BILLY BRAGG am 16.04.2008 in der Passionskirche


Stop talking… sing!



Einer der wichtigsten und einflussreichsten britischen Singer/Songwriter der vergangenen 25 Jahre lud am 16.04.08 zum intimen Konzert im wundervollen, feierlichen Ambiente in der ausverkauften Kreuzberger Passionskirche und sollte nicht nur im Verbund mit seiner (überwiegend) E-Gitarre, sondern auch zwischendurch immer wieder als sympathischer, ungemein beredter Geschichtenerzähler für einen wahrlich unterhaltsamen Abend sorgen.
Sicherlich sorgte das ungewöhnliche, gleichwohl für diesen Soloauftritt hervorragend passende Kirchenambiente für diverse Steilvorlagen in Sachen humorvoller Verbaleinschübe zwischen den Songs, allerdings stellte diese Location auch nicht wirklich Neuland für BILLY BRAGG dar, hatte er doch bei Benefiz-Konzerten zugunsten Strafgefangener bzw. deren leichterer Eingliederung in die Gesellschaft im Rahmen der Initiative „Jail Guitar Doors“ in den vergangenen Jahren schon des Öfteren seine Songs in Gefängniskapellen zum Besten gegeben.

So nahm er also diese für ein (Rock-) Konzert eher ungewöhnliche Umgebung wiederholt zum Anlass, die spezielle Kirchen-Terminologie scharfsinnig und humorvoll in seine Songansagen bzw. anderweitige erzählerische Exkursionen zu integrieren, beispielsweise als er die kirchentypische Illuminierung im Bühnenhintergrund als Lightshow sowie in ihrer teilweise flackernden Variante als Zeichen für die Einläutung der letzten Runde an der Bar bezeichnete, mit ironischer und schlagfertiger Verwunderung auf den Zuruf eines Besuchers („Stop talking… sing!“) reagierte („He wants me to stop talking… in a church!“) oder auch ein ums andere Mal darauf verwies, sich an diesem heiligen Ort ausschließlich in wasser- und teetrinkender Askese zu üben und sich gleichzeitig über die zahlreich geleerten und munter über die Bühne kullernden Beck’s Flaschen augenzwinkernd erstaunt zeigte.

Viele weitere Anekdoten aus seiner 25-jährigen Karriere und gar seiner Kindheit wurden unterhaltsam mit aktuellen Vorkommnissen der laufenden Europatour verknüpft, und als er davon erzählte, wie er einst in Amsterdam an einem day off (wie er mehrmals betonte) in den Genuss viel zu vieler Haschkekse kam und beim Auftritt am darauf folgenden Tag sämtliche Texte vergessen hatte (ein Desaster für einen Alleinunterhalter) oder er infolge von Stimmproblemen bei einem früheren Konzert eher nach dem Sänger einer norwegischen Death-Metal-Band denn nach britischem Songwriter klang (und dies auch nochmal imitierte), sorgte das natürlich immer wieder für besonders ausgelassene Entertainment-Momente inmitten eines ja nun durchaus als Konzert angelegten Auftritts.

Auch ein, sicherlich etwas zu ausschweifend geratener, dennoch sympathisch verpackter und augenscheinlich von Herzen kommender Ausflug und – ausgehend von einer bei einem Clash-Benefiz-Konzert gemachten Erfahrung vor 30 Jahren – auf die Kraft und Stärke des Publikums im Gegensatz zu Musikern und Singer/Songwritern im Allgemeinen (mit kleinem Seitenhieb auf James Blunt) projizierten, in diesem Rahmen ja besonders gut passenden kleinen „Predigt“ gegen Rassismus, Faschismus und Homophobie gehörte zum obligatorischen Programm dieses von jeher bekanntermaßen überaus politisch engagierten Musikers.
Doch glücklicherweise waren die unterhaltsam-humorvollen (und kürzeren) verbalen Ausführungen deutlich in der Überzahl und erlangten einen weiteren Höhepunkt, als BILLY das Händeschütteln mit der Queen anlässlich einer Aufführung der von ihm mit einem neuen Text versehenen ‚Ode To Joy‘ aus Beethovens 9. Sinfonie damit entschuldigte, auf diese Weise noch einmal die Möglichkeit bekommen zu haben, indirekt eine Verbindung zu Bobby Moore herzustellen, dem Kapitän der englischen Weltmeisterelf, der ja 1966 den WM-Pokal nach dem Finale gegen Deutschland von der Queen überreicht bekommen hatte.

Musikalisch spannte BILLY BRAGG einen stimmigen und geschmackssicher austarierten Bogen vom ersten Album Life’s A Riot With Spy Vs. Spy bis zum aktuellen, nach sechsjähriger Pause erschienenen Mr. Love & Justice, das er ja in kompletter Bandbesetzung zusammen mit seiner langjährigen Begleitband The Blokes sowie diversen Gastmusikern aufgenommen hatte und von dem es zudem eine zweite Version inkl. zusätzlich, quasi in klassischer Billy Bragg-Manier interpretierter ganz fabelhafter Soloversionen sämtlicher Songs gibt. Songs wie ‚Farm Boy‘ oder ‚O Freedom‘, aber auch das während einer USA-Tour spontan vor einem Auftritt entstandene grandiose ‚Old Clash Fan Fight Song‘ reihten sich nahtlos in den Reigen der vielen bekannten Songs wie u.a. ‚The Saturday Boy‘, bei dem Billys Pfeifeskünste dezent versagten und das ursprünglich von einem einsam-traurigen Trompetensolo verzierte Fade-out vom Publikum mitgedacht werden sollte und in das in die nunmehr alleinstehenden Akkorde und den gemächlichen melodielosen Flow kurzzeitig Riffs von den White Stripes und Deep Purple zur allgemeinen Erheiterung eingebettet wurden.

Das zur Akustischen aufgeführte und zu einer 15-minütigen Konzertpause überleitende ‚Sexuality‘ gehörte als einer der bekanntesten Hits schließlich ebenso zum Set wie das die zweite Hälfte bzw. den Zugabenblock und damit diesen großartigen Auftritt endgültig beschließende ‚A New England‘, bei dem nun auch die Besucher der Location gemäß dazu angehalten waren, zu nunmehr verstummender Gitarre und verstummendem Künstler den Refrain inbrünstig zu intonieren: „I don’t want to change the world, I’m not looking for a new England…“

www.billybragg.co.uk
www.myspace.com/billybragg

Foto © Loft Concerts
Autor: [EMAIL=thomas.stern@popmonitor.de?Subject=Kontakt von der Website]Thomas Stern[/EMAIL]

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