Eine Waldhütte mitten in Berlin.
Beim ersten Schritt in den Schokoladen, wo für heute die Songwriterinnen TINY VIPERS und PIKELET angesagt sind, ist klar, dass Luft und Platz an diesem Abend nicht im Überfluss vorhanden sein werden.
Es dauert nicht lange, da hängen die „Sold Out“-Plakate an den Türen, und ein schwitzendes Publikum beobachtet eine kleine Frau mit bunten Ringelstrümpfen, die inzwischen auf der Bühne ihre Musik präsentiert. Es ist PIKELET aus Australien, die umrankt von diversen Instrumenten in Multitasking-Manier erstaunliche Songs irgendwo zwischen Folk, Ambient und Psychedelic fabriziert. Auffallend ist ihre hohe, exaltierte Stimme, und zusammen mit Keyboard, Trommel, Kastagnetten, Xylophon und Loop- Pedal moduliert sie daraus Klänge, die nicht nur wegen dem auf der Trommel abgelegten bunten Strickpullunder und Pikelets kindlicher Erscheinung an einen Jahrmarkt erinnern. Diese schräge, verrückte Lebendigkeit, in der zwar oft eine gewisse Melancholie mitschwingt, die sich aber spätestens in den verschmitzten Augen des ihr zeitweise zur Hilfe tretenden Melodicaspielers auch wieder verliert.
Anders bei Jesy Fortino alias TINY VIPERS. Unmerklich schleicht diese sich kurze Zeit später in beigem Pullover, schmutziger Hose und groben Schuhen auf die Bühne, und das kitschige Dekor des Schokoladen erscheint so konträr zu dem schüchternen Mädchen, das jetzt ihre Akustikgitarre in die Hände nimmt.
Nur aus einem repetitiven Gitarrenspiel und ihrer tiefen, gleichzeitig auch immer fragilen Stimme beginnt sie, Szenarien zu konzipieren, die uns aus den schweißtreibenden Reihen des stickigen Clubs entheben: man tue es Jesy Fortino gleich und schließe die Augen – eine Hütte tief im Wald an einem verregneten Tag, das ist der Ort, an den sie uns führt. Bis uns ein klebriges Aneinanderstoßen mit dem Arm des Nachbarn wieder in die Realität zurückholt. Doch auch in dieser sind ihre traurigen, langen Akustikstücke nicht weniger schön. Sie gewähren uns flüchtige Blicke auf einen Kummer, der unter den Schatten ihrer stets geschlossenen Lider verborgen scheint.
Schließlich erklingen die Töne ihres wohl bekanntesten Liedes, und jede nebulöse Andeutung von Traurigkeit weicht einer Welt, in welcher Angst und Verwirrung in Verzweiflung kulminieren. Es wird deutlich: TINY VIPERS muss sich keines großen musikalischen Beiwerks bedienen, um ihrer Schwermut Nachdruck zu verleihen. „I’m dying for a way out“ fleht sie in der Endstrophe, sucht damit in der Bloßstellung ihres Leidens uns und hierdurch unsere Betroffenheit heim.
Welche Wirkung sie auf das Publikum ausübt, merkt die Dame scheinbar erst jetzt auch selbst. So ist es bestimmt nicht nur der hinunter rinnende Schweiß, der sie dazu bringt, das erste Mal den Blick zu heben und die Augen in Richtung des Publikums zu richten. Hervorgerufenes Lob entlockt ihr gar ein zaghaftes Lächeln. TINY VIPERS bedeutet Angst und Kummer, doch auch keine komplette Resignation. Vielleicht besteht ja doch noch ein kleiner Funken Hoffnung.
www.myspace.com/tinyvipersss
http://www.subpop.com/artists/tiny_vipers
www.myspace.com/ovalyn
Autor: [EMAIL=lisa.forster@popmonitor.de?Subject=Kontakt von der Website]Lisa Forster[/EMAIL]