[B]Endlich ist es da, das siebente Album einer der wichtigsten deutschen Bands der Neunziger, ja, einer ganzen, nämlich meiner Generation.[/B]
Eine Neuigkeit gibt es angesichts der Veröffentlichung zu berichten: Der einst von Tomte besungene RICK McPHAIL, bereits seit einiger Zeit bei TOCOTRONIC-Konzerten als Keyboarder und zweiter Gitarrist eine feste Größe, hat an der neuen Platte mitgearbeitet und ist jetzt offizielles Bandmitglied.
Im Gegensatz zum Vorgänger [I]Tocotronic[/I], an dem DIRK VON LOWTZOW, JAN MÜLLER und ARNE ZANK über ein Jahr gearbeitet hatten, wurde der Großteil von [I]Pure Vernunft darf niemals siegen[/I] in nur vierzehn Studiotagen, neun im Kreuzberger Mamasweed- und fünf im altbewährten Soundgarden-Studio in Hamburg, aufgenommen. Auch beim Produzieren wurde von Tobias Levin zum Beatsteaks-Produzenten Moses Schneider gewechselt. Das Ergebnis ist zwar keine Rockplatte im Stile der Berliner 2004-Abräumer, aber etwas rauer als die des Vorgängers klingen die dreizehn neuen Songs durchaus.
Textlich ist [I]Pure Vernunft darf niemals siegen[/I] deutlicher und in gewisser Weise agitatorischer geworden. DIRK VON LOWTZOW verneint den Pragmatismus gleich in mehreren Texten, am deutlichsten aber im Titelstück. „Pure Vernunft darf niemals siegen, wir brauchen dringend neue Lügen“ heißt es da und wird von einem fast schon wahnsinnig klingenden „lalalalalalalalalalalalalalalalala“ im Refrain bekräftigt. Musikalisch kommt der Song im Krautrock-Gewand daher und geht unheimlich nach vorn – mindestens ein Live-Hit.
Auch die erste Single ‚Aber hier leben, nein danke‘ hat mit ihrer einprägsamen Melodie und dem prägnanten Bassspiel eindeutig Hitqualität. Hervorzuheben ist auch noch ‚Gegen den Strich‘, das neben der Toco-typischen aber immer wieder schönen Melodieführung mit dem Oscar Wilde-Zitat „talent borrows, genius steals“ sowie dem Aufruf „Völker! Auf zum Gefecht! Die Illusion wird Menschenrecht“ auch textlich in sich hat.
Natürlich hat [I]Pure Vernunft darf niemals siegen[/I] auch einige ruhige Momente. Da wären zum Beispiel die wunderbar melancholischen Titel ‚Angel‘ und ‚Ich habe Stimmen gehört‘. Beide mit einer unglaublich präsenten Stimme DIRK VON LOWTZOWs.
Einen kleinen Kritikpunkt aber doch noch: Der einzige englischsprachige Song des Albums ‚cheers for fears‘ passt eigentlich eher auf ein Phantom/Ghost-Album. Auch ist, das Wortspiel in allen Ehren, der Text eher belanglos.
Trotzdem: [I]Pure Vernunft darf niemals siegen[/I] ist schon jetzt eines der Highlights dieses Jahres – ein tolles, interessantes, cleveres, eben ein TOCOTRONIC-Album.
TOCOTRONIC
[I]Pure Vernunft darf niemals siegen[/I]
(L’AGE D’OR/ Rough Trade)
VÖ: 17.01.2005