Berliner Tradition: Mit Musik in den Mai

1. Mai Berlin

Im nächsten Jahr wird die meistgehasste Demonstration Deutschlands 30 Jahre alt. Selbst Pegida wird von Staat und Bevölkerung mehr akzeptiert als sie. Die diesjährige Sensation war wohl, dass sie überhaupt mit rund 15.000 Teilnehmern stattfand. Sie ist eben ein feststehendes Berliner Ritual aus Musik und Protest: die „revolutionäre“ 1.-Mai-Demo. Was hatte man alles unternommen, um sie zu verhindern:

Aus einem traditionellen lokalen Straßenfest wurde 2003 das „Myfest“ entwickelt, eigens um den Andrang zur Demo zu verhindern. 2015 hatte jedoch ein Anwohner gegen dieses Fest geklagt, woraufhin die Demo-Organisatoren selbstbewusst durch das Gelände um den Kottbusser Tor laufen wollten. Dann konnte das Myfest gerettet werden und die Polizei schlug eine Demoroute vor, die erstmals nicht durch Kreuzberg sondern eher durch Neukölln laufen sollte. Diese wurde noch in der letzten Aprilwoche gerichtlich bestätigt. Ein Glasflaschenverbot wurde zusätzlich eingerichtet.

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Musik war verständlicherweise immer Teil dieser Bewegung. Sie sorgte für die Erhitzung der Gemüter und viele Künstler profitierten von der Härte des Events. In den 90ern gaben Deutschpunk (DRITTE WAHL, SCHLEIMKEIM, SLIME, DIE SKEPTIKER) und Hardcore (AGNOSTIC FRONT, BLACK FLAG, SICK OF IT ALL) den Ton an, gerade im Umfeld des legendären Punkclubs SO36. In den 2000ern kamen Politrap (HOLGER BURNER, ALBINO, SOOKEE) und Elektro (Techno, Minimal) hinzu. Ab Ende der 2000er wird auch zur Unterhaltung 80er-/90er-Pop-Trash gespielt.

Verhängnisvoll in diesem Jahr: Sowohl die HipHop-Bühne (PRINZ PORNO, B-LASH) am Oranienplatz wie auch die Coretex-Bühne (OF THE HOOK, DIE DORKS) am Görlitzer Park gehörten räumlich zum Myfest-Bespaßungsprogramm. Sonst heizte die Coretex-Bühne mit Hardcore und Ska oft die Demo-Situation am „Görli“ auf. Entsprechend waren die Aktivisten um so mehr auf ihre „Lautiwagen“ angewiesen, die diesmal vom Moritzplatz losfahren mussten. Damit war sie fern der Kreuzberger Bevölkerung. Entsprechend kam dieses Mal von den Häusern kein Zuspruch in Form von Fahnen und Klatschen, wohl aber von einer der letzten Überlebenden der großen Hausbesetzerzeit (1987-1990), der Köpi – Spielort unzähliger Punk-Konzerte.

Wie in jedem Jahr schwirrten auch die Reporter-Massen durch’s Geschehen, um je nach Standpunkt möglichst viel Demo- oder Polizeigewalt festzuhalten. Den Fakt, dass sich hier alljährlich zehntausende Bürger gegen das Wirtschaftssystem aussprechen, wird von den Medien stets auf abenteuerlustige Jugendliche reduziert. Doch durch ihre Action-Bilder locken sie genau diese immer wieder neu an. So bleibt auch dieses musikalische Ereignis bestehen.

Fotos © Conrad Wilitzki

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