BONAPARTE – Berliner Act des Monats September 2008


Des Feldherrn neue Kleider.



Um das Jahr 1800 führte ein korsischer General sein Heer um die halbe Welt. 200 Jahre später geht BONAPARTE wieder auf Eroberungsfeldzug. Die internationale Band unter Schweizer Führung wird in den Medien als derzeit heißester Act der Hauptstadt gehandelt. Ob Neuseeland oder Ägypten, Montreux Jazz-Punk-Festival oder Berliner Szene-Locations – wo BONAPARTE auftreten, hinterlassen sie ein frenetisches Publikum. Dafür sorgt eine bunte Chaos-Truppe mit einer energetischen Showeinlage und einem Faible für ausgefallene Kostümierungen.

Kostümiert ist der Feldherr auch, als er auf der Terrasse der Bar25 sitzt. Statt Zweispitz und purpurrotem Mantel schmücken ihn heute allerdings Kopftuch und Rüschen-Outfit. Denn heute ist Kindertag mit Piraten-Motto. Und der Kaiser persönlich sorgt für Popcorn und Piratenlieder.

popmonitor.berlin: In welcher Verbindung stehst du zur Bar25?
BONAPARTE: Im Grunde bin ich wegen der Bar nach Berlin gekommen – aber nicht, um Party zu machen. Die ursprüngliche Idee war, bei jedem Auftritt mit Leuten aus der jeweiligen Stadt zu spielen. Unser allererster Gig war in der Bar25. Weil wir noch kein Schlagzeug hatten, haben wir auf Müll getrommelt. Das hat so viel Spaß gemacht, dass ich hier geblieben bin. Und die Besetzung hat sich bis vor kurzem gehalten.

Welches Konzept steckt nun hinter Bonaparte?
Bonaparte ist ein demokratisches Kollektiv mit mir als Feldherr an der Spitze. Die Idee ist: Jeder macht, was er will.

Wie funktioniert das?
Das ergibt sich meistens: Justine ist zum Beispiel in Neuseeland immer zu den Konzerten gekommen. Da habe ich gesagt, du tanzt eh immer, dann kannst du ja auch gleich mitmachen. Ich frage auch oft Leute, die ich mag: Was kannst du? Und das machen sie dann. Wenn Lulu zum Beispiel sagt, ich kann mich nur ausziehen, dann macht er halt das. Tosh hat Flöte und Schlaghölzchen gespielt. Und auch wenn ich sie nie gehört habe: Jetzt, wo sie nicht mehr dabei ist, fehlt etwas.



Es gibt also Fluktuation?
Ja, und es ist ja auch schön, wenn Leute kommen und gehen und sich die Truppen verschieben. Aber natürlich muss ich immer überlegen, wer wann wo dazukommt. Ich hab ja mit Napoleon eigentlich nichts zu tun. Aber manchmal denke ich, ein Heer zu führen ist so ähnlich, wie so ein Projekt zu organisieren.

Daher der Name?
Der kommt ursprünglich von der Mutter einer Freundin meines besten Freundes. Sie fand, ich sei Napoleon. Als ich später durch Europa gereist bin, hatte ich immer diese Landkarten dabei und fing an, in die Rolle des Feldherrn herein zu wachsen. Zur gleichen Zeit habe ich angefangen, Lieder zu schreiben. Das war dann das Bonaparte-Projekt. Das ist also alles so gewachsen.

Ihr tourt 2008 noch kräftig durch die Schweiz und Deutschland. Die Shows sind angekündigt als „Zirkus“. Was steht da auf dem Programm?
Ich dachte, „hedonistische Zirkusshow“ umschreibt das eigentlich am besten. Wir haben ja viele Tierkostüme wie Vasy Mouton, die boxende Ziege. Dann gibt es Tänzer, Feuerspucker und andere Nummern. Und natürlich Musik.

Wie viele Personen stehen dann auf der Bühne?
Meistens sind wir drei, vier Leute in der Band und drei, vier Leute im Zirkus. Oft suchen wir auch noch jemanden aus dem Publikum…

…wie Ihr das bei Eurem letzten Genf-Konzert gemacht habt?
Genau. Das machen wir bei der anstehenden Tour wieder. Leute können sich bewerben und werden vorher von uns eingekleidet. Ich bin gespannt, was die so einschicken – selbst gedrehte Videos oder ähnliches.

Welche Rolle spielen dabei Verkleidungen?
Am Anfang war das eine Art Schutz, aber es hat sich dann verselbständigt. Ich mag es, mich zu maskieren, wie ich auch Gesellschaftssurfen mag: Ich bin gerne dreckig wie ein Bauarbeiter und gehe ebenso gerne im Frack auf einen Ball. Genauso spielen wir in besetzten Häusern und haben auch schon im Schloss vor allen Blaublütern Deutschlands gespielt.

