Sieh mal einer an: TIM ARMSTRONG kann überraschen. Er, der normalerweise mit heiser-sympathischer Stimme in der ersten Reihe der kalifornischen Punks RANCID steht, beschreitet Solopfade. Er tut es damit seinem RANCID-Kumpanen LARS FREDERIKSEN gleich, der bereits zwei Soloalben veröffentlicht hat. Mit RANCID haben die Beiden in den 90ern den Punkrock stilistisch auf ein neues Level gehoben. Ihr Konzept: Coolness, brüllende Ohrwürmer und gute Preise. Genau das schafft Mr. ARMSTRONG nun auch auf seine Weise.
Unterstützung findet er bei den AGGROLITES und wechselt, statt wie FREDERIKSEN ein weiteres Punkprojekt aus dem Boden zu stampfen, auf Ska und Reggae um. Die konnten, ebenfalls aus Kalifornien stammend, mit ihrem diesjährigen Album ihre Stellung als Profis in diesem Genre untermauern.
Auf A Poet’s Life hat ARMSTRONG endlich Zeit, auf sein hitziges Leben zurück zu blicken. Drückten RANCID schon immer eher das Lebensgefühl der US-Punks als deren politische Forderungen aus, schafft dies auch ARMSTRONG von seinem speziellen Standpunkt.
Mit dem fröhlichen Opener ‚Wake Up‘ macht er klar, woher der Wind jetzt weht. Relaxt und mit entspannten Vibes rüttelt er den Hörer auf. Echos und Beats schallen beschwingt und Ohrwurm verursachend durch den Raum. Message: „Komm schon, ist doch alles nicht so schlimm.“
Die Single ‚Into Action‘ macht mit Saxophon, weiblichen Duettpartner und antreibenden Drums den vollen Ska aus. Es ist das wohl prolligste Stück mit jeder Menge „Respect“-Verteilungen. Es passt hervorragend zu dem großen Extra der CD: eine DVD (siehe unten).
Neben der ungewöhnlich loungigen Kriegskritik ‚Inner City Violence‘, sticht auch das süßliche Reggae-Stück ‚Lady Demeter‘ mit Mundharmonika und simplen Lyrics hervor. „Oh Baby, I love you. Yes, it’s true.“ – Es ist erstaunlich. Wenn ARMSTRONG solch profan-poppige Zeilen singt, sind sie cool und glaubhaft.
Nach gut einer halben Stunde bester Unterhaltung kann man ARMSTRONGS neues Album verstehen. Egal ob der Vergleich hinkt, man hat in seinen Texten ein wenig von RIO REISER vor sich, der nach den harten Jahren bei TON, STEIN UND SCHERBEN auch das Bedürfnis verspürte, sein Leben auf ganz andere Art zu reflektieren. Die beiden eint die große Erfahrung, die man in ihrem „Spätwerk“ spürt.
Was ARMSTRONG betrifft, hatte er schon auf RANCIDS letzten Album Indestructible einen Ausflug zum Reggae gewagt. Von ‚Arrested In Shanghai‘ kam er sicher so begeistert zurück, dass er beschloss, mehr davon zu schreiben. Es ist ihm gelungen, und mit zehn Euro ein wahres Schnäppchen, plus: „That’s what happens when your life goes wrong: I got nothing but truth in my song.“ (‚Translator‘).
TIM ARMSTRONG hat sich die Mühe gemacht zu jedem Song ein Video zu drehen. In Deutschland heißt das: 10 Songs (CD) + 10 Videos (DVD) für 10 Euro. Ein jedes Video ist einer anderen Stadt gewidmet, was ARMSTRONGS Stellung in den USA deutlich machen soll. Das Ganze ist wie das Cover des Albums im stil-bewussten Schwarz-Weiß gehalten. Die Optik erinnert trotz all der Punker seltsamerweise doch sehr an die von HipHop-Videos: fette Karren, tanzende Frauen, wild gestikulierende Hände und die Großstadt. Da fragt sich der Betrachter, ob das ironische Betrachtung auf den amerikanischen Kapitalismus sein soll oder der Punk ARMSTRONG schließlich sein Leben doch dem Geld unterworfen hat. Beides ist allerdings fraglich.
TIM ARMSTRONG
A Poet’s Life
(Hellcat Records/ SPV)
VÖ: 28.5.2007
www.ratsinthehallway.com
www.myspace.com/timarmstrongpoetslife
www.rancidrancid.com