„Does the music make you wonder? Does it make you ask?“
YELLOW SNOW (‚Take Me For A Ride‘)
Grunge? Das ist doch NIRVANA-Sound aus Seattle. Das weiß jeder Rockfan im Teenager-Alter. Wer jedoch versucht, auch Bands außerhalb dieser Stadt auf Wikipedia unter dieser Rubrik unterzubringen, hat es schwer. Dabei könnte jeder, der einmal das erste Album Core von den STONE TEMPLE PILOTS gehört hat, es besser wissen. Als der Musiker und Produzent BRIAN ENO 1978 No New York zusammenstellte, erschloss er für die Masse die NoWave-Szene. Und selbiges versucht nun Musikhistoriker Nick Soulsby mit No Seattle für all jene Grunger der 80er und 90er außerhalb der Metropole.
PEARL JAM, SOUNDGARDEN und ALICE IN CHAINS waren nicht die einzigen, die unzufrieden waren mit der damaligen Rocklandschaft. Die Heavy-Metal-Götter und Punk-Snobs aus den Charts konnten die damalige Jugend immer weniger mitreißen. Entsprechend entwickelten sich im weiten Bundesstaat Washington bekanntlich zwei Fraktionen, die den US-Hardrock erneuern wollten: Punker und Metaller. Auf der vorliegenden Compilation sind hier ausgeglichen 23 Bands mit 28 Songs ausgewählt worden.
Dass es sich dennoch tatsächlich um eine Szene handelte und nicht, wie oft behauptet, um eine reine Label-Erfindung der Musikindustrie, zeigt die dichte Vernetzung mit NIRVANA: Jede dieser Bands spielte irgendwann mal mit den Stars um KURT COBAIN oder zumindest ein Mitglied. Die NIRVANA-Drummer AARON BURCKHARD, DAN PETERS und DAVE FOSTER erscheinen hier in ihren Combos ATTICA, BUNDLE OF HISS bzw. HELLTROUT. THRILLHAMMER mit den Songs ‚Alice’s Place‘ und ‚Debbie Had A Dream‘ sind dem NIRVANA-Sound am nähesten und JACK ENDINO von THE ONES produzierte 37 NIRVANA-Songs.
Über die damalige alternative Rockszene erfährt der Hörer einiges aus einem reich bebilderten Booklet und nicht zuletzt über die zwei CDs, bzw. vier LPs. Kaum eine der vorgestellten Acts kam je beim Label Sub Pop unter Vertrag. Dafür tauchen hier auch Boy-/Girlbands wie STARFISH und Mädchenbands wie KILL SYBIL und SHUG auf. Man bekommt eine achtminütige Bassarbeit namens ‚123‘ von POD und ein fieses Industrial-Instrumental mit den typischen Überschallgitarren von HITTING BIRTH (‚Same 18‘) zu hören. Während etwa MEDELICIOUS und NUBBIN den heute gebräuchlichen Grungerock mitentwickelten, gibt es coolen Indie von YELLOW SNOW oder SMALL STARS und 80er-Hardcore-Punk von den VAMPIRE LEZBOZ.
Deutlich wird: Grunge war im besten Sinne immer Bewegungsmusik – die gemeinsame Suche nach alternativem Ausdruck von Wut und Ausbruch aus sinnentleertem Leben. In einem Underground-Hit forderten MY NAME eine ‚Voice Of A Generation Gap‘ ein, die dann COBAIN wurde. Mit ihm starb 1994 diese Hoffnung und machte Platz für Pop-Punk, Brit Pop und Nu Metal.
Various Artists
No Seattle. Forgotten Sounds Of the North-West Grunge Era 1986-97
(Soul Jazz Records/Indigo)
VÖ: 12.09.14