Ich mag diese Gegensätze und Kleidung spielt dabei eine wichtige Rolle: Je nachdem, wie du dich kleidest, fühlst du dich anders. Wenn Carlos seine engen roten Hosen anzieht, ist er ein anderer Mensch. Und so geht es mir auch.

Rührt daher euer Ruf als fantastische Live-Band?
Wenn ich eine Show spiele, will ich auch alles geben. Sonst kann ich zuhause bleiben. Das stichelt sich oft hoch – wie beim Pingpong: Gibst du einen Zacken mehr, gibt das Publikum einen Zacken mehr.

Die Leute denken oft, wir wären total verpeilt. Aber so ist das nicht. Es ist vielmehr dieses Sich-Gehen-Lassen. Wir leben auf der Bühne alle etwas aus und das entfacht eine große Energie. Das klingt jetzt vielleicht etwas esoterisch, aber es ist die schönste Droge, die es gibt.

Ihr spielt oft an kuriosen und angesagten Orten. Wie kommt ihr an die Konzerte?
Das war natürlich einfacher, als ich allein war. Da konnte ich auch nach Ägypten gehen oder nach Neuseeland – solange das mit der Staatskasse in Einklang steht, mache ich das. Jetzt mit dem Zirkus ist das natürlich schwieriger. Aber ich bin ein Mensch, der schnell Netze spannt – ich will brennen, leben, Menschen kennen lernen, reisen, spielen. So entstehen die Kontakte. Und wenn jemand sagt, ich soll irgendwo spielen, dann gehe ich eben dahin.

Ihr habt für Quentin Tarantino gespielt. Wie kam das?
Er hat eine Party gefeiert in der Bar25 und die haben mich gefragt, ob ich spielen will. Da ich alleine war, habe ich Clea Cutthroat gefragt, ob sie Ihre Tanzprobe nicht bei meinem Konzert abhalten will. Jetzt ist sie fester Bestandteil der Band.



Für welche große Persönlichkeit der Geschichte würdest du gerne einmal spielen?
Für Buster Keaton. Und für Pipi Langstrumpf. Von der habe vielleicht ich diese Scheiß-egal-wir-machen-das-jetzt-Einstellung: Wenn du einen Stein ankickst, dann kommt er ins Rollen und wird vielleicht zur Lawine.

Spiegelt sich das in der Musik wider?
Natürlich, das klingt ja nicht einfach so, wie es klingt. Wie ich Sprache verwende, was musikalisch passiert, die Energie, die Dringlichkeit, die harmonische Reduktion: Das sind Entscheidungen. Nicht immer bewusste Entscheidungen, sondern eher ein homogener Prozess von zehn Jahren Musikmachen.

In Kürze erscheint das Album Too Much. Was erwartet uns?
Das Album ist eine „soziopolitische Party-Platte“ und ganz anders als die Live-Show. Einerseits, weil Aufnehmen und Live-Konzerte einfach nicht das gleiche ist. Andererseits stand Bonaparte da noch ganz am Anfang und ich habe die Platte ganz alleine aufgenommen aus einer Art Songwriter-Idee heraus. Jetzt, wo der hedonistische Zirkus dazugekommen ist, wird das zweite Album vielleicht anders.

Ich habe gelesen, ihr seid nicht gesignt. Stimmt das? Seid ihr noch zu haben?
„Gesignt werden“ – das ist so ein altmodischer Begriff. Was bedeutet das? Dass man nicht mehr bestimmen kann, was man tut? Es geht doch darum, hinter den Kulissen Synergien zu schaffen – mit Leuten, die dein Projekt verstehen und die ihre Arbeit gut machen.

Wir haben einen Booker und ein kleines Ein-Mann-Label – das reicht. Es ist gefährlich, bei so einem Projekt die Kontrolle zu verlieren. So etwas funktioniert nur so lange, wie die Leute sich ausleben können und Spaß haben. Darum will ich gar nicht gesignt werden.

Es gibt auch ein Remix-Projekt unter dem Motto „Nachbarn remixen Bonaparte“. Waren das wirklich Nachbarn?
Nachbarn und Freunde. Teilweise Leute, von denen ich gar nicht wusste, wie gut die sind. Mit einigen habe ich mal bei Bonaparte oder in anderen Bands gespielt. Andere kennen wir aus Berlin. Das ist ein richtiges Freundschaftsprojekt.

