere wenn zum Beispiel jemand über Bandcamp unsere erste Vinyl-Single „FORGOTTEN DAYS“, noch unter dem Bandnamen ISELOH 1988 erschienen, kaufen möchte. Die ersten musikalischen Abenteuer im Keller meiner Oma, in der verwaisten Erfinder-Werkstatt meines Opas waren schon sehr intensiv und lautstark. Meine Oma war – Gott sei Dank – schwerhörig, aber wenn sie mal abends in den Keller runterstieg, um zu schauen, ob auch alles moralisch und anständig vonstatten ging, (manchmal sangen auch Freundinnen auf meinen Electro-Tracks), kommentierte sie die Musik, als „zu dissonant“ und „zu laut“. Sie hörte und spielte halt hauptsächlich BEETHOVEN auf ihrem Klavier. TODD WINSTON (eigentlich THORSTEN EICHHORST) kam zu den ersten Kellersessions dazu und bildete dann später mit mir das Duo Iseloh. Später war er dann Keyboarder von Prussia, machte aber parallel eine Fotografie-Ausbildung und arbeitet seitdem als freier Fotograf und Filmemacher. Bis heute ist er ein enger Freund und Wegbegleiter. Und natürlich hat er auch sämtliche Fotos in Glasgow für Coming Home geknipst sowie auch bei drei der neuen Songs Keyboard gespielt. Übrigens, wo wir gerade bei meiner Oma waren; für den Prussia-Song „Dying Mother Of 16 Sickly Kids“ diente ihre Biografie ein wenig für die Textidee einer starken Frau und Mutter von vier Töchtern, die zwei Weltkriege überlebt hat und in den 30er Jahren vor den Dumpfbacken der NSDAP gewarnt hat. In dem Song natürlich alles künstlerisch überspitzt.

Meinst du junge Bands haben es heute leichter?
Das muss man, glaub ich, differenziert betrachten: Musiker, Bands, Producer, die mit wenig Herzblut und Experimentierfreude auf das Wiederkäuen der ewig gleichen Top 10 setzen, um berühmt zu werden und auf möglichst viel Kapital aus minimalem Aufwand, haben es auf den ersten Blick wesentlich leichter. Diese Art Künstler propagieren auch Plattformen wie Spotify. Wenn bereits jetzt 95% der Zeit und Energie darauf verwendet wird, drei- bis viermal am Tag auf Instagram, Tiktok, etc. mit schicken Filtern Belangloses zu posten, kann der kreative musikalische Anteil nur noch 5% betragen, sicherlich durch KI nochmal verkleinert.
Hingegen erschwert sich die Situation für Bands und Musiker, die tatsächlich einen eigenen Sound entwickeln, vielleicht auch Ecken und Kanten haben und sich für ein Album entsprechend Zeit lassen. Hier gibt es wohl seitens der Industrie und auch von größeren Indie-Labels kaum noch große Vorschüsse für Produktion und Aufbau einer jungen Band im Vergleich zu früher. Hier sollen sich die Bands selbst eine Fanbase aufbauen, koste es was es wolle, anstatt Zeit und Liebe erst einmal in ihre Musik zu investieren.
Als ich Ende der 80er Jahre mein Label Kitchen Records gründete, ging es mir in erster Linie um absolute Freiheit für Kreativität und Bandentwicklung und so weiter. Zu diesem Zeitpunkt machten wir ja bereits erste Erfahrungen mit der Industrie, die permanent viel versprach, alles „super international“ fand und Großes mit uns vorhatte. Aber der Spirit of Postpunk und der unbändige Wille, unabhängig zu bleiben, machte es auch für meine Verhandlungspartner nicht leicht auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen.
Ein Lichtblick in letzter Zeit war für mich BILLIE EILISH, deren Songs ich ab und zu mit meiner Tochter gemeinsam höre.

Back To Komo ist jetzt 15 Jahre her. Warum hat ein neues Album so auf sich warten lassen?
Es gab fast jährlich neue TIBURSKY-Singles und -EPs , aber halt nur als Download- oder Streaming-Format. Ich fühle mich zur Zeit in der Mitte zweier Lager der Musikbranche: Für die einen ist es finanziell und vom Aufwand her der totale Wahnsinn, in diesen Zeiten noch CDs und Vinyls herstellen zu lassen, einen physischen Vertrieb zu finden usw. Für die anderen zählt ein Album oder eine EP erst, wenn sie auf einen physischen Tonträger gepresst und bei der Phononet als amtliche Veröffentlichung deklariert wurden. Ich verstehe beide Seiten, aber im Album Coming Home steckte soviel Herzblut, Melancholie und Lebensfreude, dass ich keinen Aufwand scheuen wollte, um es als Vinyl oder CD später in den Händen halten zu können. Außerdem produziere ich auch seit 2019 jedes Jahr die Musik für das Kindermusiktheater Buntspecht in Potsdam zusammen mit der Komponistin Vaile Fuchs.

Auf der Single “Let The People Dance” ist auch die Berliner Indie-Lady KITTY SOLARIS zu hören. Wie kam es zu dem Feature?
Ich lernte Kitty in ihrem zweiten Zuhause, dem Club „Schokoladen“ kennen. Ich war öfter bei ihrer Konzertreihe „Lofi-Lounge“ mit interessanten neuen Bands und Künstlern. Ab und zu hat sie auch selber gespielt. In der Coronazeit, als nichts mehr ging, war sie mit BOBO IN WHITE WOODEN HOUSES, HERBST IN PEKING und IRIS ROMEN die erste, die sofort mit Begeisterung bei meiner Sampler-Idee Ghost City Berlin dabei war und auch bei der Promo half.
Als Coming Home schon komplett fertig gemixt und gemastert war, kam mir plötzlich noch eine kleine Idee am Piano für „Let The People Dance“. Nach kurzem Telefonat schickte mir John den kompletten Text aus England. Im Laufe der spontanen Produktion musste ich an einer Stelle an Kittys Stimme denken und hab sie angerufen. Kurz darauf kam sie vorbei und alles war im Kasten. Eine sehr schöne, spontane Zusammenarbeit. So kam der Song noch aufs Album und wurde zuvor als Single veröffentlicht.
Auch unser ehemaliger Gitarrist Wilhelm kam zweimal aus der Schweiz, wo er seit Jahren lebt, nach Berlin und spielte bei drei oder vier Songs auf dem Album. Das Booklet hat übrigens Florian Karg in Wien für Vinyl und CD gemacht. Er hat auch schon das Artwork für das Album Back To Komo und den Ghost City Berlin-Sampler angefertigt. Es freut mich immer sehr, mit ihm zusammen zu arbeiten.

 

www.tibursky.com

Foto © Thorsten Eichhorst

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