24 Jahre im Musikgeschäft und immer noch neue Ideen. Mit Die Unendlichkeit veröffentlichen TOCOTRONIC ihr zwölftes Album, eine Biografie über das, was war, was ist, was sein wird. Ein Gespräch mit Schlagzeuger ARNE ZANK und Gitarrist RICK MCPHAIL über den Entstehungsprozess des Albums und die Highlights der Bandgeschichte…
Interview: Julia König
1993 ist das Gründungsjahr der Band. Erinnert ihr euch, wie ihr euch getroffen habt?
ARNE: Wir haben zu dritt angefangen, das war ’ne wilde Zeit. Jan und ich kennen uns aus der Schule noch und haben zusammen in Punk-Bands gespielt. Dirk hat Jan an der Uni beim Jura studieren kennen gelernt. Dann hat er uns vorgestellt und dann haben wir 93 angefangen.
Die Unendlichkeit ist ein Konzept-Album…
ARNE: Dirk (von Lowtzow, Anm. d. Red.) schreibt ja die Lieder und nimmt sich dazu immer so Themen vor. Diesmal hatte er Lust, eine Art Biografie zu schreiben.
In Form von Musik statt als Buch…
ARNE: Genau, so dass man sich die Aufgabe stellt, zu einem bestimmten Thema einen Song zu schreiben.
Ihr habt wieder bei Moses Schneider zusammengearbeitet…
ARNE: …und schon zum sechsten Mal.
RICK: Die letzte Platte hatten wir mehr als Studioalbum gemacht, für „Die Unendlichkeit“ haben wir haben viel bei Moses, aber auch bei Gästen aufgenommen, die Gitarren viel bei mir im Studio.
ARNE: Den Anfang haben Dirk und ich mit Schlagzeug und Gitarre gemacht. Wir hatten diesmal etwas Zeit, und dann ist das Album über einen längeren Zeitraum entstanden.
RICK: Mal hier was machen, mal da – es ist nicht mehr so teuer, über anderthalb Jahre ein Album aufzunehmen.
Die Platte ist ja auch neben der biografischen Geschichte auch ein Potpourri der Musikgeschichte. Welche Musik hat euch besonders beeinflusst?
ARNE: Das sind dann auch so Bands, die man früher viel gehört hat, Beatles, Bowie, Prefab Sprout , Hüsker Dü. „Mein Morgen“ ist bei David Bowie abgekupfert. Das war ein Suchen, aus welcher Zeit das Stück gerade erzählt.
Wie kam es zum Album-Titel Die Unendlichkeit?
ARNE: Der Titel war noch nicht so klar. Das erste Stück beschreibt ganz gut das Interesse, dass man beim Schreiben einer Autobiografie nicht zu nostalgisch wird, sondern die gegenwärtige Erzählposition klar macht und darüber hinaus zum Zweck der Befreiung von sich selbstr einen Rückblick wagt und dadurch nach vorne gucken kann. In die Unendlichkeit hinein. Die Blickrichtung ist wichtig, nicht nur die alten schönen Zeiten.
RICK: Man ist nur ein Stück „dust in the wind!“…
Auf dem Album geht es ja auch um Berlin. Wie kam es , dass ihr nach Berlin gezogen seid?
ARNE: Stimmt gar nicht, RICK hält die Stellung in Hamburg. Zuerst ist Dirk nach Berlin gezogen, dann Jan. Ich war der letzte, der vor 2 Jahren nach Berlin gezogen ist.
RICK: Hamburg und Berlin, das ist ja nicht so weit.
Was mögt ihr an der Stadt?
ARNE: Die höfliche zuvorkommende Art. Ich wohne in Neukölln – eine schöne Mischung aus Verrückten, Beknackten und Spinnern aus aller Herren Ländern. Ich mag’s gern.
RICK: Hier gibt es viel mehr Halloumi!
ARNE: Gute israelische Küche.
Und da willst du trotzdem in Hamburg wohnen bleiben?
RICK: Erst mal schon!
Zurück nach Maine in den USA zieht es dich nicht?