Ich mag die Textzeile ‚I’m not drunk, I’m just dancing‘. Hast du eine bestimmte Lieblingszeile oder einen Lieblingsmoment?
Das bezieht sich auf meinen Tanzstil. Im Grunde ist das eine ganz ehrliche Platte, obwohl ich immer höre, die Texte seien dadaistisch und machten keinen Sinn.

Ich mag ‚Gigolo Vagabundo‘ und ‚Three Minutes In The Brain Of Bonaparte‘ sehr. In ‚A-A-Ah‘ kommt so ein Wirbel und danach geht es noch mal richtig los. Und du weißt schon vorher, es wird gleich explodieren – ein kollektiver Orgasmus.



Songs wie ‚Anti Anti‘ und ‚No, I’m Against It!‘ bringen ein ganz unmonarchisches Element ins Spiel. Spielt ihr mit der Verweigerungshaltung?
Das sind eigentlich Lieder gegen das Gegensein. Es geht um einen nostalgischen Rückblick in Zeiten als man jung und rebellisch und gegen das Establishment war: Gestern hab ich nein gesagt, aber heute sag ich ja.
Vielleicht ist das symbolisch: Ich habe mir früher immer gewünscht, Teil einer Bewegung zu sein – mit Bonaparte habe ich jetzt sozusagen meine eigene.

Bitte ergänze: Wenn ich einen Tag Kaiser wäre, würde ich…
Was soll denn das? Ich bin doch Kaiser.

Meine Lieblings-Zirkusnummer ist…
…der Kanonenmann, der kurz vor dem Auftritt flüchtet. Den gibt es in unserem Zirkus, das ist mein Bruder.

Den besten Karneval feiert man in…
…Basel, Schweiz.

Das beste Kostümballmotto ist…
…des Kaisers neue Kleider.

Ihr seid für den Radio Award bei Radio Fritz nominiert. Verfolgst Du das?
Eigentlich hasse ich Wettbewerbe. Habt ihr schon mal von einer Monarchie gehört, in der das Volk für den Kaiser abstimmen kann?

Im Video von ‚Too Much‘ sieht man Dich über Sandberge wandern. Wo wurde das gedreht?
Das habe ich Anfang des Jahres mit einem Freund in Ägypten gedreht. Es gab damals gerade einen Ausnahmezustand und man durfte nirgendwo filmen. Die Polizei hat sogar einmal unseren Film verbrannt. Dann sind wir ganz weit raus in die Wüste gefahren, um ungestört zu sein.

Das wurde ein richtiges Abenteuer: Weil wir im Sand feststeckten, mussten wir in der Nacht stundenlang zu Fuß durch die Wüste gehen. Da habe ich tatsächlich an Napoleon gedacht. Der ist nämlich auch mal in Ägypten gestrandet und musste sich mit den Verwundeten durch die Wüste schleppen.



Siehst Du Parallelen zu folgenden Künstlern?
The Streets: Musikalisch nicht unbedingt. Aber ich glaube der Typ und ich funktionieren ähnlich. Der ist auch so jemand, der alles gerne selber macht.
John Spencer: Wer ist das? Du solltest mich eher nach Jazz oder Klassik fragen. Da kenne ich mich besser aus.
Prodigy: Ich fand die Energie von Prodigy immer gut. Vielleicht sind wir da ähnlich.
The Stooges: Wenn du jetzt nicht an Iggys Körperform denkst… Vielleicht gibt es Ähnlichkeiten in der Rohheit des Sounds.
Peaches: Ich mag ihr Rollenspiel. Da gibt es Parallelen.
Kinks: Die Kinks habe ich früher gerne gehört.

Monarchie oder „Alle Macht dem Volk“?
Mmh. Je älter ich werde, desto mehr Sinn sehe ich in gewissen Hierarchien. Wenn die Monarchie so ist, dass nicht alle für einen arbeiten, sondern der eine das koordiniert, ist der Gedanke vielleicht gar nicht so schlecht. Als romantischer Mensch sage ich trotzdem: Alle Macht dem Volk! Aber ich glaube, das gibt das größere Desaster.

Tolstoi oder James Joyce?
Tolstoi.

Napoleon Bonaparte oder Wilhelm Tell?
Wilhelm Tell ist schon cooler. Obwohl: der eigentliche Held ist ja Walter. Der hat schließlich den Apfel auf dem Kopf…

BONAPARTE am 04.04.09 live in Berlin/ Festsaal Kreuzberg

Das Album:

BONAPARTE
Too Much
(Staatsakt/ Indigo)
VÖ: 19.09.2008

www.bonaparte.cc
www.myspace.com/findingbonaparte
www.staatsakt.de

Fotos © Bonaparte / Arne Wellding
Autor: [EMAIL=arne.wellding@popmonitor.de?Subject=Kontakt von der Website]Arne Wellding[/EMAIL]

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