BLUMFELD am 30.04.2007 im Postbahnhof


Songs to remember…



Es ist halb 12; mit einem fast förmlichen „Tschüß. Komm gut in den 1. Mai!“ verabschieden sich BLUMFELD nach reichlich zweieinhalb Stunden Spielzeit von Berlin. Endgültig.

Die Sonne über Berlin geht langsam unter, es wird kühl. Noch realisiere ich nicht wirklich, was in wenigen Minuten geschehen wird. BLUMFELD, die so viele meiner Gedanken in Worte und meine Gefühle in Melodien verpackten, die Songs schrieben als wären sie über mich, für mich, BLUMFELD, die mich so lange begleiteten, stehen gleich unwiderruflich das letzte Mal auf der Bühne. Für mich und für ca. 1000 weitere Menschen in Berlin. Es ist eine Mischung aus Machtlosigkeit, aus Bewunderung für die Konsequenz eines JOCHEN DISTELMEYER, die Band nach 16 Jahren aufzulösen und natürlich unglaublicher Vorfreude auf dieses Konzert. Lache, wenn es nicht zum Weinen reicht. Irgendwie so.

Punkt neun, es ertönt eine Art Zirkusmarsch als Intro und JOCHEN DISTELMEYER (voc, guit), ANDRÉ RATTAY (drums), LARS PRECHT (bass) und VREDEBER ALBRECHT (keys) betreten die Bühne. BLUMFELD beginnen ihr Set mit ‚Draußen auf Kaution‘ (L’état et moi, 1994) und lassen ‚Mein System kennt keine Grenzen‘ (Old Nobody, 1999) folgen. DISTELMEYER wechselt immer wieder die Gitarre, die ihm THOMAS WENZEL, seines Zeichens (u.a.) Bassist der Sterne und der Goldenen Zitronen, reicht und der selber die Band an diesem Abend hin und wieder an der E-Gitarre begleitet. Zwei Dinge werden relativ schnell klar: Das hier wird eine Werkschau, ein Best-Of und – das ist der überraschende Teil dieser Feststellung – JOCHEN DISTELMEYER hat gute Laune, ist grundsympathisch, lacht, scherzt, tanzt, wirkt locker und befreit. Neue BLUMFELDsche Entspanntheit, die ihren Höhepunkt in „Lasst uns grooven! Auch mal was Verbotenes tun!“ und einer enorm beschwingten Version von ‚Der Apfelmann‘ (Verbotene Früchte, 2006) findet. Manchmal wirkt das alles ein bisschen zu kalkuliert und aufgesetzt, macht aber nichts, nicht heute, an diesem Abend. Wobei, so ein bisschen sehne ich dann und wann den rotzigen, fahrigen, klugscheißernden DISTELMEYER herbei. Gewiss, ‚Der Apfelmann‘ ist kein musikalischer Meilenstein in der Geschichte meiner Lieblingsband, an diesem Abend jedoch entlädt sich sich zum ersten Mal die angestaute Spannung beim Publikum, das klatscht und johlt; und DISTELMEYER grinst beseelt. Wirklich große Songs kommen danach: herausragend dabei ‚Armer Irrer‘ (Jenseits von Jedem, 2003), und ‚So lebe ich‘ (Old Nobody, 1999) in nie zuvor erlebter Intensität und Genialität.

Für den ersten Zugabenblock kommt DISTELMEYER allein zurück auf die Bühne und ich bekomme eine Ahnung davon, wie das funktionieren könnte. DISTELMEYER solo. Er singt ‚Tausend Tränen tief‘ (Old Nobody, 1999), die Musik kommt vom Band, er tanzt und gibt den Crooner. Und ich falle fast in Ohnmacht. Es folgt Zugabe um Zugabe und bei den vertrauten Akkorden von ‚Verstärker‘ (L’état et moi, 1994) wird mir urplötzlich wieder klar, dass das hier unwiderruflich das letzte Mal sein wird. „Everytime we say goodbye, I die a little bit“… die Band verbeugt sich vor Cole Porter und vor ihrem Publikum. Der große Moment ist also gekommen, denke ich, das war’s, aus und vorbei.

Einmal noch kommen BLUMFELD zurück auf die Bühne und beschließen ihr letztes Berlin-Konzert mit („Den Monat, den es bald nicht mehr gibt.“) ‚April‘ (Verbotene Früchte, 2006) und ‚Die Welt ist schön‘ (Jenseits von Jedem, 2003).

Was bleibt?… Vermutlich hat jeder seine eigene BLUMFELD-Geschichte zu erzählen. Die reichen von so legendären Liveauftritten Mitte der Neunziger als DISTELMEYER und Band gemeinsam mit der kalifornischen Indie-Rockband Pavement auf Tour waren und beide Bands gemeinsam ‚Verstärker‘ spielten. Dazu gehören unzählige musikalische und textliche Zitate alter Weggefährten und Bands, die durch BLUMFELD maßgeblich geprägt wurden. Es waren Tocotronic, die in ‚Es ist einfach Rockmusik‘ (Nach der verlorenen Zeit, 1995) sangen „Und Blumfeld mag ich sowieso“. Dem ist nichts mehr hinzuzufügen.



Setlist // 30.04.2007

Intro
‚Draußen auf Kaution‘
‚Mein System kennt keine Grenzen‘
‚2 oder 3 Dinge, die ich von dir weiß‘
‚Weil es Liebe ist‘
‚Ich – wie es wirklich war‘
‚Tics‘
‚Der Apfelmann‘
‚Wir sind frei‘
‚Eintragung ins Nichts‘
‚In der Wirklichkeit‘
‚Armer Irrer‘
‚Der Sturm‘
‚Sonntag‘
‚Die Diktatur der Angepassten‘
‚So lebe ich‘

Zugabe 1:
‚Tausend Tränen tief‘ / ‚Take a bow‘
‚Viel zu früh und immer wieder; Liebeslieder‘
‚Penismonolog‘ / ‚How soon is now‘
‚Zeittotschläger‘
‚Graue Wolken‘
‚Kommst Du mit in den Alltag‘

Zugabe 2:
‚Verstärker‘ / ‚Electric guitars‘ / ‚Everytime we say goodbye‘

Zugabe 3:
‚April‘
‚Die Welt ist schön‘

www.blumfeld.de
www.myspace.com/blumfeld
www.loft.de

Foto: © Martin Eberle
Autor: [EMAIL=jana.schuricht@bands-in-berlin.com?Subject=Kontakt von der Website]Jana Schuricht[/EMAIL]

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