Nee, ich hab hier meinen Sohn und meine Freundin und meinen Job. Aber manchmal vermisse ich Amerika. Ich war in den Ferien da, das war der beste Sommer, den ich seit langem hatte. Ich vermisse die Menschen dort. Hier in Deutschland wird man anders erzogen, man kann auch mal pampig und schlecht gelaunt sein. Bei den Amis sagen die Leuten, es ist Fake, weil die Trinkgeld kriegen wollen. Das ist nicht der Fall, das ist die Sozialisation.
Was waren eure Highlights in eurer Bandgeschichte?
ARNE: Für kurze Zeit gab es auf RTL „Top Of The Pops“, wo Mainstream-Charts-Hits performt wurden, playback oder, damals angesagt, auch live. Das Produktionsteam war beleidigt, dass wir Playback machen wollten, doch wir spielten das erste Mal im Leben playback – und wechselten die Instrumente. Die Aftershow-Party war lustig: Ich war sehr betrunken und weiß nur noch, wie der Türsteher mich am Ende gewürgt hat. Am Ende sind wir besoffen zur Ausstellung eines befreundeten Künstlers in Köln gefahren und haben uns von außen die Ausstellung angeguckt. Dort stand „work is a four-letter word“. Das war die Entschuldigung, der Trost für den Tag.
Gibt es Clubs oder Städte, wo ihr besonders gern spielt?
ARNE (ruft): Gleich, wir mögen sie alle gleich gern!
RICK (lacht): Wir lieben sie alle. Chicago, Philly, Detroit!
Tatsächlich seid ihr ja mal in den USA getourt…
RICK: Das war vor meiner Zeit.
ARNE: Ja, das war 1998 mit einer befreundeten Band namens FUCK!
RICK (lacht): Auch ein four-letter word!
ARNE: Die hatten uns in Deutschland supportet, und wir haben uns angefreundet. Sie haben gesagt: „Wenn ihr wollt, könnt ihr mal mitkommen. Aber es ist nicht so schön wie bei euch auf Tour.“ Die haben uns sehr gewarnt, aber es war trotzdem herrlich. Es war natürlich total anstrengend, weil alles auf Indie-Level lief, wir also nach dem Auftritt auf der Bühne schlafen oder privat Leute anbetteln mussten, um bei ihnen zu pennen. Aber es war eine sehr spannende Zeit.
RICK: Ich habe auch letzten Sommer jemanden getroffen, der erzählt hat, das er auf dem Portsmouth-Konzert der Tocos in New Hampshire war.
ARNE (ruft): Das hast du noch gar nicht erzählt!
RICK (lacht): Da waren wahrscheinlich nur zehn Leute.
ARNE: Ich fand interessant zu sehen, wie gut man es in Europa als Musiker hat, wo einem grundsätzlich Respekt entgegen gebracht wird. In Amerika waren es jeden Abend fünf Bands; es gibt viel zu viele davon.
RICK (nickt): Overkill.
ARNE: Als man erschöpft aber euphorisch nach Hause kam, wusste man schon, was man daran hat, dass man hier einen ganz guten Stand hat und halbwegs bequem seine Konzertreisen machen kann.
Was gefällt euch gerade in der Musikszene in Deutschland?
RICK: Letztens habe ich angefangen, mit einer Band namens Switcher aufzunehmen, und ich war überrascht, wie viel so junge Leute trinken können. Und kürzlich habe ich die Sick Hyenas gesehen, eine Band mit Sixties-Einschlag – ganz schön psychedelisch.
ARNE: Dann gibt es noch Die Nerven, Karies, die ganze Stuttgarter Szene.
Ihr seid ja auch in einem Video von Die Nerven zu sehen…
ARNE: Ja, da haben wir mitgespielt, das war in etwa das Gegenteil des New-Order-Videos zu „Crystal“, wo sie eine junge hübsche Band angeheuert haben. Bei den Nerven war es umgekehrt, da waren wir die alten Knacker.
TOCOTRONIC
Die Unendlichkeit
(Vertigo Berlin / Universal)
VÖ: 26.01.2018