Manche Debatten sind so öde, dass man sich ihnen lang nicht stellen mag. Doch wenn sie kein Ende nehmen, muss man sich wohl oder übel doch beteiligen. Nun denn – Die Veranstalter des Festivals „Alpen Flair“, das vom 20. bis zum 23. Juni auf dem Ex-Nato-Gelände im südtirolischen Natz stattfand, warben mit „Charakter“ für eine bizarre Mischung: Neben Acts wie DORO, EISBRECHER und LETZTE INSTANZ fanden sich auch HEINO, GUNTHER GABRIEL und FREI.WILD ein. Wer diese Kombi für einen spaßigen Unfall hält, liegt falsch.
Mit etwa 18 Jahren entwickelt sich bei jungen Menschen aus einem diffusen Werte-Gemisch von Eltern, Freunden und Umfeld langsam eine politische Einstellung. Musik schafft es, sowohl Werte als auch konkrete Parolen für sie in Worte zu fassen. So lehnten in den 1950er Jahren Jugendliche die Welt der Erwachsenen und ihre Musik (Klassik, Volksmusik, Schlager) nicht ohne Grund ab. In Familien und Schulen gehörten Unterdrückung und Schläge noch immer zur Erziehung. In Erziehungsheimen waren sie Alltag, genau wie sexueller Missbrauch. Zudem hatten ihre Eltern den Krieg geführt, in dessen elenden Folgen sie nun lebten. Kein Wunder, dass der Rock’n’Roll zur Initialzündung jugendlicher Rebellion wurde. Die klare Verbindung von Rock und Revolte hielt bis in die 1980er, als sich auf den Rockkonzerten der DDR die Oppositionellen sammelten.
Doch schon in den 1950ern versuchten manche Schlagersänger wie PETER ALEXANDER oder TED HEROLD sich Rock’n’Roll anzueignen. Heutzutage steht dafür etwa ANDREAS GABALIER.
In den 1980ern formierte sich unter manchen Skinheads auf einmal dezidiert rechte Rockmusik. Oi, Deutsch- und Rechtsrock bildete für manche Szenen nun das Kontrastprogramm. Im Pop angekommen, war Rock sinnentleert und damit offen für alles. Keine Band symbolisiert diesen Zwiespalt so gut wie die BÖHSEN ONKELZ, die, aus der rechten Szene stammend, sowohl gegen Punk als auch gegen Pop ansang. Die Kult-Deutschrock-Band löste sich 2005 auf und hinterließ einen verwaisten Thron, den FREI.WILD aus Südtirol mit ihrem angepunkten Deutschrock perfekt ausfüllen.
Man mag es Kalkül nennen, dass manche Produzenten und Labels für ein bestimmtes Publikum nach einer bestimmten Band suchen: Der FREI.WILD-Sänger PHILIPP BURGER stammt aus der Rechtsrockband KAISERJÄGER und war bis 2008 Mitglied der rechten Partei „Die Freiheitlichen“. – „Alles Jugendsünden“ ist seine Meinung dazu und die kommt gut an. Seine Band distanziert sich in Songs sowohl von „Faschisten, National-Sozialisten“ (‚Wahre Werte‘) als auch von Anarchisten (‚Das Land Der Vollidioten‘). Nein, Neonazis sind FREI.WILD natürlich nicht, sondern schlicht Konservative: Sie berufen sich auf „Sprache, Brauchtum und Glaube“ als „Werte der Heimat“ und „Heimat heißt Volk, Tradition und Sprache“ (‚Wahre Werte‘) – Eine Formulierung, die man sich auf der Zunge zergehen lassen muss. Denn FREI.WILD erkennen in der deutschsprachigen Mehrheit in Südtirol eben keine Italiener, sondern ein „kleines Volk“. Darum reklamieren sie den Landstrich (‚Südtirol‘) für sich. Es ist kein Generationen- oder gar sozialer Konflikt, sondern ein nationaler Konflikt.
Nun kann man über „Nationen“ und „Völker“, für die im 19. und 20. Jahrhundert Millionen Menschen starben, nicht objektiv (als „Wahrheit“) reden. Diese Leichengebirge lassen sich nicht mit guter Stimmung wegfeiern. Dass „Patriotismus“ nicht diskriminierungslos zu haben ist, betont die Band selbst („Wann hört ihr auf, eure Heimat zu hassen? Wenn ihr euch ihrer schämt, dann könnt ihr sie doch verlassen!“). Aber FREI.WILD haben clevererweise entsprechende Kritik zu ihrem Hauptwerbeträger erkoren: Journalisten werden abgewatscht (‚Schlagzeile Groß, Hirn Zu Klein‘) und als die Band dieses Jahr zum Echo nominiert wurde, reagierten zum Beispiel MIA., die selbst mal wegen Deutschbekenntnissen (‚Was Es Ist‘) kritisiert wurden, mit Protest. Die FREI.WILD-Fans eröffneten daraufhin einen Shit-Storm auf der Facebook-Seite der britischen Sängerin M.I.A. Auch witzig: Die Naziband STAHLGEWITTER warf im Mai FREI.WILD vor, sich bei einem ihrer Songs bedient zu haben (‚Schenkt uns Dummheit, kein Niveau‘).
Die rechte Postille, die schon FREI.WILD beklatschte, veröffentlichte einen Monat später ein Interview mit GUNTHER GABRIEL, der sich zwischen Country und Schlager bewegt. Ein größerer Star ist sicherlich Heimatmusik-Guru HEINO, der auch schon die Schönheit Tirols pries (‚Kufsteinlied‘). Über sein ‚Schwarzbraun Ist Die Haselnuss‘ machte sich schon Otto Waalkes wegen der NS-Vergangenheit dieses Liedes lustig. HEINO brachte sich in diesem Jahr durch ein Cover-Album ins Gerede, das auch Rocksongs durch die Mangel nimmt und das er in einer konservativen Zeitung mit einem Hitler-Zitat umwarb. Als sein Support fungiert dieses Jahr KNORKATOR, die 2002 als HIGH MUD LEADER quasi von der anderen Richtung her, Volksmusik parodierten. Mit DORO, EISBRECHER und MATTHIAS RÖHR (BÖHSE ONKELZ), der ebenfalls auf dem „Alpen Flair“ zu Gast war, haben FREI.WILD schon 2011 zusammen gespielt.
Kam auf dem „Alpen Flair“ mit seinen 10.000 Gästen also doch zusammen, was zusammen gehört? Bei manchen Acts wohl auf politischer Ebene, bei anderen nicht. Dazu tritt eine Jugend, die ihre musikalischen Traditionen nicht kennt und eine Szene, die sich, patriotisch eingelullt, vor lauter Witzigkeit des Tabubruchs selbst vergisst.